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Kindertageseinrichtungen

Alarm aus allen Richtungen

Zum Leidwesen vieler Kinder, Eltern und Erzieher*innen fehlen Kitaplätze und es mangelt an Fachkräften und Personal. Auch Betriebe beklagen inzwischen die unzureichende Betreuung. Die Lage in vielen Kitas im Land ist angespannt.

Kinder rennen um eine Frau herum, die gestresst aussieht.
Foto: NataliaDeriabina / iStock

Die GEW vertritt die Beschäftigten in den Kitas und hat die Aufgabe, auf den Missstand aufmerksam zu machen. Ziel ist, Veränderungen zu bewirken. Dabei ist die GEW nicht nur Kritikerin, sie bringt immer auch Vorschläge ein; immer im Sinne der Kinder und der Beschäftigten.

Es braucht dringend mehr Menschen im System, die sich engagieren, dazu beitragen die Krise zu bewältigen und die Arbeit in den Kitas wieder attraktiv zu machen. Die GEW ermutigt, den Beruf der Erzieher*in und das Studium der Kindheitspädagogik zu ergreifen, weil die Arbeit mit den Kitakindern wertvoll, schön und sinnstiftend sein kann.

Auch die Landesregierung wirbt im Rahmen der Fachkräfteoffensive mit einer Kampagne für die Tätigkeit der Erzieher*in. Das ist positiv. Es reicht aber nicht, für einen Beruf die Werbetrommel zu rühren. Eine Kampagne muss auch halten, was sie verspricht. Einzig wenn die Rahmenbedingungen grundlegend verbessert werden, bleiben die Beschäftigten im Beruf. Fakt ist derzeit, dass zu viele gut ausgebildete Arbeitskräfte bereits nach wenigen Jahren die Kitas wieder verlassen.

Kitas verlieren Personal

Laut eines Berichts des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung Baden-Württemberg (IAB) von 2023 kündigen Kitamitarbeitende überproportional häufig bereits im ersten Jahr der Beschäftigung – nur rund 75 Prozent der Einsteiger*innen überstehen die ersten zwölf Monate. Gerade mal zwei Drittel der Beschäftigten arbeitet nach fünf Jahren noch im Beruf. Die Ergebnisse sind ernüchternd und wir können sie nicht hinnehmen. Wir müssen alles daran setzen, gut ausgebildetes Personal in den Einrichtungen zu halten.

Im August schlug die Bertelsmann-Stiftung Alarm und veröffentlichte Zahlen zu Fehlzeiten von Kita-Beschäftigten. Die Ergebnisse basierten auf Daten der Krankenversicherungen. Kita-Mitarbeitende seien deutlich häufiger krank als der Durchschnitt aller Berufsgruppen, insbesondere lägen die Ausfälle hinter den Atemwegsinfekten wegen psychischer Belastungen über dem Mittelwert. Zwischen 2021 und 2023 stiegen die Krankheitstage um rund 26 Prozent auf etwa 30 Tage, somit zehn Tage mehr als bei allen anderen Versicherten. Anette Stein, Direktorin der Stiftung, forderte gemeinsam mit dem Fachkräfte-Forum, pädagogische Fachkräfte zu entlasten und die Ausfallzeiten mit Vertretungen aufzufangen. Dafür müsse Geld in die Hand genommen und für pädagogisch qualifizierte Vertretungskräfte gesorgt werden.

Die GEW schließt sich dem Appell an und fordert darüber hinaus, den Kitabereich insgesamt auf solidere finanzielle Beine zu stellen und zwar dauerhaft. Bund, Länder und Kommunen müssen eine langfristige und tragfähige Lösung vereinbaren, damit die Kitas für die Kinder und Eltern zuverlässig zur Verfügung stehen. Das ist derzeit nicht der Fall.

Übrigens sehen nicht nur die Beschäftigten, sondern auch die Bürger*innen die frühkindliche Bildung in der Krise. Laut einer aktuellen repräsentativen Forsa-Umfrage sagen 53 Prozent der Befragten, es gelinge dem System der Kindertagesbetreuung derzeit schlecht oder sehr schlecht, dass Familien mit kleinen Kindern Familie und Beruf oder andere Verpflichtungen vereinbaren könnten. Die Forsa-Umfrage hatte das Kita-Qualitätsbündnis aus Arbeiterwohlfahrt (AWO), GEW und dem Verband Katholischer Tageseinrichtungen (KTK) in Auftrag gegeben. Befragt wurden Ende August 2024 bundesweit rund 1.000 Menschen über 18 Jahren. Als größtes Problem wurde mit 87 Prozent zu wenig Personal beziehungsweise der zu schlechte Personalschlüssel benannt. Aber auch zu wenige Kitaplätze bzw. keine passenden Angebote (79 Prozent) in den Kitas sowie zu wenig Zeit für die pädagogische Arbeit mit den Kindern (73 Prozent) wurden als sehr große beziehungsweise eher große Probleme wahrgenommen.

Das ewige Gerangel um Zuständigkeiten

Die unsichere finanzielle Lage der Kitas muss folglich aus vielen Gründen ein Ende haben. Die Herausforderungen und Aufgaben der Kitas sind zu groß und lassen sich nicht lösen, wenn Jahr für Jahr beziehungsweise von einer Haushaltsberatung zur nächsten um die Finanzierung des elementaren Bildungs- und Betreuungssystems gebangt werden muss.

Die Kitaträger sind angewiesen auf kommunale Mittel und machen ihre Entscheidungen zu Personal und Ausstattung ihrer Einrichtungen von der Höhe der kommunalen Zuwendungen abhängig.

Die Kommunen wiederum, in deren Kassen es teilweise mau aussieht, müssen den von der Bundesregierung beschlossenen Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz umsetzen. Um diesen zu finanzieren, verhandeln sie mit dem Land die Zuschüsse.

Das Land indessen unterstützt manche Maßnahmen nur, wenn Bundesgelder dafür fließen.

Die Bundesregierung fühlt sich aber noch immer nicht wirklich für den Kitabereich verantwortlich.

Das ist ein nicht endendes Verantwortungsgerangel zulasten der Kinder, ihrer Familien und der Kita-Beschäftigten. Im Bundestag wurde jüngst darum gerungen, den Ländern in den kommenden zwei Jahren erneut zwei Milliarden Euro pro Jahr für die Kitaqualität zur Verfügung zu stellen. Übrigens zu wenig, meint nicht nur die GEW.

Viele finanzielle Unsicherheiten

Hätte sich das Bundesfinanzministerium durchgesetzt, wäre die Entscheidung gegen eine Weiterfinanzierung gefallen. Dann würde es unter anderem zukünftig in Baden-Württembergs Kitas keine zusätzlichen Fachkräfte für Sprachbildung geben. Unklar wäre auch, wie es mit der Leitungszeit in Kitas weitergeht. Das Land finanziert die aktuell sechs Stunden Leitungszeit pro Kita plus weiterer zwei Stunden pro Gruppe nämlich über exakt diese Bundesgelder.

Genauso sieht es mit den Landeszuschüssen für die Auszubildenden der Praxisintegrierten Ausbildung und deren Praxisanleitung aus. Für die nächsten beiden Jahre können die Träger mit den Kosten für diese Maßnahmen erst einmal rechnen. Aber die Zeit vergeht schnell und das Bundesgeld reicht nicht, um die von der Bertelsmann-Stiftung geforderten Vertretungskräfte zu qualifizieren und einzustellen.

Die GEW kritisiert wiederholt, dass die Mittel für die Leitungszeit und die Auszubildenden zu gering sind und immer nur für einen kurzen Zeitraum genehmigt werden. Diese und weitere grundlegenden Qualitätsmaßnahmen für die Kitas müssten aber kontinuierlich und in ausreichendem Umfang sichergestellt sein. Sowohl die Bundesregierung als auch die Landesregierung sind hier in der Verantwortung.

Warnungen der Wissenschaft

300 namhafte Wissenschaftler*innen und Fachorganisationen, darunter auch die GEW, forderten im September in einem offenen Brief Spitzenpolitiker*innen der Regierungsparteien auf, das Kita-Qualitätsgesetzt dauerhaft zu finanzieren. Sie schlugen Alarm, weil sie die Lage in den Kitas so einschätzen, dass das Wohl der Kinder leidet. Derzeit werden aktuelle Untersuchungen in Kitas durchgeführt, die die Auswirkungen der stressigen Situationen in den Kitas auf die Kinder näher in den Blick nehmen und schon jetzt warnt Prof. Rahel Dreyer, Entwicklungspsychologin und Verantwortliche der Studie, vor den Ergebnissen, die Ende Oktober erwartet werden.

Seit 2013 gibt es den Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz für Kinder ab einem Jahr. Seither setzt sich die GEW mit der AWO und der KTK dafür ein, dass die Bundesregierung regelhaft und in ausreichender Höhe in die Kitaqualität investiert. Kitas brauchen bundesweit verbindliche Standards, unter anderem gute personelle Ausstattung. „Die Teams können dann ihre Aufgaben zuverlässig erfüllen, wenn sie neben einer qualifizierten Leitung, die genug Zeit für ihre Leitungsaufgaben hat, Zugang zu Fachberatung und Prozessbegleitung haben“, sagt Anne Heck von der GEW-Landesfachgruppe Fach- und Praxisberatung für Kitas. Es müsse auch Zeit für Vor- und Nachbereitung sowie Fort- und Weiterbildung vorhanden sein. Ohne die Unterstützung der Länder könnten Kommunen und Träger die Ressourcen dafür nicht aufbringen.

Ehrlich erwähnt werden muss, dass eine solide Regelfinanzierung die derzeitigen Probleme in den Kitas nicht ad hoc wegzaubern könnte. Zu lange wurde der Mangelzustand von Fachkräften ignoriert. Es würde aber Planungssicherheit für Kommunen und Träger bedeuten, wenn dem elementaren Bildungs- und Betreuungsbereich die gebührende Wertschätzung und Dauerfinanzierung in ausreichender Höhe zugesichert würde. Die Kitas könnten konsequent besser ausgestattet und insgesamt ein anderer Weg eingeschlagen werden. Die GEW schlägt schon lange vor, Kitaleitungen und Fachkräfte zu entlasten. Nicht-pädagogische Aufgaben in der Verwaltung, Hauswirtschaft, im Gesundheits- und Hausmeisterbereich können andere Fachkräfte erledigen. Auch Kitasozialarbeit kann Kitakinder und ihre Familien unterstützen.

Notlösungen der Kommunen

Die kommunalen Landesverbände in Baden-Württemberg legen in ihrer Not das Kitagesetz flexibel aus, um schnelle Lösungen zu finden. Seit der Pandemie kann der Mindestpersonalschlüssel um 20 Prozent unterschritten werden. In jeder Kitagruppe sind zwei weitere Kinder erlaubt und Fachkräfte können durch sogenannte „geeignete Personen“ ersetzt werden. Dieser Weg birgt die Gefahr der De-Professionalisierung und belastet diejenigen, die grundständig ausgebildet sind, übrigens auch die Kitaleitungen. Dafür sprechen die jüngsten Krankenzahlen.

Immer weniger erfahrene Fachkräfte müssen wenig oder nicht qualifizierte und neue Kolleg*innen anleiten und gleichzeitig mehr Aufgaben übernehmen, weil die Unerfahrenen vieles nicht oder noch nicht erfüllen können. Oft wird zu wenig berücksichtigt, dass die Kitas einen Bildungsauftrag haben und dafür braucht es Bildungsexpert*innen. Bildung und Betreuung lassen sich nicht so leicht voneinander trennen, wie manch kommunal Finanzverantwortliche*r meint. Die pädagogische Begleitung, Förderung und Interaktion mit den Kindern erfordern eine hohe Kompetenz. Kinder sollen ganzheitlich, entwicklungsangemessen und individuell begleitet werden, ihre Prozesse gilt es professionell zu beobachten und zu dokumentieren, Fachkundige müssen angemessen interagieren, anregende Impulse geben, motivieren und nicht zu vergessen, die Eltern einbeziehen. Die Vielfalt der Kinder und ihrer Familien ist groß und es braucht nicht nur tragfähige Konzepte, sondern auch qualifizierte Mitarbeitende, um all den Anforderungen gerecht werden zu können. Die sprachliche Bildung beziehungsweise Sprachförderung der Kinder ist gerade in aller Munde und ein gutes Beispiel dafür, wie anspruchsvoll die Bildungszeit in der Kita ist und wie sehr der Druck auf die Mitarbeitenden steigt.

Nachdem zu viele Grundschulkinder der dritten Klassen in Baden-Württemberg in den bundesweiten Vergleichsarbeiten beim Lesen wiederholt schlecht abschnitten, hat Kultusministerin Theresa Schopper kurzer Hand zum neuen Kita-/Schuljahr für Sprachfördermaßnahmen Geld bereitgestellt. Die GEW würdigt den Willen und die Bereitschaft zur Investition ausdrücklich, hat aber große Bedenken was die Umsetzung der Konzepte anbelangt.

Als ein erster Schritt zu bewerten ist die Finanzierung des Landes von Fachberatungsstellen mit dem Fokus Sprache und die Möglichkeit, Zusatzkräfte für Sprache über Bundesmittel einzustellen. Damit können Maßnahmen zur alltagsintegrierten Sprachbildung, wie sie sich im Bundesprogramm Sprach-Kitas erfolgreich bewährt hatten, in zahlreichen Kitas in Baden-Württemberg umgesetzt werden. Die Mittel, die über die Schulgesetzänderungen in die Umsetzung der additiven Maßnahmen fließen, wären im alltagsintegrierten Modell besser angelegt.

Die politischen Entscheidungsträger*innen scheinen die Not in den Kitas inzwischen zu realisieren. Welche Tragweite sie für die Kinder hat, wird wohl noch unterschätzt. Die Finanzentscheidungen, die getroffen werden, gehen in die richtige Richtung, sind angesichts der Bedeutung, die das gut Aufgehoben-sein unserer Kinder und ihre Bildungsprozesse in der Kita haben, längst nicht ausreichend und angemessen.

Kontakt
Heike Herrmann
Referentin für Jugendhilfe und Sozialarbeit
Telefon:  0711 21030-23