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Vorqualifizierungsjahr Arbeit und Beruf ohne Deutschkenntnisse (VABO)

Berufsschulpflicht hilft zugewanderten Jugendlichen

Vier VABO-Klassen gibt es zurzeit in der Louis-Lepoix-Schule, einer gewerblichen beruflichen Schule in Baden-Baden. Daniel Wunsch, GEW-Personalrat, Lehrer und VABO-Experte lädt die b&w-Redaktion in die Schule ein. Ein Schulbesuch.

14 Jugendliche sitzen in der VABO-Klasse. Drei Mädchen, elf Jungs, acht Nationalitäten. Ein 17-jähriger aus Gambia trägt nur ein kurzärmliges T-Shirt, sein Landsmann neben ihm ist mit Hoodie und dicker Kapuzenjacke warm angezogen. Auch andere sitzen an dem kühlen Frühjahrstag im März samt Jacke im Raum. Ihre Handys hängen gesammelt an der Wand. Die Klassenlehrerin Romina Sattler spricht mit den Jugendlichen über Sport. Welche Sportarten sie kennen, was sie auszeichnet, welche davon ihre Lieblingssportart ist. Die Antworten kommen prompt, die meisten der Schüler*innen bemühen sich um vollständige deutsche Sätze, auch wenn sie ihnen schwerfallen. Es ist ruhig, die Schüler*innen sind aufmerksam und interessiert.

Romina Sattler mag ihre bunte Klasse. Es fördere das Deutschlernen, wenn die Jugendlichen aus unterschiedlichen Ländern stammen. Nach einem Schuljahr sollten alle das A2-, besser noch das B1-Sprachstandsniveau erreichen. Verlängern ist möglich, vor allem wenn Schüler*innen erst im Laufe des Schuljahrs dazu stoßen. Die berufsschulpflichtigen Jugendlichen kommen oft aus Vorbereitungsklassen anderer Schulen, auch aus dem benachbarten Gymnasium. Nach dem Vorqualifizierungsjahr Arbeit und Beruf ohne Deutschkenntnisse (VABO) folgt die Ausbildungsvorbereitung (AV). Dort sollen die Schüler*innen in einem Jahr den Hauptschulabschluss schaffen, samt Berufsorientierung. „Das klappt zu 90 Prozent“, weiß Daniel Wunsch, der als ehemaliger Lehrer an der Schule viel dafür getan hat, dass die zugewanderten Schüler*innen in der gewerblichen beruflichen Schule in Baden-Baden vorankommen.

„Es braucht ein gemeinsames Konzept, eine gute Expertise zur Sprachvermittlung, ein engagiertes Team und eine enge Zusammenarbeit, auch mit den städtischen Behörden“, erklärt Daniel Wunsch. Wenn das vorhanden sei, hätten die Jugendlichen gute Chancen, die Schule und eine Ausbildung abzuschließen. Im Schuljahr 2013/2014 hat die Louis-Lepoix-Schule die ersten VABO-Klassen eingerichtet. Die beiden Lehrkräfte Wunsch und Sattler und ein Sozialpädagoge waren von Anfang an dabei. Wunsch hat mit Kolleg*innen und Referent*innen im Kultusministerium einen Leitfaden für VABO-Klassen entwickelt, vieles ausprobiert und zahlreiche Fortbildungen für Lehrkräfte durchgeführt. Er ist mittlerweile ein gefragter Experte für VABO. Er empfiehlt Schulen beispielsweise am Schuljahresanfang mit kleinen Klassen zu starten. Es kämen im Laufe des Schuljahrs immer weitere Schüler*innen dazu. Wenn dann Räume und Lehrkräfte schon da seien, erspare das viel Stress.

Auch das Statistische Monatsheft 1/2025 des Statistischen Landesamts Baden-Württemberg weist auf starke und unplanbare Schwankungen des VABO hin. Externe Faktoren wie Krieg oder Machtübernahmen könnten die Zahl von Schüler*innen einzelner Nationen schnell in die Höhe treiben.

Nicht das fünfte Rad am Wagen

„Die VABO-Klassen an den Beruflichen Schulen dürfen nicht wie das fünfte Rad am Wagen behandelt werden“, stellt Wunsch klar und erinnert daran, dass „VABO im Gegensatz zum Beruflichen Gymnasium eine Pflichtschulart ist“. Formal müsste Unterricht erst im VABO vertreten werden und dann am Gymnasium. Gut liefen die Klassen, wenn die Schulleitung die Schulart unterstütze, indem sie gute Lehrkräfte einteile oder auch mal harte Entscheidungen wie einen Schulausschluss mittrage. Wichtig sei auch, den oft eingesetzten Nebenlehrkräften mit nur einem Fach oder ohne Lehrkräfteausbildung Fortbildungen und Perspektiven anzubieten. „Sie gehören zum Kollegium dazu, wie alle anderen Lehrkräfte auch“, betont der erfahrene Lehrer.

Daniel Wunsch wurde im Laufe seines Berufslebens eher zufällig zum VABO-Experten. Er ist Druckerei-Meister und hat als Technischer Lehrer das Fach unterrichtet, bis die Druckabteilung im Rahmen der regionalen Schulentwicklung an seiner Schule geschlossen wurde. Danach orientierte er sich neu und hat das vormals BVJO (Berufsvorbereitungsjahr ohne Deutschkenntnisse) an der Louis-Lepoix-Schule zu VABO (Vorqualifizierungsjahr Arbeit und Beruf ohne Deutschkenntnisse) weiterentwickelt. Dabei hat er sich sehr für die Jugendlichen eingesetzt. Die Schulsozialarbeiterin Jian Bender wundert sich über seinen Werdegang nicht. „Daniel hat eine Sozialarbeiterseele“, meint sie. Die beiden kennen sich seit Jahren. Bender ist zwar erst seit diesem Schuljahr als Schulsozialarbeiterin an der Schule angestellt, ihre Berufslaufbahn hat sie aber dort im FSJ (Freiwilliges Soziales Jahr) begonnen. Dazwischen hat sie Soziale Arbeit studiert. Sie entschied sich gegen das Lehramtsstudium. Als Schulsozialarbeiterin musste sie allerdings lernen zu sagen: „Da kann ich nicht helfen“. Abgrenzen können sei wichtig im Umfeld von Schüler*innen, die alle viel erlebt haben und oft eine gefährliche Flucht auf sich genommen haben. Abgrenzen müssten sich auch Lehrkräfte. Wunsch warnt: „Ihr dürft nicht alles alleine machen. Das macht krank. Asylverfahren sind nicht eure Sache.“

Trotzdem gibt das Team alles für die Jugendlichen. Jian Bender kümmert sich beispielsweise um die Zeugnisanerkennung einzelner. Und es gibt noch zwei Personen, die sich in der Schule der Jugendlichen annehmen. Der Jugendberufshelfer Christian Theurer hilft ihnen Praktikums- und Ausbildungsplätze zu finden. Robert Schwerdt, ein Senior-Experte, begleitet stundenweise einzelne Schüler*innen auf dem Weg in den Arbeitsmarkt. Er arbeitet ehrenamtlich über den Senior-Expert-Service (SES Bonn). Er wollte auf keinen Fall einfach in Ruhestand gehen, sondern mit seiner internationalen Berufserfahrung in Handwerk und Industrie Jugendlichen unter die Arme greifen. Sie alle arbeiten Hand in Hand.

Schädliche Debatten

Ein Thema ist dem Team wichtig zu erwähnen: Die aktuellen politischen Debatten über Migration und Abschiebungen erschwere ihnen die Arbeit, verunsichere und ängstige aber vor allem die zugewanderten Jugendlichen. „Die Ermessensspielräume der Behörden werden kleiner, Integrationskurse gekürzt, die Angst vor Abschiebung wächst“, berichtet Wunsch. Die Debatte beschädige, was in den letzten Jahren mühsam aufgebaut wurde.

Dabei beobachtet der Lehrer, dass aus vielen Schüler*innen, die um 2018 gekommen sind, gute Fachkräfte geworden seien. Auf Baustellen, im Handwerk, in den Krankenhäusern seien die jungen Menschen längst anerkannt. Das werde viel zu wenig gesehen. Auch das Statistische Monatsheft weist darauf hin, dass die jugendlichen Zuwander*innen in Deutschland gebraucht würden, auch weil bis 2030 die Babyboomer-Generation aus dem Arbeitsmarkt ausscheide. Zur Integration würden die beruflichen Schulen einen wichtigen Beitrag leisten.

Integratives Verhalten wird belohnt

Jamshid Salimankhil ist ein junger Mann, der hier alles richtig machen will. Der 18-jährige Afghane hat innerhalb von zweieinhalb Jahren viel geschafft. Er kam als unbegleiteter Jugendlicher ohne deutsche Sprachkenntnisse mitten im Schuljahr in eine VABO-Klasse der Louis-Lepoix-Schule. Nach eineinhalb Jahren wechselte er mit B1-Sprachniveau in eine AV-Klasse. Dort ist er jetzt Klassensprecher. Wenn es Streit gibt, schlichtet er. In Afghanistan besuchte er nur eine Koranschule, umso erstaunlicher ist, wie schnell er hier Deutsch lernte.

Jamshid kann nicht sicher sein, dass er in Deutschland bleiben darf. Als Asylbewerber wurde er abgelehnt. Mithilfe eines Anwalts hat er nur eine sechsmonatige Aufenthaltsgestattung erhalten. Vorläufige Sicherheit würde ihm ein Ausbildungsplatz bieten. Einen einwöchigen Praktikumsplatz in einer Autolackiererei hat er schon. Das ging unbürokratisch, weil er dazu keine Zustimmung der Ausländerbehörde benötigte.

Wenn er allerdings im Anschluss einen Ausbildungsplatz in dem Betrieb bekommt, braucht er eine Arbeitserlaubnis des Ausländeramts und das kann drei bis vier Monate dauern. Bender und Theurer nutzen ihre Kontakte und alle hoffen, dass Jamshid im September eine Ausbildung als Autolackierer beginnen kann. Der junge Mann hat Lust auf den Beruf. Im Unterricht hat er schon einiges über das Maler- und Lackierhandwerk gelernt. „Kompromisse bei der Berufswahl müssen die Jugendlichen eingehen“, erklärt der Jugendberufshelfer, „eine Affinität zum Ausbildungsberuf muss es aber geben, sonst geht es schief“.

Jamshid wirkt allen Unsicherheiten zum Trotz zuversichtlich. Auch weil er schon viel Hilfe erfahren hat. Zunächst wohnte er im Jugendheim, jetzt im betreuten Wohnen. Ziel ist, dass er bald auf eigenen Füßen steht. Sein Onkel hat ihm für die Flucht Geld geliehen, das er irgendwann zurückzahlen muss. „Der Druck aus den Familien ist oft groß“, erklärt Wunsch und er kennt Jugendliche, die mit dieser Bürde nur schwer umgehen können. Jugendliche wie Jamshid, die psychisch stabil, fleißig und anpassungsfähig sind, schaffen es leichter. Wunsch erklärt: „Je integrationswilliger sich Schüler*innen beim Jugendamt und in der Schule zeigen, desto eher erhalten sie Unterstützung über ihre Volljährigkeit hinaus.“ Er begrüßt daher, dass nach dem VABO die Berufsschulpflicht nicht endet und die Schüler*innen über AV und mit externer Unterstützung den Weg in den Beruf finden. Außerschulische Partner wie die Agentur für Arbeit findet Wunsch unerlässlich. Die berufliche Orientierung dürfe nicht bei den Lehrkräften alleine hängen bleiben.

Kontakt
Maria Jeggle
Redakteurin b&w
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