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Durchbruch beim Befristungsunwesen?

Der Bundesbericht „Wissenschaftlicher Nachwuchs“ und das Statistische Bundesamt ermittelten, dass 90 Prozent aller wissenschaftlichen Mitarbeiter/innen befristet beschäftigt sind. Zudem ist aus der Evaluierung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes 2011 (WissZeitVG) bekannt, dass über die Hälfte der befristeten Verträge nicht mal ein Jahr laufen. Ob es mit der Reform des WissZeitVG besser wird, ist offen.

Foto: Christoph Bächtle

Die Regierungsparteien CDU/CSU/SPD hatten 2013 im Koalitionsvertrag für die Große Koalition  eine Novellierung des WissZeitVG vereinbart. Ein Entwurf oder auch nur Eckpunkte lagen aber bis Anfang 2015 nicht vor. Mit einem eigenen Gesetzentwurf hat die GEW Ende 2015 Schwung in die Debatte gebracht. Im Dezember letzten Jahres hat der Bundestag dem Entwurf der Regierungsparteien zur Novelle des WissZeitVG zugestimmt, im Januar 2016 folgte ihm der Bundesrat. Das Gesetz, das die Befristungsmöglichkeiten für wissenschaftliche und künstlerische Mitarbeiter/innen an Hochschulen und Forschungseinrichtungen neu regelt, ist am 17. März 2016 in Kraft getreten.

Was ändert sich für die Betroffenen?

Nun können bis zur Promotion wissenschaftliche und künstlerische Mitarbeiter/innen in der Regel bis zu sechs Jahre befristet beschäftigt werden. Nach der Promotion ist erneut eine Befristung von bis zu sechs Jahren, in der Medizin bis zu neun Jahren möglich.
Künftig ist eine Qualifizierungsbefristung in der Promotions- und Habilitationsphase nur noch zulässig, „wenn die befristete Beschäftigung zur Förderung der eigenen wissenschaftlichen oder künstlerischen Qualifizierung erfolgt.“ Die Formulierung lässt Interpretationsspielräume offen. Anknüpfend an frühere Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kann man davon ausgehen, dass alleine das Arbeiten in der Wissenschaft nicht ausreicht, um von wissenschaftlicher Qualifizierung zu sprechen. Das Qualifizierungsziel in der ersten Phase wird im Allgemeinen die Promotion sein, die Laufzeit sollte hier nicht unterhalb von 3 bis 4 Jahren liegen. Das Qualifizierungsziel in der zweiten Phase wird meist die Habilitation, das Erreichen habilitationsäquivalenter Leistungen bzw. das Erlangen der Berufungsfähigkeit sein.

In vielen Hochschulen haben Kanzler/innen oder Personalabteilungen Richtlinien, Merkblätter oder Ähnliches für die Umsetzung des neuen WissZeitVG vorgelegt. Diese sehen bisweilen skurrile Qualifizierungsstellen vor. So werden etwa Qualifizierungsziele wie die „Mitarbeit an Publikationen“, die „Mitarbeit bei der Einwerbung von Drittmittelprojekten“ oder schlicht die „Mitarbeit an definierten Forschungskontexten im Fachbereich“ bzw. die „Erweiterung der fachlichen Breite“ definiert. Konkrete Qualifizierungsziele sind aus Formulierungen wie diesen kaum zu entnehmen, vielmehr entsteht der Eindruck, einige Hochschulen und Forschungseinrichtungen vertreten die Auffassung, dass tendenziell jede Tätigkeit in der Wissenschaft eine Qualifizierung darstelle.
Stattdessen sollten ein definiertes Qualifizierungsziel sowie ein strukturiertes Vorgehen zur Erreichung dieses Ziels vorhanden sein. Das Ziel muss außerdem hinreichend konkret sein, dass eine Prognose möglich ist, in welcher Zeit es erreichbar ist (vgl. BAG-Urteil 7 AZR 252/79 vom 19.08.1981).
Eine Beschäftigung ohne Qualifizierungsziel fällt nicht unter das Gesetz – ihre Zulässigkeit wäre nach den allgemeinen Regeln des Teilzeit- und Befristungsgesetzes zu bestimmen. Damit wird das WissZeitVG in seiner Funktion als Qualifizierungsgesetz gestärkt. Nichtwissenschaftliche und nichtkünstlerische Beschäftigte werden aus dem Geltungsbereich des Gesetzes ausgenommen. Eine Befristung eines solchen Beschäftigungsverhältnisses ist nach den Regeln des allgemeinen Teilzeit- und Befristungsrechts möglich.

Die GEW-Forderung, dass 50 Prozent der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit bei Qualifizierungsbefristung der eigenen Qualifizierung vorbehalten sein muss, konnte leider nicht durchgesetzt werden. Stattdessen heißt es nun: „Die vereinbarte Befristungsdauer ist so zu bemessen, dass sie der angestrebten Qualifizierung angemessen ist.“
Aufgrund der nun beschlossenen Regelung ist davon auszugehen, dass Laufzeiten gewählt werden müssen, in denen das jeweilige Qualifizierungsziel im Allgemeinen tatsächlich erreicht werden kann. Qualifizierungsziel und Befristungsdauer müssen eine Einheit bilden. Auch in dieser Frage besteht allerdings eine große Rechtsunsicherheit. GEW-Mitglieder können den gewerkschaftlichen Rechtsschutz in Anspruch nehmen, wenn sie sich arbeitsrechtlich gegen unfaire Vertragsbedingungen wehren wollen.
Wie schon die Vorgängerregelung lässt auch das novellierte WissZeitVG Drittmittelbefristungen unabhängig von dem Qualifizierungsziel zu. Die Beschäftigungssituation auf Drittmittelstellen wird insofern verbessert, als dass das Gesetz auch für sie die Vertragslaufzeit grundsätzlich mit dem Befristungsgrund verknüpft. Die vereinbarte Befristungsdauer soll dem bewilligten Projektzeitraum entsprechen.

Nach dem Vorbild der familienpolitischen Komponente wurde neu ins Gesetz aufgenommen: Die Höchstbefristungsdauer bei Behinderung oder schwerwiegender chronischer Erkrankung wird um zwei Jahre verlängert. Bei der familienpolitischen wie bei der neuen behindertenpolitischen Komponente geht es um eine Verlängerung des Höchstbefristungsrahmens, nicht des Arbeitsvertrags selbst, das heißt: Der Arbeitgeber kann sich entscheiden, einen befristeten Vertrag über die 6+6 (bzw. 6+9) Jahre hinaus zu schließen – er muss dies aber nicht tun. Die Beschäftigten haben keinen Anspruch auf diese Vertragsverlängerungen. Die familienpolitische Komponente ist aufgrund der gesetzlichen Klarstellung nun eindeutig auch bei Betreuung von Stief- und Pflegekindern anwendbar. Leider gilt diese Regelung nicht für Beschäftigte, die aufgrund von Drittmittelfinanzierung befristet sind.
Dass es einen eigenständigen Befristungstatbestand für studentische Beschäftigte „zur Erbringung wissenschaftlicher oder künstlerischer Hilfstätigkeiten“ mit einer Höchstbefristungsdauer von sechs Jahren (§ 6) gibt, ist neu. Studierende, die wissenschaftliche oder künstlerische Hilfstätigkeiten erbringen, können künftig auf dieser Grundlage befristet werden. Beschäftigungsverhältnisse während des Studiums werden nicht auf den Höchstbefristungsrahmen von 6 Jahren vor der Promotion angerechnet – künftig auch dann nicht, wenn die Beschäftigung während eines Masterstudiums erfolgt. In nichtwissenschaftlichen Bereichen können gegebenenfalls Studierende nach den Maßgaben des TzBfG befristet eingestellt werden.

Nicht alle Forderungen der GEW für ein neues Befristungsrecht konnten durchgesetzt werden. Dennoch: Das neue WissZeitVG ist ein Teilerfolg. Nun kommt es auf die Umsetzung an – denn viele Formulierungen im neuen Gesetz sind so schwammig, dass erst Umsetzung und Rechtsprechung zeigen werden, was wirklich gewonnen wurde. Im Zweifelfall wird keine andere Lösung bleiben, als die Arbeitsgerichte klären zu lassen, was eine wissenschaftliche und künstlerische Qualifizierung und was eine qualifizierungsangemessene Vertragslaufzeit im Sinne des WissZeitVG ist und was nicht. GEW-Mitglieder können auf Unterstützung durch den Rechtsschutz und ihre Gewerkschaft bauen.