Im Jahr 2017 feierten die beruflichen Gymnasien ihr fünfzigjähriges Bestehen. In diesen Jahrzehnten entwickelten sich die beruflichen Gymnasien zu einer Erfolgsgeschichte, die aus dem Bildungssystem des Landes nicht mehr wegzudenken sind.
36 Prozent der Abiturient/innen erwarben 2016 ihren Abschluss an einem beruflichen Gymnasium. 42 Prozent aller Schüler/innen erwarben die Hochschulberechtigung. Damit erreicht Baden-Württemberg unter den Flächenländern Deutschlands einen Spitzenwert. Daran haben die beruflichen Gymnasien einen maßgeblichen Anteil.
Sie leisten dabei zweierlei: Die beruflichen Gymnasien bieten eine dreijährige Oberstufe mit einer Profilierung, die in dieser Form von den allgemeinbildenden Gymnasien nicht geleistet werden kann. Mit insgesamt zwölf Profilfächern von den Wirtschaftswissenschaften über die Technik bis hin zu den Ernährungs-, Agrar-, Sozialwissenschaften und der Biotechnologie kommt die Nähe zur beruflichen Bildung zum Tragen. Die Schüler/innen müssen mit Eintritt in ein berufliches Gymnasium ein Profilfach wählen, das später Leistungsfach ist.
Die beruflichen Gymnasien leisten außerdem einen wichtigen Beitrag zur Chancengerechtigkeit im baden-württembergischen Bildungssystem. Mit ihrer spezifischen Struktur, etwa der Möglichkeit, die zweite Fremdsprache in Klasse 11 zu beginnen, ermöglichen sie Schüler/innen mit einem mittleren Bildungsabschluss ein Abitur zu erlangen. Circa 85 Prozent der Schüler/innen kommen aus einem Bildungsgang, der mit einem mittleren Bildungsgang abschließt (Realschule, Werkrealschule, zweijährige Berufsfachschule, künftig auch Gemeinschaftsschule), nur circa 15 Prozent der Schüler/innen wechseln aus dem Gymnasium.
Reform ist in Arbeit
Das Kultusministerium (KM) arbeitet seit Sommer 2016 an einer Reform der beruflichen Gymnasien. Ziel ist es, einerseits die Bildungspläne, die teilweise mehr als zehn Jahre alt sind, zu überarbeiten und die Anschlussfähigkeit an die neuen Bildungspläne, die seit 2016 an den allgemeinbildenden Schulen eingeführt werden, sicherzustellen.
Andererseits hat die Kultusministerkonferenz (KMK) 2016 Vereinbarungen über die Abiturprüfung der gymnasialen Oberstufe geändert, an die auch das Land Baden-Württemberg gebunden ist. Die Zielsetzung der geplanten Reform besteht darin, die Zahl der Leistungsfächer zu reduzieren, mehr Unterrichtszeit für Leistungsfächer zur Verfügung zu stellen und in den basalen Fächern wieder eine Differenzierungsmöglichkeit zu schaffen.
Im Kern ist Folgendes geplant:
- Die Zahl der Leistungsfächer soll auf zwei reduziert werden. Dies ist zunächst das Profilfach, das auch zukünftig mit sechs Schülerwochenstunden (SWS) unterrichtet werden soll.
- Zukünftig sollen die Schüler/innen zwischen Deutsch oder Mathematik wählen können. Damit wird es in diesen Fächern wieder eine Differenzierungsmöglichkeit geben.
- An der Struktur des beruflichen Gymnasiums mit seinen Profilfächern wird sich nichts ändern. Lediglich am Sozialwissenschaftlichen Gymnasium mit dem Profil Gesundheit soll das Profilfach zukünftig von „Gesundheit und Pflege“ in „Gesundheit und Biologie“ umgewandelt werden, um den Bezug zur Fachwissenschaft Biologie stärker zu betonen.
- Bei den basalen Fächern auf Grundfachniveau will das KM von der Ausnahmeregelung in den KMK-Richtlinien Gebrauch machen. Diese sollen mit vier SWS unterrichtet werden, um eine zusätzliche Förderung zu ermöglichen. Damit will man dem sehr unterschiedlichen Schülerklientel, das aus verschiedenen Schularten kommt, Rechnung tragen.
- Bei der Abiturprüfung wird es bei vier schriftlichen und einer mündlichen Prüfung bleiben. Damit sollen in allen relevanten Fächern zentrale Prüfungsaufgaben vorliegen, mit denen ein entsprechendes Anforderungsniveau definiert wird. Bei der mündlichen Prüfung rückt man von der Präsentationsprüfung ab und geht zurück auf eine klassische mündliche Prüfung.
- Das erste, schriftliche Prüfungsfach ist das Profilfach, das zweite das weitere Leistungsfach. Das dritte schriftliche Prüfungsfach muss zwingend aus dem Kanon der basalen Fächer stammen, so dass mindestens zwei dieser Fächer schriftlich geprüft werden. Die weiteren Prüfungsfächer sind frei wählbar.
- Die Naturwissenschaften werden zukünftig in den Jahrgangsstufen dreistündig unterrichtet und nicht mehr zwei oder vierstündig.
- Neu hinzu kommt ein zweistündiges Ergänzungsfach als Wahlpflichtfach, das zumeist der Naturwissenschaften zugeordnet ist. Eine Ausnahme bildet allerdings das Technische Gymnasium. Hier soll das Ergänzungsfach eine Erweiterung der gewählten Naturwissenschaft (Physik oder Chemie) darstellen. Gerade an den Technischen Gymnasien gibt es große Vorbehalte gegen die Abschaffung der vierstündigen Naturwissenschaften. Die jetzt vorgeschlagene Kombination aus drei SWS Naturwissenschaft und zwei SWS Ergänzungsfach soll dies kompensieren. Die Schüler/innen am Technischen Gymnasium haben damit aber keinerlei Wahlmöglichkeiten mehr.
Zukünftig muss das Fach Wirtschaft nicht mehr durchgängig in der Jahrgangsstufe belegt werden. Da Wirtschaft in der Sekundarstufe I neu eingeführt wird, muss es in allen Beruflichen Gymnasien nur in der Eingangsklasse belegt werden.
Das Fach Informatik muss überall in allen drei Jahren der Oberstufe belegt werden. Damit soll der wachsenden Bedeutung der Digitalisierung Rechnung getragen werden, ohne gleichzeitig die Gesamtstundenzahl für die Schüler/innen zu erhöhen.
Sonst wird sich an der Struktur der Oberstufe des beruflichen Gymnasiums kaum etwas ändern. Die Regelungen zur zweiten Fremdsprache müssen selbstverständlich erhalten bleiben. Es wird auch weiterhin allgemeine und berufsbezogene Wahlfächer geben – hier soll es nur kleinere Anpassungen geben.