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Außerschulische Lernorte

Auf zu einem Ort der Demokratiegeschichte!

Über ganz Baden-Württemberg verteilt gibt es zahlreiche Museen und Archive, Kirchen, ­Schlösser, und Gedenkstätten, die sich als außerschulischer Lernort zur Demokratiebildung eignen. Schüler*innen profitieren davon in vielerlei Hinsicht.

Zwei Kinder schauen nach oben.
Foto: peterpikephotography.top/iStock

Fragt man Schüler und Schülerinnen, was sie unter demokratischen Orten der Geschichte verstehen, kommen Antworten wie „Straßen, Plätze, an denen einer Persönlichkeit gedacht wird, die sich für Demokratie einsetzte “, „Orte, an denen Verfassungen erarbeitet wurden wie die Paulskirche“, „Gedenkorte, an denen Menschen Widerstand gegen eine anti-demokratische Regierung leisteten“ aber auch „Orte, die für den Erhalt einer Demokratie notwendig sind, wie der Bundestag“. Gleichzeitig tritt ein Funkeln in die Augen vieler Schüler und Schülerinnen und sie fragen, ob es denn möglich wäre, so einen Ort möglichst bald zu besuchen?

Mit diesem Wunsch sind diese Schüler*innen bei weitem nicht alleine. Im Jahr 2019 besuchten laut einer Erhebung rund 75 Prozent der Schulen außerschulische Lernorte zur historisch politischen Bildung – 41 Prozent der besuchten außerschulischen Lernorte zur historisch politischen Bildung befanden sich in Baden-Württemberg. Demokratiebildung außerhalb der Schule ist en vogue und nicht nur Schülerinnen und Schüler schätzen den Gang in ein Museum, Archiv oder eine Gedenkstätte, um sich mit den Schicksalen historischer Persönlichkeiten aber auch kleiner Leute auseinanderzusetzen, die mit der Idee von Partizipation rangen.

Warum sich ein Besuch lohnt

Der Besuch eines Ortes der Demokratiegeschichte eignet sich nicht nur, weil ein Ausflug bei den Schülern und Schülerinnen zu gesteigerter Motivation führt, sondern auch weil er die Möglichkeit der Anknüpfung an die unmittelbaren Erfahrungen und Lebenswelten der Schüler*innen bietet. Demokratiegeschichte vor Ort ermöglicht ihnen einen anschaulichen und direkten Zugang zur Geschichte und viele Anregungen, den Prozess des historischen Denkens anzustoßen.

Laut dem „Leitfaden Demokratiebildung“ führt der Besuch eines außerschulischen Lernortes zu Lebensweltbezug und Handlungsorientierung bei Schülerinnen und Schülern. Demnach kann Relevanz für politische Entscheidungen in der Geschichte innerhalb – aber auch außerhalb – einer Demokratie evident werden, indem man Gegebenheiten vor Orten nachvollzieht und Optionen für eigenes Handeln anhand eines historischen Beispiels überdenkt. Ein historischer, außerschulischer Ort des Demokratielernens bietet die ganzheitliche Begegnung und kann so fachliche, aber auch soziale, methodische und kommunikative Kompetenzen fördern.

Hinweise im Leitfaden für Demokratiebildung

Im Juni 2019 erschien der „Leitfaden für Demokratiebildung des Landes Baden-Württemberg“. Dort wird Demokratiebildung als Notwendigkeit verstanden, die Schüler und Schülerinnen „erkennbar und erfahrbar (macht), in welchem Zusammenhang Demokratie als Lebens-, Gesellschafts- und Herrschaftsform ihren Vorstellungen und Orientierungen steht.“ (Leitfaden S. 15)

Auf der Ebene des Fachunterrichts lernen die Schüler und Schülerinnen die Normen und Mechanismen von Demokratie in ihrem aktuellen Seinszustand und in vergangenen Entstehungszusammenhängen kennen. Demokratiegeschichte soll nicht verstanden werden als lineare Erfolgsgeschichte, beginnend mit dem Mittelalter, oder gar als zielgerichtete Geschichte hin zum Erfolgskonzept Demokratie. Anstelle dessen bietet der Wechsel des Blickwinkels des Historikers Paul Nolte hin zu einer Suchbewegung einen attraktiven Ansatz zur weiteren Erforschung der Demokratiegeschichte. Diese ist nach Nolte das Nebeneinander oder auch die Konkurrenz unterschiedlicher Vorstellungen von Partizipation in einer Gesellschaft. Demokratiebildung in der Schule will für die Demokratie gewinnen und präventiv gegen Diktaturen und Unrechtssysteme wirken.

Wenn ein Ort zum Lernort wird

Wie schon die Schüler und Schülerinnen feststellten, kann man Demokratie an vielen (historischen) Orten begegnen. Zum Lernort wird ein solcher dadurch, dass er Erkenntnispotentiale über die Schule hinaus bietet. Ein solcher Ort ist ideal, wenn er ermöglicht, Fragen zu stellen und Untersuchungen zur Konstruktion von Narrativen in Bezug auf Demokratie liefert. Folgt man der Kategorisierung von außerschulischen Lernorten des Geschichtsdidaktikers Michael Sauer auch in Bezug auf demokratische Lernorte, so ergeben sich zwei Arten von Lernorten: Museen und Archive, die als Einrichtung der Erinnerung dienen und historische Stätten wie Kirchen, Häuser oder Burgen, die Zeugnis der Zeit geben. Michael Sauer sieht Gedenkstätten als keine eigene Art von außerschulischen Lernorten, sondern als beides: durch die vor Ort stattgefundene Aufarbeitung wird der Ort nicht nur zum historischen Überrest, sondern auch zum Ort der Erinnerung.

Wendet man Michael Sauers Kategorisierung auf Baden-Württemberg an, findet sich eine Vielzahl von Orten der Demokratiegeschichte innerhalb des gesamten Bundeslandes. Neben der klassischen Recherche nach Museen, Archiven oder Gedenkstätten gibt es die Möglichkeit, sich auf dem Fachportal Landeskunde – Landesgeschichte des Landesbildungsservers Baden-Württemberg zu informieren und dort auch über eine Kartenfunktion geordnet nach Regionalstellen neben landeskundlichem Unterrichtsmaterial Orte der Demokratiegeschichte aufzurufen. Sie sind als Module von zwei bis drei Unterrichtsstunden von einem Referenten, einer Referentin des jeweiligen Gebietes ausgearbeitet und bieten neben Arbeitsblättern eine historische Einordnung, didaktische Reflexion und weiterführende Literatur. Neben diesen Modulen finden in regelmäßigen Abständen für Lehrkräfte Fachtage zur Demokratiebildung an Gedenkstätten statt. So sind beispielsweise für das kommende Schuljahr 2024 / 25 Fachtage im Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma Heidelberg, im Haus der Donauschwaben oder im Kloster Neresheim geplant.

Orte, die zum Bildungsplan passen

Will man losziehen und einen demokratischen Ort erkunden, so ergeben sich auch im Hinblick auf den Bildungsplan viele Chancen: Sei es das Mittelalter mit der städtischen Emanzipationsbewegung, der Bauernkrieg mit der Forderung nach Freiheit und Mitbestimmung, die Revolution von 1848 mit dem Ruf nach Menschenrechten und politischer Beteiligung. Die Kehrseite der Demokratie lässt sich in der Zeit des Nationalsozialismus finden.

Als Ort der Demokratiegeschichte bietet sich das Tübinger Schloss an. Hier wurde im Jahr 1514 nach der Regierungskrise im Herzogtum Württemberg der sogenannte Tübinger Vertrag von Herzog Ulrich von Württemberg mit den bürgerlichen Landständen verfasst. Im Mittelpunkt standen politische Mitsprache und Freiheitsrechte. Die Untersuchung des Tübinger Vertrags zeigt den Schülerinnen und Schülern vor Ort, dass Rechte bereits im 16. Jahrhundert in einer Umbruchszeit durchgesetzt werden konnten und eine Form von Partizipation in dieser Zeit waren.

Möchte man mit seinen Schülern und Schülerinnen ein Museum besuchen, so bietet sich neben dem ausgezeichneten Bauernkriegsmuseum in Böblingen die Abteilung „Der Bauernkrieg im Hegau 1524 / 25“ in Hilzingen an. Dieser Ort erweist sich als ideal, da er nicht nur geographisch und zeitlich wichtige Querverbindungen für das gesamte Bundesland bietet, sondern auch als Erinnerungsort mit Dorf- und Volksfest besonders beliebt ist. Vor Ort werden den Lernenden mithilfe von Arbeitsblättern nicht nur die Hintergründe des Bauernkriegs vorgestellt, sondern auch die Motive der Bauern für ihr Handeln sowie ihre theologische Rechtfertigung mit den Memminger Zwölf Artikeln.

Springt man in der Geschichte einige Jahrhunderte, bietet der Offenburger Salmen einen besonderen Lernort deutscher Demokratiegeschichte. Er gilt als Wiege der Demokratie, da hier am 12. September 1847 der erste Grundrechtsentwurf der deutschen Demokratiegeschichte unterschrieben wurde. Hier fand 1847 vor der 48er Revolution eine Volksversammlung mit mehreren tausend Teilnehmern statt. So wurde der Salmen ein Ort der Partizipation: Menschen traten miteinander in Verbindung, diskutierten, bündelten ihre Interessen und formulierten Forderungen. Damit bedeutet der Salmen als eine Ebene der Demokratiebewegung, bei der die Lernenden die Handlungsebene der Partizipation „auf der Straße“ nachvollziehen und so Basisrevolution erkennen können.

Ein Beispiel für eine Gedenkstätte mit demokratischem Bezug ist das Hotel Silber in Stuttgart. Dieses diente während der NS-Herrschaft als Gestapo Zentrale von Württemberg. Den Schülern und Schülerinnen gibt dies die Möglichkeit, an historischen Biographien Terror und Verfolgung als Strukturmerkmal einer Diktatur vor Ort kennenzulernen. Bei der Begehung dieses Hauses im Zentrum Stuttgarts erfahren die Lernenden nicht nur Informationen über die Aufgabe und Organisation der Gestapo und die Verfolgung und Entrechtung jüdischer Stuttgarter. Sie haben auch die Chance in einer anschließenden Reflexion zu erörtern, inwiefern in der Bundesrepublik Deutschland mit den Tätern und dem Ort der Täter – dem Hotel Silber – umgegangen werden sollte.

Letztendlich kann der Besuch eines Ortes der Demokratiegeschichte das Ringen um Demokratie vor Augen führen. Mit Beispielen aus der Geschichte erleben die Schüler*innen, dass demokratisches Handeln nicht selbstverständlich oder folgenlos gewesen ist. Zudem sind solche Unternehmungen motivierend, da sie zeigen, dass Wahrnehmbares in der Nähe Teil der „großen Geschichte“ war und dementsprechend auch eines verantwortlichen Handelns für die Gegenwart und Zukunft bedarf. Schlussendlich macht aber die Anwesenheit vor Ort den Schülern und Schülerinnen die Werte, Normen und Erfahrungen mit demokratischem Handeln greifbarer und so verständlicher. Indem die Schülerinnen und Schüler vor Ort innerhalb von Projekten teilhaben können, erfahren sie mit einem besonderen Erfolgserlebnis ihre eigene Wirksamkeit durch die Konstruktion und Erinnerung von Geschichte.

Es stellen sich noch Fragen nach einer möglichst erfolgreichen Methodik. Was ist für Schüler*innen gewinnbringender: Der Vortrag von professionellem Personal oder im Sinne des deep learnings von Schüler*in zu Schüler*in? Sollten die Besuche demokratischer Orte verpflichtend für alle Schüler und Schülerinnen werden? Und man sollte nach dem Einsatz digitaler Medien an historischen Orten fragen. So kann zum Beispiel der Obere Kuhberg in Ulm oder die Lauergärten in Mannheim mit dem Smartphone beziehungsweise mit der actionbound-app auf dem Handy von den Schüler*innen selbstständig erforscht werden. Die Einbindung von neuen Medien in die Erkundung eines Orts der Demokratiegeschichte kann allerdings nur ein Element eines solchen Besuches sein und bedarf der Vorbereitung und nachfolgenden Reflexion. Eine weitere spannende Frage stellt sich mit der Auswahl eines Demokratieortes – will man vor Ort bleiben oder ist man auf dem Weg zu einer größeren Einrichtung längere Zeit unterwegs? Lehrkräfte können auch ihre Schüler*innen fragen und einbeziehen. Als demokratische Übung in der Schule.

Kontakt
Maria Jeggle
Redakteurin b&w
Telefon:  0711 21030-36