Laut Statistischem Bundesamt gab es im Wintersemester 2010/2011 rund 200.400 von Professor/innen betreute Promovierende in Deutschland. 67 Prozent davon waren an einer Hochschule angestellt. Doch viele Hochschulen bieten ihrem wissenschaftlichen Nachwuchs keine guten Arbeitsbedingungen: So unterschreiten die Hochschulen das geltende Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG) und befristen in der Promotionsphase ihre Beschäftigten auf nur maximal drei Jahre, häufig sogar noch kürzer – sechs Jahre wären zulässig. Manche Doktorand/innen bekommen einen Halbjahresvertrag nach dem anderen. Wenn Promovierende Eltern werden, erhalten sie meistens nicht die Verlängerung der Befristungsdauer, die ihnen zusteht. Die Folge ist eine unsichere Lebensplanung. Dazu kommt die meist geringe Bezahlung aufgrund der fast ausschließlichen Vergabe von halben Stellen. Fast jede/er zweite Doktorand/in hat schon einmal darüber nachgedacht, die Promotion abzubrechen. Das geht aus einer Studie der Hochschul-Informations-System GmbH (HIS) hervor. Mehr als ein Drittel der Promovierenden klagt über eine schlechte Betreuung. Strukturelle Vorgaben, wie eine Betreuung aussehen sollte, gibt es bisher jedoch kaum. Zwischen Promovierenden und Doktor/innenmutter/vater besteht eine starke Abhängigkeit. Gerade wenn die erstbetreuende Person gleichzeitig auch Gutachter/in und Arbeitgeber/in ist, ist die Abhängigkeit selten förderlich für ein freies und eigenständiges wissenschaftliches Arbeiten. Über einen langen Zeitraum von meist mehr als drei Jahren sind die Promovierenden auf das Wohlgefallen der betreuenden Personen angewiesen, sei es für die Möglichkeit des Publizierens, der Teilnahme an Tagungen oder Projekten. Geschlossene Vereinbarungen, etwa über die Regelmäßigkeit des Austausches oder den Umfang an übernommenen Arbeiten, sind aus dieser strukturell benachteiligten Position nur schwer einzufordern oder abzulehnen.
Der Begriff „Betreuung“ und dessen gegenwärtige Ausgestaltung begründet ein hierarchisches und asymmetrisches Abhängigkeitsverhältnis und sollte überdacht werden. Kollegiale Beziehungen, die einander unterstützend wirken, aber dennoch die nötigen Freiräume für ein selbständiges wissenschaftliches Arbeiten eröffnen, sind unter diesen Bedingungen kaum vorstellbar. Deshalb ist es an der Zeit, sich von der Betreuung als Abhängigkeitsverhältnis zu verabschieden. Betreuung sollte als strukturierte und verbindliche Begleitung der Promovierenden während der gesamten Promotionsphase verstanden werden. Die GEW will eine verbindliche Betreuungsvereinbarung, welche die Betreuung formalisiert, strukturiert und transparenter macht. Auch das Wissenschaftsministerium plant die Einführung einer solchen Promotionsvereinbarung, die zwischen der/m Promovendin/en und der Betreuerin oder dem Betreuer zu Beginn des Promotionsverfahrens abgeschlossen wird und die beiderseitigen Rechte und Pflichten festhält. Das ist einer der Vorschläge, die laut Landesregierung im Frühjahr 2014 Eingang in die Novellierung des Landeshochschulgesetzes finden sollen. Ein Ziel der Novellierung des Landeshochschulgesetzes ist es, die Nähe zwischen inhaltlicher Arbeit und der Abhängigkeit zur Stelle aufzulösen. Das kann zum Beispiel funktionieren indem der/die Doktorand/in nicht am Lehrstuhl des/der eigenen Professors oder Professorin, sondern von der Fakultät angestellt wird.
Die GEW schlägt vor, dass die Betreuungsvereinbarung in einem Gespräch zwischen Promovierenden, Betreuungsperson und Institution auf die individuelle Situation und das Bedürfnis der Promovierenden abgestimmt wird, damit keine überreglementierten und nicht-kommunizierten Aufgaben draus entstehen können. Auch soll die Teilnahme an promotionsbegleitenden Programmen, die an vielen Graduiertenkollegs angeboten werden, freiwillig sein. Es sollte ebenfalls berücksichtigt werden, dass Professor/innen besser auf eine Betreuung vorbereitet werden können, wenn sie im Rahmen der Berufung speziell für diese Aufgabe geschult werden.
Eine weitere Möglichkeit die Betreuung neu zu strukturieren wäre die Peer-Betreuung zu etablieren. Das Abhängigkeitsverhältnis zwischen Betreuer/in und Promovierendem/r wird in dieser anderen Form der Betreuung entkoppelt, indem der oder die Promovierende von mehreren Personen gleichzeitig strukturell und fachlich begleitet wird. Die Promotion sollte als erste Phase selbstständiger, wissenschaftlicher Arbeit verstanden werden, in der die Promovierenden als Kolleg/innen auf Augenhöhe wahrgenommen werden und in einem kollegialen Team ihren Platz finden können.
Außerdem tritt die GEW für mehr Transparenz und soziale Gerechtigkeit beim Zugang zur Promotion ein – auch für Fachhochschulabsolvent/innen. Die GEW fordert, dass es sichere, berechenbare Karrierewege geben muss und sich die Arbeitsbedingungen verbessern. Promovieren sollte durch ein ausreichend tarifvertraglich geregeltes Beschäftigungsverhältnis mit Sozialversicherungsschutz abgesichert sein. Mindestens drei Viertel der Arbeitszeit sollten für die eigenständige Qualifikation zur Verfügung stehen. gew.de/ProG_DoktorandInnen.html