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Kindertageseinrichtungen

Arbeitsbedingungen für Beschäftigte ­völlig unbefriedigend

Seit Ende Juni sind die Kitas in Baden-Württemberg wieder offen. Sie sollen ein gesamtes Kita-Jahr lang unter Pandemiebedingungen arbeiten. Für die Beschäftigten ist die Situation herausfordernd.

Eine Frau putzt einem Kleinkind die Nase.
Nach der „Schnupfenregelung“ ­dürfen fieberfreie Kinder mit Schnupfen in die Kita. (Foto: © imago)

Das Kultusministerium hatte die Corona-Verordnung für Kitas in Absprache mit den kommunalen Spitzenverbänden und Kita-Trägern beschlossen. Die Gewerkschaften wurden lediglich angehört. Laut Verordnung kann unter anderem

  • die Mindestpersonalanzahl der Fachkräfte um bis zu 20 Prozent unterschritten werden – die Aufsichtspflicht muss gewährleistet werden
  • bei weiterer Unterschreitung des Mindestpersonalschlüssels muss ein Ersatz durch geeignete Erziehungs- und Betreuungspersonen gewährleistet werden, die Aufsichtsbehörde ist lediglich zu informieren.

In vielen Kitas herrschte bereits vor der Pandemie Personalmangel und manche Teams arbeiteten immer wieder an der Grenze ihrer Belastbarkeit. „Aber von Anfang an eng auf Kante genäht arbeiten, das kann nicht lange gut gehen“, so die Einschätzung einer ­langjähri­gen Kitaleitung aus Stuttgart. „Die Politi­ker*­innen und Kitaträger müssen sich doch auch mal fragen, was das mit den Menschen macht, wenn sie täglich Stress ausgesetzt sind, weil die Kitas personell unterbesetzt sind. Eine meiner jungen Mitarbeiter*innen brachte es vor kurzem auf den Punkt. Sie meinte, es sei schwer, motiviert zu bleiben, wenn sie ständig das Gefühl habe, pädagogisch nicht gut arbeiten zu können, weil überall die Zeit fehle.“

Zusätzlich fahren nun auch noch Kita-Träger, die seit Jahrzehnten gute Konzepte und angemessene Leitungsfreistellung hatten, die Leitungszeit auf ein Minimum zurück, wenn Personal fehlt. Träger, die auf Qualität setzten, hatten schon lange mehr Zeit für Leitungsaufgaben vorgesehen, als es die jetzige Landesverordnung verlangt. „Mit dem Mehr an Zeit waren in der Regel auch unsere Leitungs-Aufgaben gewachsen. Wir wissen inzwischen doch alle: Gute Kita-Leitung braucht Zeit und ist Voraussetzung für gute Qualität“, so die Reaktion einer Kitaleitung auf die jüngsten Entscheidungen des Trägern, die Leitungszeit zu reduzieren.
Vom Kultusministerium, den kommunalen Spitzenverbänden und ­Kitaträgern wird der Prozess der Kitaöffnung als positiv erlebt. Die GEW bewertet die Situation, vor allem für die Beschäftigten kritisch. GEW-Mitglieder berichten, wie anstrengend ihr Kita-Alltag derzeit ist. Es sollten beispielsweise Hygiene­ver­ordnungen eingehalten werden, obwohl es in manchen Kitas noch nicht mal Seifenspender in den Sanitärräumen gäbe. Unter Erwachsenen müssten die Abstandsregeln eingehalten werden. Das bedeute, Eltern würden ihre Kinder zu unterschiedlichen Zeiten bringen und abholen. Das müsse geplant werden. Auch für die Eingewöhnung von neuen Kindern, bei denen die Eltern mit in der Kita seien, müssten neue Regeln erstellt werden. Insgesamt sei die Personalplanung um ein Vielfaches schwieriger, weil nicht gruppenübergreifend gearbeitet werden dürfe.

Mit entscheidend für die Öffnung der Kitas war die Covid19-Kinderstudie BW, laut derer sich Kinder seltener als Erwachsene am Virus anstecken und erkranken sollen. Fakt ist aber, dass es trotzdem kranke Kolleg*innen und ­Kinder in den Kitas gab und bereits einige Kitas in Baden-Württemberg schon wieder geschlossen werden mussten. Viele Mitarbeiter*innen sorgen sich wegen des Restrisikos einer Infektion und kritisieren, dass es in der öffentlichen Diskussion nicht um ihre Gesundheit gehe.

„Es ist nicht fair, so zu tun, als sei die Welt der Erzieher*innen in Ordnung. Viele von uns sind nach wie vor verunsichert. Wir müssen mit unseren berechtigten Ängsten klarkommen und sollen trotz der veränderten Rahmenbedingungen die gleiche gute Arbeit abliefern“, kommentiert eine Erzieherin den momentanen Zustand. „Uns Beschäftigten gebührt Wertschätzung für das, was wir jetzt leisten. Stattdessen werden wir von Eltern häufig kritisiert, weil nicht alles so ist wie vor Corona. Es gibt Eltern, die wenig Verständnis für uns Mitarbeiter*innen aufbringen und nicht kooperieren. Es ist mühsam und ärgerlich, wenn wir immer wieder einfordern müssen, dass Abstands- und Hygieneregeln eingehalten oder Masken beim Bringen und Abholen der Kinder getragen werden.“ Mit Besorgnis blicken die Kita-Fachkräfte auch auf die kältere Jahreszeit und die vom Kultusministerium vorgesehene „Schnupfenregelung“, nach der Kinder, sofern sie fieberfrei sind, mit Schnupfen in die Kita können. Nicht alle Eltern handeln verantwortungsbewusst und denken an das Wohl der Beschäftigten und anderer Kinder. Derzeit kämen auch Familien aus Risikogebieten aus dem Urlaub zurück und hielten keine Quarantänezeiten ein. Es sei sogar schon vorgekommen, dass Eltern, die positiv auf Corona getestet waren, ihr Kind in die Kita gebracht hätten.

Nicht nur Beschäftigten, auch Kindern wird mit der derzeitigen Regelung einiges zugemutet. „Das Wohl der Kinder wurde zwar als Argument für die Öffnung der Kitas genannt, danach gehandelt wird nicht immer“, beklagt eine Kita-Mitarbeiterin. „Der Kita-Alltag ist komplett anders strukturiert, die Kinder werden wieder in festen Gruppen betreut und dürfen sich nur eingeschränkt bewegen, selbst das Singen, das für Kinder enorm wichtig ist, ist noch nicht erlaubt“.

Auch die neuesten Ergebnisse des ­Ländermonitoring Frühkindliche Bildung 2020 (siehe Text Seite 14) belegen den Fachkräftemangel. Politisch- und Trägerverantwortliche waren sich einig, dass das Arbeitsfeld attraktiver werden muss. Um Kitas zu entlasten, plant die Landesregierung nun ein Modellprojekt Praxisintegrierte Kinderpfleger*innen-Ausbildung und ein Direkteinsteigerprogramm. Quali­fiziert werden sollen im Direkteinsteigerprogramm diejenigen, die bereits als Zusatzkräfte, aber ohne pädagogischen Abschluss in der Kita arbeiten, auch Personen, die als pädagogische Zusatzkräfte beschäftigt werden könnten ,und fachfremde Inte­re­ssent*­innen, die in Kitas wechseln wollen.

Die GEW warnt davor, immer mehr verkürzt ausgebildetes Personal in die Kitas zu holen. Es gibt bereits Qualifizie­rungswege für diejenigen, die in einer Kita arbeiten möchten, z. B. über die Schul­fremdenprüfung oder den Weg der Umschulung. Dringend geboten wäre nach Auffassung der GEW, verstärkt höher qualifiziertes Personal wie die Kind­­heitspädagog*innen in den Kitas zu beschäftigen und dort zu halten. Und diejenigen, die sich in einer Qualifizierung befinden, dürften keinesfalls auf den Personalschlüssel angerechnet werden.“