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Datengestützte Qualitätsentwicklung

Ansatz sinnvoll, Umsetzung fragwürdig

Das Kultusministerium hat Mitte Januar die datengestützte Qualitätsentwicklung an Schulen aufs Gleis gesetzt. Auf einer Auftaktveranstaltung wurden die Aspekte erläutert. Worum geht es dabei? Welche Chancen und Risiken sind damit verbunden?

Auf dem Podium diskutierten von links: Thomas Riecke-Baulecke, Anne Sliwska, Daniel Hager-Mann, Susanne Pacher, Günter Klein und die Moderatorin (Foto: Kultusministerium Baden-Württemberg)
Auf dem Podium diskutierten von links: Thomas Riecke-Baulecke, Anne Sliwska, Daniel Hager-Mann, Susanne Pacher, Günter Klein und die Moderatorin (Foto: Kultusministerium Baden-Württemberg)

In der Filharmonie in Filderstadt herrscht unter den zahlreichen Vertreter*innen der Schulverwaltung Aufbruchsstimmung. Kultusministerin Theresa Schopper gibt den Startschuss für das wichtigste bildungspolitische Projekt dieser Legislaturperiode: Die datengestützte Qualitätsentwicklung. Diese umfasst die folgenden Teilaspekte: den Referenzrahmen Schulqualität, das Schuldatenblatt, Statusgespräche und Ziel- und Leistungsvereinbarungen.

In ihrem Grußwort greift Schopper das Schulbarometer auf. Am Vorabend hatte die Robert-Bosch-Stiftung die Ergebnisse der bundesweiten Studie präsentiert. Die befragten Schulleitungen identifizierten dort den gravierenden Personalmangel als ihr Hauptproblem. In Bezug auf Baden-Württemberg wurde auch aus dem Saal heraus die dünne Personaldecke bei den Schulpsycholog*innen konstatiert. Die besorgniserregende Personalausstattung in den Schulen bilde einen deutlichen Kontrast zu den ehrgeizigen Zielen, die mit der unbestreitbar notwendigen Qualitätsentwicklung verbunden seien. Dies brachte auch die GEW-Landesvorsitzende Monika Stein in ihrem Diskussionsbeitrag zum Ausdruck.

Die Kultusministerin formuliert ihre wichtigen Bildungsziele: Allen Kindern und Jugendlichen soll der Weg zum beruflichen Erfolg bereitet werden. Möglichst alle Schüler*innen sollen die Mindeststandards in Deutsch und Mathematik erfüllen und möglichst viele Schüler*innen sollen die sogenannten Optimalstandards erreichen. Mit Blick auf die für Baden-Württemberg enttäuschenden Ergebnisse des letzten IQB-Bildungstrends (Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen) dürfe die Corona-Pandemie keineswegs als einzige Erklärung verwendet werden. Die Defizite hätten weit darüberhinausgehende Ursachen. Mit der Einführung einer auf einem sozialindexbasierten Ressourcenzuweisung und dem Einsatz multiprofessioneller Teams sollen besonders benachteiligte Grundschulen gestärkt werden.

Ein Kommentar von Jürgen Stahl

Aus Sicht der GEW kann die datengestützte Qualitätsentwicklung ein sinnvoller Ansatz sein, dem bisher aber wesentliche Voraussetzungen fehlen, damit er an den Schulen erfolgreich umgesetzt werden kann. Die einzelnen Elemente sollten erst eingeführt werden, wenn alle Beteiligten ausreichend fortgebildet sind. Neben den inhaltlichen Kenntnissen ist die Haltung aller Beteiligten eine notwendige Bedingung für das Gelingen. Nur wenn die Gespräche zwischen der Schulverwaltung und den Schulleitungen partnerschaftlich auf Augenhöhe geführt werden, und so ein echter dialogischer Prozess möglich wird, kann eine Verbesserung an den Schulen erreicht werden. Die GEW empfiehlt deshalb eine schrittweise und behutsame Einführung der neuen Instrumente.

Unterricht fällt aus

Die Umsetzung der Ziele lässt sich keinesfalls innerhalb eines Jahres bewältigen. Schulische Prozesse brauchen Zeit für Akzeptanz und Umsetzung. Und am Wichtigsten: Die Schulen müssen niederschwellig auf qualifizierte Unterstützungsmaßnahmen ­zurückgreifen können, um die identifizierten Problemen zu verändern. Dazu gehört, dass die Schulen zunächst selbst ausreichend mit Personal versorgt sind. An vielen Schulen herrscht derzeit ein eklatanter Personalmangel, und Unterricht fällt aus. Diesen Schulen fehlt die Zeit und die Kraft, sich auf Veränderungsprozesse einzulassen. Und es wird diese Schulen zu Recht frustrieren, wenn sie mit den Problemen allein gelassen werden. Die Schulen brauchen Personen von außen, die sie bei den Veränderungsprozessen unterstützen. Die Fachberater*innen des ZSL, die als Prozessbegleitung zur Verfügung stehen sollten, müssen für die einzelnen Schulen genug Zeit haben. Und die Ziel- und Leistungsvereinbarungen dürfen nur Elemente enthalten, die mit den vorhandenen Ressourcen umgesetzt werden können.

Das Kultusministerium (KM) und die nachgeordneten Schulverwaltungen zeigen sich überzeugt von der datengestützten Qualitätsentwicklung. Aber die Beziehungsarbeit zwischen Lehrkräften und Schüler*innen ist ein herausragender Bestandteil der Erziehungsarbeit.

Viele Elemente des Qualitätskonzepts sind richtig. Die Menschen im Kultusministerium, im Institut für Bildungsanalysen Baden-Württemberg (IBBW) und im ZSL (Zentrum für Schulqualität und Lehrerbildung Baden-Württemberg) arbeiten engagiert und kompetent an der Umsetzung. Aber es geht zu langsam voran. Ein Beispiel ist der Pilotversuch für eine ressourcenbasierte Mittelzuweisung mit Hilfe eines Sozialindexes an den Grundschulen. Die Erfahrungen aus anderen Bundesländern, wie in Hamburg machen jahrelange und wenig ambitionierte Modellversuche überflüssig. Es fehlt der Landesregierung offensichtlich schlicht der Wille, ausreichend Mittel für den Primarbereich zur Verfügung zu stellen.

Alle Beteiligten im Kultusministerium und der Schulverwaltung sollten die Prozesse selbstreflexiv betrachten, wenn das eine oder andere nicht so gelingt, wie es den Vorstellungen entspricht. Es wäre hilfreich, wenn sich die Schulverwaltung und die Institute ebenfalls einer transparenten Qualitätskontrolle unterziehen würden.

Wie die verschiedenen Elemente der datengestützten Qualitätsentwicklung ineinandergreifen sollen, erklärt die Kultusministerin. Zu Beginn des Schuljahres 2023/2024 erhält jede Schule das Schuldatenblatt. Es ist Grundlage des Statusgesprächs zwischen Schulleitung und einem Mitglied der Schulverwaltung. In einem dialogischen Prozess soll eine Ziel- und Leistungsvereinbarung zwischen Schule und Schulverwaltung geschlossen werden. Die Ziele sollen an allgemeinbildenden Schulen binnen ein bis drei Jahren, an berufsbildenden Schulen binnen drei bis fünf Jahren umgesetzt werden. Unabhängig davon findet jährlich ein Statusgespräch statt. Zur Unterstützung steht der Referenzrahmen Schulqualität zur Verfügung. Er dient als Richtschnur für Lehren und Lernen, Professionalität und Zusammenarbeit, Führung und Management sowie datengestützte Qualitätsentwicklung.

Interpretation von Daten

Die Implementierung der vielfältigen Instrumente wird nicht von heute auf morgen gelingen. Die erfolgreiche Umsetzung des Konzepts soll zehn bis 15 Jahre dauern. Die richtige Auswahl und Interpretation von Daten ist keine Selbstverständlichkeit. Sie bedarf eines geschulten Blicks der beteiligten Personen. Insofern sind die geplanten Fortbildungen für Schulverwaltung, Schulleitungen und für alle Lehrkräfte eine zentrale Gelingensbedingung. Das geflügelte Wort „von Daten zu Taten“ ist gewiss kein Selbstläufer. Wichtig ist die Zusage von Schopper, dass mit den Daten kein Schulranking geplant ist.

Objektiv erfasst und passgenau bearbeitet

Nach Aussagen von Ministerialdirektor Daniel Hager-Mann und Ministerialrätin Kerstin Hösch sollen Bildungsgerechtigkeit und Verbesserung der Schul- und Unterrichtsqualität wie folgt erreicht werden: Mit Hilfe der Daten soll der Handlungsbedarf für passgenaue Maßnahmen objektiv erfasst werden. Maßnahmen sollen stärker an wissenschaftlichen Erkenntnissen ausgerichtet werden. Maßnahmen und Programme zur Qualitätsentwicklung sollen verbessert und miteinander verzahnt werden.

Den Abschluss der Veranstaltung bildete eine Podiumsdiskussion, an der unter anderem Professorin Anne Sliwka (Uni Heidelberg) und Dr. Günter Klein, Direktor des IBBW (Institut für Bildungsanalysen Baden-Württemberg) teilnahmen. Geradezu euphorisch zeigte sich Sliwka, die von einem historischen Tag und von einem Paradigmenwechsel vom administrativen zum adaptiven Schulsystem sprach. Sie verwies darauf, dass den Schulen nicht wie in Großbritannien massive Konsequenzen bei Qualitätsmängeln drohen würden. Vielmehr gehe man von einem „no blame approach“ aus. Andererseits müsse man eine hohe Verbindlichkeit der Ziel- und Leistungsvereinbarungen einfordern Klein verwies darauf, dass nur „nützliche Daten“ erhoben werden sollten. Er hob die Bedeutung der Prozessebene hervor. Die Gespräche zwischen den Beteiligten verschiedener Ebenen seien asymmetrisch. Deshalb sei es so wichtig anzuerkennen, dass auf jeder Seite Expert*innen seien, sowohl beim Dialog zwischen Schulverwaltung und Schulleitung, als auch beim Gespräch zwischen Schulleitung und Lehrkraft.

Kontakt
Jürgen Stahl
Leiter Vorstandsbereich Allgemeine Bildung