Psychosoziale Gefährdungsbeurteilung
Auf in die dritte Runde!
In den nächsten drei Jahren wird zum dritten Mal an allen öffentlichen Schulen in Baden-Württemberg eine psychosoziale Gefährdungsbeurteilung für Lehrkräfte durchgeführt. Das Kultusministerium sollte die Ergebnisse der Befragung ernst nehmen.
Bereits in den Jahren 2008 bis 2011 und 2014 bis 2019 wurden in Baden-Württemberg auf freiwilliger Basis alle Lehrkräfte an den staatlichen Schulen anhand des COPSOQ-Fragebogens (Copenhagen Psychosocial Questionnaire) über ihre psychische Belastung befragt. Für das Kultusministerium (KM) ist die Durchführung der Gefährdungsbeurteilung dagegen keine freiwillige Angelegenheit, sondern eine Pflichtaufgabe, die das Arbeitsschutzgesetz allen öffentlichen und privaten Arbeitgebern auferlegt.
Wie bereits in den beiden ersten Auflagen wird die Befragung durch die Freiburger Forschungsstelle für Arbeitswissenschaften (FFAW) unter Leitung von Dr. Matthias Nübling wissenschaftlich begleitet und ausgewertet. Eng eingebunden sind auch wieder die Personalvertretungen, die sich in die Erstellung der Fragebogen eingebracht haben.
Allgemeine und schulspezifische Fragen
Der Fragebogen enthält standardisierte Fragen zu allgemeinen berufsübergreifenden Themen. Dadurch und weil der Fragebogen mittlerweile in vielen Unternehmen angewendet wird, lassen sich psycho-soziale Belastung und ihre Ursachen zwischen Lehrkräften und anderen Berufsgruppen vergleichen. Die zusätzlichen lehrkräftespezifischen Fragen ermöglichen eine genauere Analyse der Besonderheiten des Lehrkräfteberufs.
Berücksichtigt werden erstmals der Einfluss der Digitalisierung und des mobilen Arbeitens auf die mentale Gesundheit der Lehrkräfte.
Ergebnisse der ersten beiden Umläufe
Spannend wird sein, ob sich die Ergebnisse der letzten Befragungen bestätigen, sich neue Trends abzeichnen und wie sich die wachsende Arbeitsbelastung auf die mentale Gesundheit der Lehrkräfte auswirkt. In den letzten Gefährdungsbeurteilungen stellte sich wenig überraschend heraus, dass Lehrer*innen im Vergleich zu anderen Berufen in ihrer Arbeit emotional stark gefordert sind. Anders als weithin vermutet, haben Lehrer*innen größere Probleme, ihre beruflichen und familiären Interessen ausbalancieren zu können. Lehrkräfte sind einem großen „Work-Privacy-Conflict“ ausgesetzt. Die Arbeit einfach mit an den heimischen Schreibtisch und ins Wochenende nehmen zu können, hat offenkundig Schattenseiten.
Im Vergleich zu allen Beschäftigten in Deutschland fielen sowohl die „Arbeitszufriedenheit“ als auch die „Lebenszufriedenheit“ bei Lehrer*innen relativ hoch aus, während der eigene Gesundheitszustand eher durchschnittlich bewertet wurde. Positiver als in anderen Berufen wurden die Entwicklungsmöglichkeiten, die Selbstbestimmtheit und die Identifikation mit der eigenen Arbeit eingeschätzt. Allerdings waren „kognitiver Stress“ und die „Burnout-Symptome“ vergleichsweise stark ausgeprägt. Der „Gedanke an die Berufsaufgabe“ wurde jedoch nur relativ selten geäußert, was wohl auch mit der hohen Arbeitsplatzsicherheit zusammenhängt.
Zu spezifischen Belastungsaspekten von Lehrkräften gehört beispielsweise Lärm. Lärm im Klassenzimmer führt zu erheblichem Stress. Ein weiterer Befund: Unterstützung von Eltern erhalten Lehrkräfte abhängig von der Schulart. Am schlechtesten wurde diese von den Lehrkräften an Grund- und Hauptschulen bewertet, am besten von den Lehrkräften an den Grundschulen und Gymnasien.
Mit der Befragung sollten auch Ansatzpunkte für die Gesundheitsförderung einzelner Schulen gewonnen werden. Deswegen erhielt jede der teilnehmenden Schulen einen individuellen Bericht als Feedback. So konnten die Schulen aus einem Katalog verhaltensbezogene Maßnahmen wie Fortbildung zum Zeitmanagement und auf Arbeitsbedingungen bezogene Maßnahmen wie flexiblere Planung von Kooperationstagen oder zur Gestaltung von Stundenplänen auswählen.
In der Gesamtschau lassen sich zwischen den beiden ersten Befragungsrunden keine relevanten Veränderungen ablesen, was aber nicht bedeutet, dass es bei einzelnen Schulen keine Veränderungen gegeben hat. Eine umfassende Darstellung der Ergebnisse findet sich hier.
Was besser werden muss
Die letzten beiden Vollerhebungen, die alle circa 4.200 öffentlichen Schulen umfassten, haben aufgrund der guten Teilnahme belastbare Ergebnisse erbracht. In der ersten Runde 2008 bis 2011 nahmen knapp über 50 Prozent der Lehrkräfte teil, in der zweiten Runde sank die Beteiligung auf 40 Prozent. Immer noch ein guter Wert, der dennoch als Warnsignal verstanden werden muss. Viele Lehrkräfte hatten darauf gehofft, dass durch die Befragung wirksame und umfassende Maßnahmen zur Entlastung ergriffen würden. Die Befragung per se kann allerdings keine Entlastung bringen. Dazu braucht es strukturelle Verbesserungen. Nötig sind schlicht mehr Lehrkräfte, mehr sozialpädagogisches Fachpersonal, mehr Verwaltungspersonal sowie eine professionelle IT-Betreuung.
Es gibt aber durchaus Ansatzpunkte für Verbesserungen, die dann auch die Teilnahme erleichtern und damit erhöhen dürften. So muss das KM den Lehrkräften für die gemeinsame Aufarbeitung der Ergebnisse die notwendige Zeit einräumen. Denkbar wäre ein innerschulischer Analysetag, bei dem die Kollegien durch externe Beratung und Moderation unterstützt werden.
Die Schulleitungen haben insgesamt gut bei den Befragungen mitgezogen. Allerdings gab es auch Schulen, an denen Schulleitungen die Befragung nicht in ausreichender Weise unterstützt und vorangetrieben haben. Was weniger an der Unlust der Schulleitungen, sondern an deren allgemeiner Überlastung gelegen haben dürfte. Auch hier sollte sich das KM Gedanken über eine bessere Unterstützung der Schulleitungen und des gesamten Prozesses machen.
Ablauf der neuen Befragung
Die Befragung wird wie beim letzten Mal in neun Tranchen umgesetzt, damit die Unterstützungsangebote von B.A.D., Schulpsycholog*innen, Fortbildungsveranstaltungen und so weiter zeitlich nicht überlastet werden. Die Aufteilung richtet sich wieder nach den Schulamtsbezirken. Den Anfang machen in diesem Herbst alle Schulen in den Schulamtsbezirken Stuttgart, Rastatt, Offenburg und Albstadt.
Nach Infoveranstaltungen startet die Befragung im November. Jede Lehrkraft erhält über ihre Schule eine Einladung /Aufforderung zur Beteiligung mit einem Link zur Befragung. Diese läuft sechs Wochen. Alle Teilnehmenden erhalten nach dem Ausfüllen sofort das persönliche Ergebnisse angezeigt. Die Schulen jeder Tranche erhalten spätestens sechs Wochen nach der Befragung einen Schulbericht. Danach sollen in den Schulen die Ergebnisse gemeinsam analysiert und für die Schule passende Maßnahmen gegen die Belastungen eingeleitet werden.
Die Daten lassen keinen Rückschluss auf die Antwort einzelner Kolleg*innen zu. Mitte 2027 wird die letzte Tranche stattfinden.
Warum es sich lohnt, mitzumachen
Der Wert der Befragung reicht weit über den Schulbereich hinaus und hilft dabei, die Arbeitsbedingungen an den Schulen im Vergleich mit der gesamten Arbeitswelt auszuleuchten. Schon dies sollte für jede Lehrkraft als Argument ausreichen, um an der Befragung teilzunehmen.
Aus gewerkschaftlicher Perspektive ist der Befragung ebenfalls eine hohe Beteiligung zu wünschen. Die Ergebnisse über die psychosoziale Belastung und ihrer Ursachen können zwar keine Abhilfe an den strukturellen Defiziten leisten, aber sie machen Wirkungszusammenhänge transparent und weisen auf weitverbreitete Probleme, aber auch auf Lösungswege hin. Zumindest im Kleinen können sich Lehrer*innen zudem über die vom KM bereitgestellten Maßnahmen Hilfe organisieren und bestehenden Belastungen begegnen.
Außerdem – und dies sollte nicht geringgeschätzt werden – trägt die Gefährdungsbeurteilung dazu bei, dass der Handlungsdruck auf das KM und die Landesregierung insgesamt hoch bleibt, um endlich an den großen Stellschrauben zu drehen, mit denen sich die Arbeitsbedingungen an den Schulen verbessern lassen.