Debatte um Arbeitszeiterfassung an Schulen
Da bewegt sich was
Während das Kultusministerium in Baden-Württemberg die Reform des Arbeitszeitgesetzes abwarten will, gehen andere Bundesländer bereits erste Schritte beim Thema Arbeitszeiterfassung für Lehrer*innen. Für die GEW ist das Thema prioritär.
Flüchtig betrachtet kann der Eindruck entstehen, dass beim Thema Arbeitszeiterfassung eher Stillstand herrscht. Was das Kultusministerium (KM) in Baden-Württemberg betrifft, stimmt das auch. Dort hat man sich auf den Standpunkt gestellt, die bundespolitischen Entwicklungen und vor allem die Reform des Arbeitszeitgesetzes abzuwarten und vorerst nichts zu unternehmen. Damit folgt das KM der in der Kultusministerkonferenz (KMK) vereinbarten Linie. Allerdings ist das KM an einem Austausch mit der GEW über die Frage der Einführung einer Arbeitszeiterfassung interessiert. Beim ersten Gespräch zur Arbeitszeiterfassung im letzten Herbst wurde der GEW ein Gespräch im Sommer zugesagt. Die Terminabsprache läuft gerade.
In diesem Gespräch wird die GEW auf konkrete Umsetzungsschritte zur Einführung einer Arbeitszeiterfassung drängen, wie sie letztlich ja auch vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) und vom Bundesarbeitsgericht (BAG) als Mittel zum Gesundheitsschutz eingefordert wird. Verweisen wird die GEW auch auf einige aktuelle Entwicklungen in anderen Bundesländern. Aber auch in Baden-Württemberg steigt der Druck, so dass das KM seine abwartende Haltung hoffentlich überdenkt. Die GEW hat in ihrer Landesdelegiertenversammlung das Thema der Arbeitszeiterfassung für Lehrkräfte weiter als prioritär erklärt.
Was tut sich in den anderen Bundesländern?
Urteil des Oberverwaltungsgerichts (OVG) Niedersachsen – Schulleiter erhält 31.000 Euro für „Zuvielarbeit“:
In einem wegweisenden Urteil hat das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht im Februar einem Schulleiter einen finanziellen Ausgleich für „Zuvielarbeit“ gewährt – und damit die Forderung der GEW nach Arbeitszeiterfassung bestätigt. Der vom Gericht verwendete Begriff „Zuvielarbeit“ macht deutlich, dass es hier um mehr Arbeitszeit als beamtenrechtlich gefordert geht, die weder „Mehrarbeit“ noch „Überstunden“ im Sinne des Beamtenrechts ist. Die unterlegene Landesregierung versucht eine Revision des Urteils beim Bundesverwaltungsgericht. Als Beweismittel akzeptierte das Gericht die detaillierten und kriteriengeleiteten Aufzeichnungen des Schulleiters über seine Arbeitszeit.
Turbulenzen in Bremen münden in einer Pilotstudie:
Aufhorchen lassen die Entwicklungen im Stadtstaat Bremen. Bereits im letzten Sommer hat dort der Personalrat der Hansestadt per Initiativantrag gefordert, an einigen Pilotschulen mit der Arbeitszeiterfassung im Februar 2025 zu beginnen und dann im Schuljahr 2025/2026 auf alle Schulen auszuweiten. So schnell und so weitgehend ging es dann nicht. Zwar stimmte nach einem Einigungsstellenverfahren die Bildungssenatorin dem Plan des Personalrats zu. Der Senat stoppte letztlich aber das Projekt per Veto. Um wenigstens einen ersten Schritt zu machen, kündigte die Bildungssenatorin allerdings an, mit einer „Pilotphase zum Schuljahr 2026/2027“ in die Arbeitszeiterfassung einzusteigen. Aktuell wird unter Beteiligung des Personalrats eine Software entwickelt. Im Gesamtbild ist wichtig: Mit Bremen ist das erste Bundesland aus der Verweigerungsfront der Kultusministerkonferenz ausgebrochen.
Sachsen zeigt, wie es nicht geht:
Bereits seit Beginn des Schuljahres 2024/2025 läuft eine von der Sächsischen Staatsregierung beauftragte Studie der Prognos AG zur Arbeitszeitverwendung der sächsischen Lehrkräfte. Erfasst werden soll der Zeitraum des kompletten Schuljahres. Ursprünglich von der GEW unterstützt, hat die GEW diese Unterstützung zurückgezogen. Der Grund: Entgegen der Ankündigung, erst die Ergebnisse der Studie abzuwarten und dann über mögliche Maßnahmen mit den Personalvertretungen und den Gewerkschaften zu verhandeln, hat die Staatsregierung Verschlechterungen bei den Arbeitszeitregelungen beschlossen. So sollen die Altersermäßigung abgeschafft und die Anrechnungsstunden gekürzt werden. Die Zwischenergebnisse der Studie rechtfertigen diese Kürzungen nicht. Ganz im Gegenteil: Die Zwischenergebnisse haben eine hohe Arbeitszeitbelastung offenbart, die eher als Argumente für Entlastungsmaßnahmen dienen können. Die GEW Sachsen ist deshalb mehr als verstimmt und fordert nun einen Abbruch der Studie. Die Lehre aus dieser Posse? Die Entwicklung in Sachsen spricht nicht gegen die Einführung der Arbeitszeiterfassung. Sie ist eher ein Beispiel für schlechtes Regierungshandeln.
Erste tarifvertragliche Regelungen:
Jenseits des öffentlichen Schuldienstes gibt es auch erste tarifpolitische Aktivitäten. Bereits 2023 hat die GEW mit den Privatschulen der Arbeiterwohlfahrt (AWO) in Thüringen einen Tarifvertrag zur Arbeitszeiterfassung abgeschlossen. Aktuell evaluieren die Tarifparteien den Tarifvertrag. Auf die Ergebnisse warten nicht nur die Kolleg*innen bei der Arbeiterwohlfahrt gespannt.
Und auch in Baden-Württemberg tut sich was
Zwar will das Kultusministerium nicht aus der Linie der KMK abweichen und erst die Novellierung des Arbeitszeitgesetzes abwarten, aber dass sich nichts tut in Sachen Arbeitszeiterfassung, davon kann insgesamt nicht die Rede sein. Dazu einige Schlaglichter.
Freiwillige Arbeitszeiterfassung – viele Kolleg*innen machen mit:
Dem Aufruf der GEW zur freiwilligen Arbeitszeiterfassung zu Beginn des Schuljahrs (2024/2025) sind viele Kolleg*innen gefolgt. Immer wieder erreichen die GEW E-Mails von Kolleg*innen, in denen sie über ihre Erfahrungen berichten. Viele sind dabei überrascht vom tatsächlichen Umfang ihre Arbeitszeit und darüber, dass sie schlicht mehr Zeit investieren, als dass sie das nach den geltenden Arbeitszeitregeln müssten. Vielen hilft – so jedenfalls die Rückmeldungen – die Arbeitszeiterfassung, ihre Arbeit besser zu organisieren und einfach mal zu sagen: „Halt, das war es für heute, mehr geht einfach nicht.“ Wir werden die Rückmeldungen am Ende des Schuljahres auswerten und dann ein Fazit ziehen.
Erste Umfrageergebnisse zeigen Offenheit zur Arbeitszeiterfassung:
Natürlich haben viele Kolleg*innen auch Sorge davor, eine verpflichtenden Arbeitszeiterfassung könnte nicht nur zum Schutz vor zu langen Arbeitszeiten genutzt werden, sondern zur Kontrolle der Arbeitsleistung missbraucht werden. Erste, wenn auch noch kleinere Umfragen unter anderem durch die GEW Südwürttemberg zeigen, dass viele Kolleg*innen einer Arbeitszeiterfassung offen gegenüberstehen. Laut einer Online-Befragung im letzten Herbst unter GEW-Mitgliedern haben über 80 Prozent die Frage, ob sie ihre Arbeitszeit erfassen möchten, positiv beantwortet. Auch wenn diese Umfragen sicher nicht statistisch repräsentativ sind, so entsprechen sie dem Meinungsbild, das wir in den letzten Monaten auf Schulungen und Personalversammlungen gewinnen konnten.
Einige Privatschulen gehen voran:
Während an den staatlichen Schulen in Baden-Württemberg in Sachen Arbeitszeiterfassung nichts geschieht, lässt sich das für die Privatschulen nicht sagen. An einigen Privatschulen in kirchlicher und privater Trägerschaft wird zwischen Geschäftsführungen und Betriebsräten beziehungsweise Mitarbeitervertretungen über konkrete Schritte zur Einführung nachgedacht. Jedenfalls erreichen die GEW in den letzten Monaten immer wieder Nachfragen von Beschäftigtenvertretungen zur Arbeitszeit und Arbeitszeiterfassung von Lehrkräften. Einige Einrichtungen sind über das Stadium des Nachdenkens hinaus: Das Berufsbildungswerk in Neckargemünd und die Silberburgschule in Stuttgart haben 2024 eine Arbeitszeiterfassung für Lehrkräfte eingeführt. In beiden Betriebsvereinbarungen ist unter anderem klargestellt, dass die Erfassung alleine dem Gesundheitsschutz und nicht der Leistungskontrolle dienen darf. An beiden Einrichtungen wollte man nicht auf die Landesregierung warten und der rechtlichen Pflicht nachkommen. Beim Internationalen Bund (IB) in Baden gibt es seit langem eine optionale Regelung. Dort haben die Mitarbeitenden (inklusive der Lehrkräfte) die Möglichkeit, aus mehreren Arbeitszeitmodellen auszuwählen. Die überwiegende Mehrheit hat eines der Modelle mit flexiblen Arbeitszeiten und elektronischer Zeiterfassung gewählt.
Was macht die Bundesarbeitsministerin?
Gespannt richten sich jetzt alle Blicke auf Bärbel Bas, die neue Arbeitsministerin. Sie wird auf ihrem Schreibtisch einen Gesetzentwurf ihres Vorgängers Hubertus Heil aus dem Jahr 2023 finden, der die verpflichtende Einführung einer elektronischen Arbeitszeiterfassung beinhaltet. Eine Ausnahme von Lehrkräften – ob verbeamtet oder tarifbeschäftigt – sieht der Entwurf nicht vor.
Zur Erinnerung: Mit diesem Gesetz sollen die Vorgaben des EuGH (Urteil von 2019) und des BAG (Urteil von 2022) endlich auch gesetzlich umgesetzt werden. Gebunden an die Vorgaben sind Arbeitgeber*innen aber schon jetzt. Der einzige Grund, warum es sich die Kultusministerien erlauben können, diesen Umstand zu ignorieren, liegt daran, dass noch keine Bußgelder drohen, wie sie im Gesetz zu erwarten sind.
Die Ministerin sollte das Gesetzesvorhaben nicht länger verzögern und stattdessen zu einem guten Ende führen. Es braucht eine gute gesetzliche Grundlage für die Arbeitszeiterfassung. Darauf warten sollten die Kultusminister*innen nicht. Das gilt auch für Baden-Württemberg. Schon jetzt kann das KM mit den Personalräten und der GEW in konkrete Gespräche zur Gestaltung und Umsetzung einer Arbeitszeiterfassung zum Zweck des Gesundheitsschutzes eintreten.