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Öffentliche Anhörung zur Weiterentwicklung der Realschule

Am 22. Juli fand eine öffentliche Anhörung zu weiteren Änderungen des Schulgesetzes statt. Im Zentrum der Debatte – und auch der Stellungnahme der GEW – stand das Thema Realschule.

Folgende Stellungnahme hat die GEW-Landesvorsitzende Doro Moritz bei der Anhörung vorgetragen:

"Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wird eine Reihe gesetzlicher Regelungen abgeschlossen, die aufgrund der demografischen Entwicklung und des veränderten  Schulwahlverhaltens der Eltern für ihre Kinder zwingend notwendig wurde. Die GEW, die mit weitem Abstand die größte Zahl von Realschullehrerinnen und -lehrern in Baden-Württemberg vertritt, begrüßt die Gesetzesänderung ausdrücklich.

Die Realschule ist seit Jahrzehnten eine leistungsstarke Schule. Sie war die mittlere Säule des dreigliedrigen Schulsystems. Sie ist es seit dem Wegbrechen der Werkrealschulen nicht mehr, auch wenn das viele nicht wahrhaben wollen. Im kommenden Schuljahr werden voraussichtlich noch rund sieben Prozent der Schülerinnen und Schüler nach der Grundschule  auf eine Haupt- oder Werkrealschule wechseln. Schwache Schülerinnen und Schüler gibt es  weiterhin zu einem deutlich größeren Prozentsatz.

Im Schuljahr 2014/15 wurden 7.500 Schülerinnen und Schüler mit Hauptschulempfehlung an Realschulen genauso viele wie an den langsam aussterbenden Haupt- und Werkrealschulen angemeldet. Gleichzeitig muss die Realschule immer mehr Schülerinnen und Schüler aufnehmen, die an den allgemeinbildenden Gymnasien scheitern. Die Realschule ist die Schulart mit der größten Heterogenität.

Riesig sind die regionalen Unterschiede. Während etwa in den Universitätsstädten und Großstädten 60 bis 80 Prozent der Viertklässler aufs Gymnasium wechseln, bleiben der Realschule nur noch jene 20 bis 25 Prozent der Schüler/innen, die die Bildungsforschung als „Risikogruppe“ einstuft. Hier wird die Realschule auch von den meisten Kindern mit Migrationshintergrund bevorzugt und hat zunehmend die Rolle der Hauptschule  übernommen. In ländlicheren Gebieten ist die Realschule dagegen häufig noch die erste Wahl für das mittlere Schülersegment.

Die GEW begrüßt ausdrücklich die Erweiterung des Bildungsauftrags der Realschule um den Bildungsgang der Hauptschule. Wir bedauern, dass der zum Hauptschulabschluss führende Bildungsgang lediglich fünf Schuljahre umgreifen soll. Die Fördermöglichkeiten im Bildungsgang der Hauptschule werden damit ohne Not zeitlich verkürzt. Den Realschulen   werden in dieser Wahlperiode erstmals Förderressourcen zur Verfügung gestellt. Die derzeit   2,5 Wochenstunden je Zug werden ab 2015/16 mit weiteren 209 Deputaten auf sechs  Poolstunden angehoben, bis 2018/19 sollen es insgesamt zehn Stunden werden. Diese Zeit für die individuelle Förderung der Schülerinnen und Schüler entspricht dann dem Niveau der   Hauptschule. Die Landesregierung erfüllt so die Forderung der GEW, dass die    Förderressourcen den Schüler/innen folgen müssen.

Mit dem Hauptschulabschluss an der Realschule kann verhindert werden, dass die Zahl der  Abgänger ohne Abschluss weiter steigt. Der Versuch, alle Schülerinnen und Schüler an der  Realschule zum mittleren Abschluss zu führen, würde unweigerlich zur Absenkung des  Leistungsniveaus an der Realschule führen. Das lehnt die GEW ab.

Die von Kritikern immer wieder vorgetragene Forderung nach Hauptschulklassen an den  Realschulen (anstelle der Binnendifferenzierung) ist nicht nur aus pädagogischen, sondern  auch aus praktischen Gründen angesichts der sinkenden Akzeptanz eines „unteren“  Bildungsgangs nicht umsetzbar. Zudem haben sich zu Zeiten der früheren Landesregierung solche abschlussbezogenen  Klassen an den Werkrealschulen – wo sie anfangs ab Klasse 8  möglich waren - nicht bewährt. Sie wurden nach negativen Erfahrungen von den Schulen  selbst eingestellt. Damals  verfügte die Werkrealschule über ein Schülerspektrum, das dem  der meisten heutigen  Realschulen entspricht. Insofern wäre es fatal, wenn heute die  gleichen Fehler wieder  gemacht würden. Die damaligen „Hauptschul-Klassen“ wurden an den Werkrealschulen als  Abstieg empfunden, wirkten demotivierend und konnten nicht zu einer besseren Förderung  und zu besseren Leistungen beitragen. Das galt auch für die Klassen  mit dem Ziel des  mittleren Bildungsabschlusses.

Ein Unterschied zur Gemeinschaftsschule wird künftig sein, dass das erweiterte Niveau an   Realschulen nicht geprüft wird. Versetzungen und Prüfungen erfolgen allein auf dem   grundlegenden und dem mittleren Niveau. Außerdem werden Schülerinnen und Schüler in   allen Fächern einer Niveaustufe zugeordnet. Auch die Profilfächer, die es am Gymnasium   und ab dem nächsten Schuljahr an der Gemeinschaftsschule gibt, werden konsequenterweise nicht an den Realschulen eingeführt.

Es ist bemerkenswert und entlarvend, dass Gruppierungen, die das neue Realschulkonzept massiv kritisieren und zum Beispiel als ein „trojanisches Pferd“ bezeichnen, das die   Realschulen heimlich zu Gemeinschaftsschulen umwandle, ausgerechnet diese Elemente  der Gemeinschaftsschule für die Realschule einfordern. Diese Kritik verkennt, dass die   Realschule trotz der Einführung der Hauptschulabschlussprüfung die Realschule bleibt, was ja das ausdrückliche Interesse der Kritiker ist. Im Übrigen wird schon das zusätzliche  grundlegende Niveau von den Lehrkräften der Realschulen als Herausforderung betrachtet.   Ich gehe davon aus, dass eine Mehrheit der Realschullehrkräfte den Unterricht auf drei   Niveaustufen als eine nicht leistbare Belastung betrachten würde.

Die GEW Baden-Württemberg legt Wert auf die Feststellung, dass unabhängig von der  Niveauorientierung der Schularten jeder Schüler und jede Schülerin bestmöglich gefördert werden muss. Dies heißt, dass die Realschulen - wie schon bisher - ihre Schülerinnen und Schüler erfolgreich auch auf die gymnasialen Bildungsgänge vorbereiten und auch starke Schülerinnen und Schüler bestmöglich fördern und fordern.

Die GEW begrüßt die Einführung der Orientierungsstufe als einer Phase gemeinsamen Lernens und ohne Versetzungsentscheidung. Ebenso begrüßen wir den im 7. und 8.  Schuljahr vorgesehenen gemeinsamen Unterricht, der zeitlich begrenzt durch Phasen einer äußeren Leistungsdifferenzierung abgelöst werden kann. Begrüßenswert ist auch die Möglichkeit, zwischen den Niveaus (G, M) halbjährlich wechseln zu können, wobei das Wechselverfahren noch untergesetzlich zu regeln ist.

Das neue Realschulkonzept wird die Schließung der Haupt- und Werkrealschulen beschleunigen, zumal die Realschule die Option eines „richtigen“ Realschulabschlusses anbietet und über vergleichbare Förderressourcen wie die Hauptschule verfügt. Die geringere soziale Selektivität der Realschule wird sie für Kinder mit Hauptschulempfehlung noch attraktiver machen. Ob diese Hoffnung sich erfüllt, hängt aber wesentlich davon ab, dass die erweiterte Heterogenität an den Realschulen nicht nur akzeptiert wird. Die Realschulen  müssen auch pädagogisch stimmige Konzepte für die Bedürfnisse der leistungsschwächeren  Schüler/innen entwickeln.

Binnendifferenzierter und zieldifferenter Unterricht stellt eine große Herausforderung für die Lehrkräfte dar. Sie für diese Aufgabe zu befähigen und damit dem Konzept der  Weiterentwicklung der Realschulen zum Erfolg zu verhelfen, ist zentrale Aufgabe der Politik.  Qualifizierung, Begleitung und Zeit sind dafür zwingend notwendig. Ein gezielter Einsatz von  Hauptschullehrkräften wird neben der pädagogisch-fachlichen Unterstützung auch eine  Erleichterung für die Lehrkräfte an Realschulen sein, die zu Recht zusätzliche Belastungen  befürchten.

Erst im Jahr 2021 werden Schüler/innen den Hauptschul-Abschluss an der Realschule  grundständig erwerben können. Bis dahin hält die GEW für die an den   Realschulanforderungen scheiternden Schülerinnen und Schüler als Zwischenlösung eine  eigenständige Hauptschul-Abschlussprüfung an der Realschule ab dem kommenden Schuljahr für notwendig. Die Kooperation mit erfahrenen Lehrkräften der Werkrealschulen   liegt im Interesse einer Entlastung der Kolleg/innen der Realschulen. Die Forderung nach  einer Schulfremdenprüfung an der Realschule wird bisher vom Kultusministerium noch  abgelehnt wegen der zusätzlichen Belastung für die Realschulen. Das ist schwer   nachzuvollziehen, zumal dem schrumpfenden Personal der Haupt- und Werkrealschulen drei Abschlussprüfungen (HS, WRS, Schulfremdenprüfung) zugemutet werden. Und das in einer  Situation der Abwicklung und der Wegversetzungen, in denen häufig schon keine  Fachlehrkräfte für die Prüfungsfächer mehr zur Verfügung stehen und als „Wanderlehrer“ ausgeliehen werden müssen.

Insgesamt wird mit der Weiterentwicklung der Realschule ein hohes Maß an horizontaler und vertikaler Durchlässigkeit erreicht. Dazu trägt insbesondere auch der gemeinsame Bildungsplan der Sekundarstufe 1 bei, der 2016 in Kraft tritt."