Interview
„Auf gute finanzielle Beine stellen“
Harald Bischoff arbeitet als Sozialarbeiter in der Sozialpädagogischen Familienhilfe, die die gesamte Familie im Blick hat. Er sprach mit uns über die Arbeitsbedingungen, seine Erwartungen an die Politik und die Tarifauseinandersetzungen.
Harald Bischoff arbeitet als Sozialarbeiter in der Sozialpädagogischen Familienhilfe, einer Jugendhilfe Maßnahme, die die gesamte Familie im Blick hat. In der b&w spricht er über seine Aufgaben, die Arbeitsbedingungen und seine Erwartungen an die Politik und die Tarifauseinandersetzungen im Sozial- und Erziehungsdienst.
Die Sozialpädagogische Familienhilfe ist ein Regelangebot der Jugendhilfe, die Hilfen zur Erziehung regelt. Welche Aufgaben hat dort eine Fachkraft?
Harald Bischoff: Als Familienhelfer begleite ich Familien mit dem Ziel, deren Lebenssituation zu verbessern. Wenn Eltern in einer schwierigen Situation sind, geht es den Kindern in der Regel auch nicht gut. Es ist daher wichtig, die gesamte Familie zu unterstützten und Eltern in eine Lage zu versetzen, dass sie nach ihren Kindern schauen und ihnen Orientierung geben können. Es kommt darauf an zu verstehen, was sie brauchen. Der Bedarf an Unterstützung kann ganz unterschiedlich sein. Das macht die Tätigkeit sehr vielfältig und interessant.
„Es ist daher wichtig, die gesamte Familie zu unterstützten und Eltern in eine Lage zu versetzen, dass sie nach ihren Kindern schauen und ihnen Orientierung geben können.“ (Harald Bischoff, Vorsitzender im Team der Landesfachgruppe ambulante und stationäre Kinder und Jugendhilfe in der GEW)
Die Sozialpädagogische Familienhilfe wird vom Jugendamt in die Wege geleitet. Wenn Kinder in der Familie nicht ausreichend gefördert werden können oder Vernachlässigung droht beziehungsweise das Kindeswohl gefährdet ist, dann muss das Jugendamt aktiv werden und je nach Hilfebedarf entsprechende Angebote machen oder Maßnahmen anordnen, beispielsweise die Sozialpädagogische Familienhilfe.
Entsteht der Kontakt von Familienhelfer*innen zu den Familien demnach über das Jugendamt?
Bischoff: Ja, das Jugendamt ist Auftraggeber der Sozialpädagogischen Familienhilfe. Es gibt den Auftrag an einen Träger der Jugendhilfe weiter, der wiederum festlegt, welche Person die Familienhilfe übernimmt. Als Familienhelfer muss ich wissen, wie genau mein Auftrag aussieht. Bin ich da, um zu unterstützen oder habe ich zusätzlich einen Kontrollauftrag? Es ist wichtig, dass dies den Familien transparent gemacht wird. Hierzu finden klärende Hilfeplangespräche statt. Gemeinsam mit dem Jugendamt und der Familie werden in diesen Gesprächen Ziele festgelegt, die allen Beteiligten eine Orientierung geben.
Wie können diese Ziele aussehen?
Bischoff: Ein Ziel kann beispielsweise sein, dass ein Kind regelmäßig in die Schule geht oder dass alle Rechnungen bezahlt werden, damit dauerhaft Strom zur Verfügung steht und geheizt werden kann. Heute Morgen erhielt ich einen Anruf von einer Mutter, weil der Familie der Strom abgestellt wurde. Wenn solche Dinge passieren, dann hat das selbstverständlich Auswirkungen auf die Kinder. Ich habe deshalb beim Versorger angerufen, mit der Arbeitsagentur gesprochen und angeboten, bei einem Gespräch mit dem Vermieter dabei zu sein. Manchmal braucht es schnelle und pragmatische Lösungen, um einer Familie zu helfen.
Ziele sollten möglichst konkret formuliert werden, damit sie überprüfbar sind. Es lässt sich schwer kontrollieren, wenn ich als Ziel festlege, Eltern sollen dem Kind gegenüber wohlwollend sein. Klar hingegen ist, wenn das Kind mindestens dreimal in der Woche in die Kita gehen soll oder ein Zimmer so aufgeräumt ist, dass ich durchgehen kann.
Was passiert, wenn Ziele nicht erreicht werden?
Bischoff: Es kann folgenreich sein, wenn Absprachen nicht eingehalten werden. Das thematisiere ich sehr gewissenhaft mit den Familien, dennoch schaffen es nicht alle, die Auflagen, die das Jugendamt festlegt, einzuhalten. So musste jüngst eine Mutter, bei der eine Kindeswohlgefährdung auch aufgrund mehrerer versäumter Drogentests im Raum stand, erleben, dass ihr Kind kurz nach der Geburt in Obhut genommen wurde. Sie konnte es erst nach einem negativen Drogentests wiederbekommen.
„Sozialpädagogische Familienhilfe dient dazu, dass Kinder und Jugendliche in ihren Familien bleiben können.“ (Harald Bischoff)
Und manche Ziele brauchen Zeit, sie lassen sich nur prozesshaft vollziehen und es gibt auch mal Rückschritte. Seit längerem begleite ich eine Familie, in der die Oma sehr bestimmend ist. Die Mutter schafft es nur schwer, selbstständig zu werden und richtig für ihr Kind da zu sein. Da braucht es viel Zuspruch und Geduld, und auch kleine Schritte müssen als Erfolg betrachtet werden.
Wie viel Zeit steht dir als Familienhelfer zur Verfügung?
Bischoff: Das kommt auf die Situation der Familie an. Je nach Bedarf wird individuell festgelegt, wie viel Unterstützung die Familie erhält. Es kann sein, dass eine Hilfe mit vielen Stunden in der Woche startet und dann sukzessive reduziert wird. In einer Familie, in der ich jetzt nur noch eine Stunde in der Woche präsent bin, war ich beispielsweise zu Beginn monatlich 20 Stunden. Die Situation der Familie hat sich wesentlich verbessert und etliche Ziele wurden umgesetzt. Es gibt es ihnen Sicherheit und trägt zur Stabilisierung bei, wenn ich derzeit noch einmal in der Woche vorbeischaue, eine Art Nachsorge sozusagen.
Kostenträger sind die Jugendämter und sie entscheiden über den Umfang und die Dauer der Maßnahmen. Ist das richtig?
Bischoff: Ja, und die örtlichen Jugendämter halten es mit der Vergabe und den Maßnahmen sehr unterschiedlich. Manche Jugendämter vergeben die Maßnahmen beispielsweise nur an tarifgebundene Träger. Dort gibt es Festanstellungen in der Sozialpädagogischen Familienhilfe. Neben der Begleitung der Familien zählen dann auch An- und Abfahrzeiten, Dokumentation, Zeit für Telefonate mit Behörden und dergleichen zur Arbeitszeit. Bei anderen Jugendämtern reicht die Vergütung nur für Mitarbeiter mit Honorarverträgen. Dort sind nur wenige Koordinator*innen angestellt. Ich bin freiberuflich tätig und erhalte von meinem Träger 37,50 Euro in der Stunde. In diesem Honorar ist alles enthalten, auch meine Verwaltung und Wegezeiten. Wenn eine Familie weit entfernt wohnt, rechnet sich das kaum.
Das sind sehr unterschiedliche Arbeitsbedingungen. Was müsste sich deiner Ansicht nach verändern?
Bischoff: Sozialpädagogische Familienhilfe dient dazu, dass Kinder und Jugendliche in ihren Familien bleiben können. Und weil sie so wichtig ist, sollte Sozialpädagogische Familienhilfe auf gute finanzielle Beine gestellt werden. Es ist sehr bedauerlich, dass es keine landesweiten Regelungen gibt, an die sich die Jugendämter halten müssen. Eine Festanstellung sollte grundsätzlich angeboten werden und für diejenigen, die, wie ich, die Tätigkeit nicht im Hauptberuf machen, sollten Beratungszeit plus Wegzeit und Verwaltung honoriert werden. Wichtig wäre auch, die Supervision verbindlich zu regeln.
Familienhilfe bedeutet Einzelkampf, und es ist wichtig, sich fachlich reflektieren zu können. Mein Träger finanziert zwar die Supervision, nicht aber die Zeit, die ich dafür aufwende. Das ist schade, denn etliche Kolleg*innen entscheiden sich aus diesem Grund dagegen.
„Es ist sehr bedauerlich, dass es keine landesweiten Regelungen gibt, an die sich die Jugendämter halten müssen.“ (Harald Bischoff)
Hast du auch Erwartungen an die Tarifauseinandersetzungen im Sozial- und Erziehungsdienst?
Bischoff: Ich weiß, dass festangestellte Kolleg*innen in der Sozialpädagogischen Familienhilfe eine höhere Eingruppierung der Tätigkeit fordern, weil sie überwiegend im Arbeitsbereich des Kindeswohls tätig sind. Ich halte es für längst überfällig, die Tätigkeiten in der Kinder- und Jugendhilfe insgesamt aufzuwerten. Gerade in der Pandemie hat sich gezeigt, wie wichtig und zum Teil systemrelevant diese Arbeitsbereiche sind. Wir alle wissen, dass viele Stellen nicht mehr besetzt werden können, weil die Arbeitsbelastung steigt, die Gehälter aber nicht.
Wichtig wäre, dass sich mehr Leute organisieren und kämpfen, damit wir gemeinsam an den Arbeitsbedingungen etwas verändern können. Dafür müssten die Kolleg*innen jetzt in den Tarifauseinandersetzungen laut werden und sich darüber hinaus aktiv in die GEW-Arbeit einbringen.
Das Interview führte Heike Herrmann, GEW-Referentin für Jugendhilfe und Sozialarbeit.