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Schulbesuch in Mannheimer Grundschule

Anschauungsunterricht für politische Entscheider*innen

Die Hochstätt in Mannheim ist Brennpunkt pur. Mittendrin: die Astrid-Lindgren-Schule. „Wir machen vieles gut“, sagt die Schulleiterin. Davon haben sich Vertreter*innen der GEW und der SPD-Landtagsfraktion Anfang Juli ein eigenes Bild gemacht.

von links: Steffen Kling (Lehrer), Manuel Rüttinger (Konrektor), Julia Zamzau (Lehrerin),  Stefan Fulst-Blei, Katrin Steinhülb-Joos (beide SPD), Sylvie Ruckh (Schulleiterin), Andreas Stoch (SPD), Alexander Hecker, Monika Stein (beide GEW), Dirk Grunert (Bildungsbürgermeister),  Ricarda Kaiser (GEW), Dennis Baranski (Stadt Mannheim)
von links: Steffen Kling (Lehrer), Manuel Rüttinger (Konrektor), Julia Zamzau (Lehrerin), Stefan Fulst-Blei, Katrin Steinhülb-Joos (beide SPD), Sylvie Ruckh (Schulleiterin), Andreas Stoch (SPD), Alexander Hecker, Monika Stein (beide GEW), Dirk Grunert (Bildungsbürgermeister), Ricarda Kaiser (GEW), Dennis Baranski (Stadt Mannheim) (Foto: Jonas Froehlich)

Die GEW hat die Abgeordneten in die Ganztagsgrundschule eingeladen. „Unser Ziel ist, den politisch Verantwortlichen zu zeigen, wie die GEW auf ihre Forderungen kommt und warum diese Forderungen berechtigt sind“, erklärt die Landesvorsitzende Monika Stein den Zweck der Übung.

Den Anschauungsunterricht in der schulischen Realität haben Bildungspolitiker*innen aus dem Landtag nach Meinung der GEW-Chefin vielfach nötig. Sie hat schon dem Grünen-Fraktionschef Andreas Schwarz in Heilbronn über den Personalmangel in der Gemeinschaftsschule die Augen geöffnet. Im Herbst plant die GEW eine Lehrfahrt für Manuel Hagel und seine CDU-Bildungspolitiker*innen zu einer Gemeinschaftsschule in Blaubeuren. Auch der FDP will Stein noch eine praktische Lektion in Aussicht stellen.

„Unser Ziel ist, den politisch Verantwortlichen zu zeigen, wie die GEW auf ihre Forderungen kommt.“ (Monika Stein, GEW-Landesvorsitzende)

Die SPD-Delegation in Mannheim war vergleichsweise gut im Stoff. Landes- und Fraktionschef Andreas Stoch kann mehr als drei Jahre als baden-württembergischer Kultusminister vorweisen. Der Mannheimer Abgeordnete Stefan Fulst-Blei ist von Haus aus Berufsschullehrer, die Stuttgarterin Katrin Steinhülb-Joos war Schulleiterin.

Und doch, Stoch hat der Besuch in der Astrid-Lindgren-Schule wieder einmal gezeigt: „Schule und Bildungspolitik müssen die gesellschaftliche Dynamik aufnehmen, um den Kindern die bestmöglichen Bildungschancen zu geben“. Es sei zu fragen, „Passt das bildungspolitische Instrumentarium noch zur Realität?“ Besonders die Bildungsfinanzierung müsse neu diskutiert werden.

Die Astrid-Lindgren-Schule hat „Kinder mit zum Teil sehr herausforderndem Verhalten“, sagt Ruckh. Da zeigt sich, dass alte Rahmenbedingungen nicht zum heutigen Schulalltag passen. Zum Beispiel die Arbeitszeit. 28 Deputatsstunden gibt es an der Grundschule, so viele wie an keiner anderen Schulart. Arbeit am Wochenende sei an der Tagesordnung, berichtet der Lehrer Steffen Kling. Im Ganztag stimme die Stundenzuweisung nicht, macht die Rektorin ein Beispiel. Es könne nicht sein, dass für zwei Stunden Arbeit im Lernband nur eine Deputatsstunde angerechnet werden sollte. Die Lehrkräfte fordern eine neue Definition ihrer Arbeitszeit. Die GEW hat die Anregung aufgenommen. „Da muss man am ganz großen Rad drehen“, pflichtet die stellvertretende GEW-Vorsitzende Ricarda Kaiser ihren Kolleg*innen bei.

Das Personal: 20 Lehrkräfte, zwei Referendar*innen, eine pädagogische Assistenz, ein Erzieher*innenteam aus dem Schifferkinderheim, eine Sozialarbeitsstelle, ein FSJ, eine Schulleiterin und ein Konrektor. Dazu kommt eine zusätzliche Lehrkraft ohne formale Befähigung zum Lehramt. 22 Stunden Sonderpädagogik gibt es für die Inklusionsklasse mit sieben Kindern.

Die Schüler*innen: Die Grundschule ist zweizügig und hat zwei Grundschulförderklassen. Für eine Ganztagsschule ist sie mit 165 Schülern relativ klein.

Das gilt auch für die Schulleitungen. „Die Entlastungsstunden für die Schulleitung sind weit weg von der Wirklichkeit“, konstatiert die Rektorin. „Die Wirklichkeit wird dominiert von einem gewaltigen Organisationsaufwand. Der Ganztag bringt Kooperationen mit Vereinen, pädagogischen Assistent*innen, Sozialarbeiter*innen und, und, und. Auch wenn es noch mehr Verwaltungsarbeit mit sich bringt, es muss noch mehr Personal an die Schulen“, sagt Sylvie Ruckh.

„Die Entlastungsstunden für die Schulleitung sind weit weg von der Wirklichkeit.“ (Sylvie Ruckh, Schulleiterin)

Die Schulleitung braucht Fachkräfte aller Art. Da bedeutet das Startchancenprogramm des Bundes und der Länder „einen sehr großen Hoffnungsschimmer“. Ein zentrales Element des Programms für Schulen mit benachteiligten Kindern und Jugendlichen ist die Finanzierung multiprofessioneller Teams. Ruckh möchte die Kooperation mit der Heilpädagogin ausweiten. Aber sie weiß nicht, wie viel Geld die Schule aus dem Startchancenprogramm erhält, geschweige denn, wann es kommt. So kann sie keine Verträge abschließen und muss notgedrungen warten, bis Anfang Oktober Informationen aus dem Kultusministerium kommen.

„Das Personal einer Schule muss passgenau zusammengestellt werden, Lehrkräfte müssen von allem entlastet werden, was nicht zwingend von Lehrkräften gemacht werden muss“, sagt Andreas Stoch. Aber: „Wo kriegen wir die Leute für die multiprofessionellen Teams her?“, fragt Dennis Baranski, der Koordinator der Stadt Mannheim für den Ausbau der Ganztagsschulen. Nicht nur Grund- und Sonderschullehrkräfte sind knapp. Auch ein Verwaltungsassistent oder eine Logopädin seien nicht so leicht zu finden. Außerdem habe jede Schule ihre eigenen Herausforderungen.

Schule ist Vollversorger

Nicht wenige Kinder an der Astrid-Lindgren-Schule haben vor Schulbeginn noch nie ein Buch oder eine Schere gesehen. Für manche Hausaufgabe geben die Lehrer*innen den Kindern Papier mit nach Hause. Die Schulleitung richtet auch schon mal Eltern eine E-Mail-Adresse ein, damit die ihre Kinder zum Essen anmelden können. Die Schule ist ein Vollversorger. „Ganztag ist das einzige Mittel, diesen Kindern Bildungsgerechtigkeit zukommen zu lassen“, betont der Konrektor Manuel Rüttinger. Eigentlich müsste Ganztag flächendeckend angeboten werden. Der politische Besuch nickt zustimmend.

„Das A und O in der Bildungspolitik ist mehr Personal und kleinere Klassen.“ (Manuel Rüttinger, Konrektor)

Die Arbeit ist aufreibend. Die Schulleitung blickt auf eine Zeit zurück, als im Lehrkräftezimmer Tränen der Überforderung flossen. Inzwischen sind viele Lehrkräfte bereits seit etlichen Jahren an der Schule. Die Kontinuität spricht für die gute Stimmung.

Der Aufwand zahlt sich aus. Zumindest atmosphärisch. Isabel aus der Klasse 3a ist begeistert von ihrer „tollen Schule“. Sie lobt das Frühstück, das Mittagessen, die Spielzeit, die Ausflüge. „Alle sind sehr nett hier, sogar die Jungs.“

Mit ihrem Gehalt sind die Lehrerinnen und Lehrer aber gar nicht zufrieden. Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und das Saarland bezahlen ihre Grundschullehrkräfte nach A12, alle anderen Länder haben sie eine Besoldungsklasse höher eingestuft oder sind dabei das zu tun. Steffen Kling, der Klassenlehrer von Isabel, wundert es nicht, dass Pädagog*innen aus Mannheim nach Hessen abwandern. Die Forderung ist klar. Mehr Geld für die Lehrkräfte und in der Folge auch für die Schulleitungen. Monika Stein versichert „die GEW macht Druck“.

„Das Personal einer Schule muss passgenau zusammengestellt werden, Lehrkräfte müssen von allem entlastet werden, was nicht zwingend von Lehrkräften gemacht werden muss.“ (Andreas Stoch; SPD Landes- und Fraktionschef)

Die Gäste aus dem Landtag und von der GEW wollen unterstützen. „Wo fehlt‘s?“, fragt Stoch und bringt die frühkindliche Bildung ins Spiel. Die Schulleitung würdigt die Sprachförderung der Kitas, das genüge aber bei weitem nicht: „Viele Kinder haben sehr große Defizite im sozial-emotionalen Bereich“. Da müsse deutlich mehr geschehen. Das schreibt sich die GEW-Chefin Stein in ihr Aufgabenheft.

Auch die Verzahnung zwischen Kita und Schule könnte besser sein, meint der Konrektor Manuel Rüttinger. Eine Kooperationsstunde sei zu wenig. Jedes zweite Kind, das in die Astrid-Lindgren-Schule komme, sei eigentlich nicht schulbereit.

„Jedes zweite Kind, das in die Astrid-Lindgren-Schule kommt, ist eigentlich nicht schulbereit“ (Sylvie Ruckh, Schulleiterin)

Die Schule tut, was sie kann. „Wir powern die ersten Klassen mit Personal voll“, berichtet die Schulleiterin. In jeder ersten Klasse ist eine Erzieherin dabei. Seit Jahren kommen Fachkräfte aus dem Schifferkinderheim an die Astrid-Lindgren-Schule. „Wenn eine Erzieherin in der Klasse ist, hilft das wahnsinnig“, berichtet die Lehrerin Melissa Zielonka.

Allerdings: „28 Kinder in der ersten Klasse sind untragbare Zustände“, schreibt Sylvie Ruckh den Besuchern ins Stammbuch. Sie lobt zwar ausdrücklich die Personalzuweisung an ihre Schule, betont aber: „Das A und O in der Bildungspolitik ist mehr Personal und kleinere Klassen.“ Das ist Wasser auf die Mühlen von GEW und SPD.

Bei der Lehrerin Melissa Zielonka weckt der Besuch gemischte Gefühle. Alle wüssten offenbar, woran es hake, bilanziert sie. Dafür geht es ihrer Meinung nach in der Schulpolitik nicht zügig genug voran. Positiv blickt dagegen Konrektor Manuel Rüttinger in die Zukunft. „Viele Dinge sind nun auf den Weg gebracht.“ Das sieht auch Sylvie Ruckh so. Kurzfristig tue es gut „von den Besuchern Wertschätzung zu erfahren“.

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Maria Jeggle
Redakteurin b&w
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