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Corona-Pandemie

Das Jahr startet mit vielen Zumutungen

Viele wünschen sich sehnlich Planungssicherheit. Das Gegenteil ist der Fall. Seit Januar ­überschlagen sich die Ereignisse und es sieht nicht so aus, als ob Kitas und Schulen ab Februar mit mehr Unter­stützung und Schutz rechnen können.

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Corona und Planungssicherheit passen nicht zusammen. (©imago)

Als beispiellosen Schlingerkurs bezeichnete die GEW-Vorsitzende Monika Stein die lange Unsicherheit, ob die Weihnachtsferien vorgezogen werden sollen oder nicht. Die Kultusministerin wollte partout verhindern, dass Kitas und Schulen schließen. Ministerpräsident Winfried Kretschmann hatte beim Bund-Länder-Gespräch ein anderes Vorgehen vereinbart. Am Ende erzwangen die dramatisch gestiegen Neuinfektionen doch vorgezogene Schließungen. Einige Klassen hatten Fernunterricht, und die Schulen mussten die Notbetreuung organisieren.

Weil man bei dem ständigen Hin und Her schnell den Überblick verliert, hier eine Chronologie seit Jahresbeginn: Das Pandemiegeschehen ist unklar, weil die Zahlen aufgrund der vielen Feiertage keine zuverlässigen Datengrundlagen bieten. Klar ist trotzdem, der strengere ­Lockdown seit Mitte Dezember wirkt zu wenig. Um Schulschließungen und volle Klassen zu verhindern schlagen GEW, SPD und Landeselternbeirat am 4. Januar vor, auf einen Wechselbetrieb an allen Schulen umzustellen. Je älter die Schüler*innen, desto höher könne dabei der Anteil des Fernlernens sein. Es brauche intelligente Modelle, damit die Bildungschancen der Schüler*innen gewahrt würden. ­Konkrete Ideen werden mitgeliefert: Zusätzliche Räume könnten beim Präsenzunterricht für mehr Abstände sorgen. „Freistehende Kultureinrichtungen und Gemeindehallen könnten durch die Landesregierung angemietet werden. Damit kann nicht nur Unterricht in einem sicheren Umfeld gewährleistet werden, sondern auch Kultureinrichtungen, Vereine und Kirchen unterstützt werden“, empfiehlt SPD-Vorsitzender Andreas Stoch. Monika Stein rät: „Betreuung kann durch Lehramtststudierende und pädagogische Assistent*innen ­gewährleistet werden, qualifizierter Unterricht nur durch Lehrkräfte.“

Am 5. Januar verlängert die Bundesregierung zusammen mit der Ministerpräsidentenkonferenz den bundesweiten Lockdown bis zum 31. Januar 2021. „Unser Ziel ist, Kitas und Grundschulen in Baden-Württemberg ab dem 18. Januar wieder flächendeckend zu öffnen.“, lässt Kultusministerin Susanne Eisenmann sogleich wissen. Kitas und Schulen bleiben folglich nur eine Woche lang sicher zu. Allerdings müssen völlig überraschend die Sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentren (SBBZ) und die Schulkindergärten mit den Förderschwerpunkten geistige Entwicklung (GENT) und körperliche und motorische Entwicklung (KMENT) als einzige Schulen vollständig öffnen.

GEW: Schrittweise Schulöffnung mit Wechselunterricht

In einer gemeinsamen Pressemitteilung appellieren die GEW, der Grundschulverband, BLV, PhV, RLV und der Verein Gemeinschaftsschulen BW Anfang Januar: „Vor einer Schulöffnung muss jetzt verlässlich festgelegt werden, ab welcher Inzidenzzahl und unter welchen (…) Bedingungen der ­schrittweise Übergang zu Wechsel- und später zu Präsenzunterricht stattfinden kann.“

Auch vollwertige FFP2-Masken für alle und Raumluftreiniger wurden gefordert. Monika Stein sagte: „Zwischen Schulschließungen und Präsenzunterricht gibt es einen großen Graubereich, der eine ganze Bandbreite an sinnvollen Lösungen ermöglicht, um gleichzeitig den Gesundheitsschutz von Schülerinnen, Schülern, deren Familien und der Lehrkräfte sicherzustellen.“ Alle Einwände blieben ungehört. Neue Konzepte wurden nicht entwickelt.

Start nach den Weihnachtsferien

Von der Notbetreuung und den SBBZ und Schulkindergärten GENT und KMENT abgesehen, begann ab 11. Januar für rund eine Million Schüler*innen in Baden-Württemberg Fernunterricht nach Stundenplan. Moodle und andere Onlineplattformen gingen morgens um 8 Uhr in die Knie. Kein guter Start. Das Kultusministerium hätte bei Moodle früher für mehr technische und ­personelle Kapazitäten sorgen müssen. Ein paar Tage später lief Moodle wieder stabil.

Aus der Öffnung eine Woche nach Schulbeginn wird doch nichts. Gegen den erklärten Willen der Kultusministerin. Sie will ab dem 18. Januar Kindertageseinrichtungen und die Klassen 1 und 2 der Grundschule unter strengen Hygieneanforderungen öffnen. Der Ministerpräsident lässt es nicht zu. Noch nicht. Nach einem erneuten Bund-Länder-Beschluss am 19. Januar, der Schulen und Kitas erst ab 15. Februar wieder öffnen will, scheint sich die Kultusministerin mit einer Öffnung, zumindest für einige Klassenstufen und Kitas ab dem 1. Februar durchzusetzen. Die GEW fragt sich, wie das gehen soll, ohne die Gesundheit der Beschäftigten zu gefährden. „Wenn die Klassen 1 und 2 Anfang Februar in die Schulen kommen und diese Klassen in zwei Gruppen aufgeteilt werden, brauchen wir dafür alle Lehrkräfte einer Grundschule. Wer kümmert sich dann um Fernlernunterricht für die Klassen 3 und 4? Für alle Schulen müssen sinnvolle Konzepte für Wechselunterricht vorbereitet werden. Bisher kam aus dem Kultusministerium immer das Signal, dass dieser nicht gewünscht sei“, reklamierte Stein.

Auch die SBBZ und Schulkindergärten GENT und KMENT warten weiter auf Entscheidungen, um die Schüler*innen und Beschäftigten besser vor Ansteckungen zu schützen (siehe Kasten).

Viele Kinder in der Notbetreuung

Seit Januar wird die Notbetreuungin Kitas verstärkt in Anspruch genommen. Kitaverbände melden Anmeldezahlen von durchschnittlich 30 Prozent mit steigender Tendenz. Mancherorts kommen über die Hälfte der Kinder, teilweise sogar alle. Weit mehr Erzieher*innen als beim ersten Lockdown sind besorgt um ihre Gesundheit. Eine Auswertung der AOK-Krankenversicherung verstärkte die Verunsicherung. Mitarbeiter*innen in der Alten- und Krankenpflege sowie in der Kinderbetreuung hätten ein weit überdurchschnittlich hohes Risiko, an einer Corona-Infektion zu erkranken, schreibt die AOK. Das Kultusministerium hält die Ergebnisse für nicht belastbar.

Am 26. Januar verkündet Kretschmann auf der Pressekonferenz, dass die Kultusministerin morgen das Konzept erkläre, wie Kitas und Grundschulen ab 1. Februar öffnen können. Die­ ­Inzidenzzahlen gingen zurück und Virologen und mehrere Studien bestätigten ihm, dass Kinder unter 10 Jahren keine Infektionstreiber seien. Auf die Bemerkung einer Journalistin, an Schulen und Kitas gebe es auch Menschen über 10, antwortet der Ministerpräsident lapidar, Lehrkräfte und Kitabeschäftigte hätten ja Masken. Die ­Aussage stößt auf Empörung und sie ist falsch. Der GEW liegen viele Rückmeldungen über unzureichende Sicherheitsmaßnahmen vor. In vielen Kitas und SBBZ sind keine medizinischen Masken vorhanden. Grundschulen werden erst ab dem 1. Februar mit Masken versorgt. Auch andere Sicherheitsmaßnahmen sind oft unzulänglich, Gruppen zu groß, es fehlt immer wieder an Personal. Eine Einschränkung räumt Kretschmann noch ein: „Wenn noch ein Mutant an die Tür klopfen sollte, gibt es keine Öffnung.“

In letzter Minute wird ein Tag später das Pressestatement von Kretschmann und Eisenmann abgesagt. In einer ­Freiburger Kita sind Virusmutationen aufgetaucht. Das angekündigte Öffnungskonzept der Ministerin ist Makulatur. „Es tut mir außerordentlich leid“, erklärte am nächsten Tag der Ministerpräsident, „dass wir unseren Plan nicht umsetzen können.“ Das Risiko wäre zu groß gewesen. Es ändert sich folglich bis zu den Faschingsferien nichts. Schulen und Kitas bleiben zu, Notbetreuung, SBBZ und Schulkindergärten GENT und KMENT bleiben trotz massiver Proteste der Leitungen, Beschäftigten und der GEW ohne weitere Schutzmaßnahmen offen. Kretschmann weist ausdrücklich darauf hin, dass die Notbetreuung auch wirklich nur für die Not gedacht sei. In den Ferien müssen die Schulen weder Fernlernen noch Notbetreuung anbieten. In den Kitas geht die Notbetreuung allerdings weiter, falls die Kita keine Schließtage eingeplant hatte.

Schwierige Abwägung

Bei der Frage, ob Schulen und Kitas öffnen sollen oder nicht, steht immer die Abwägung dahinter, ob das Recht auf Bildung und Sozialkontakte oder der Gesundheitsschutz höher zu bewerten sind. Wer sollte Eisenmann nicht Recht geben, wenn sie sagt: „Kinder brauchen andere Kinder – das Miteinander ist essentiell und fehlt nun. Wir müssen bei unseren Maßnahmen zudem auch bedenken, dass nicht alle Kinder in geregelten Verhältnissen aufwachsen.“? Bisher ist die Ministerin allerdings nicht als Kämpferin für Bildungsgerechtigkeit aufgefallen. Man wähnt sie und den Ministerpräsidenten eher im Wahlkampfmodus.

Der Gesundheitsschutz der rund 120.000 Lehrkräfte und 90.000 Kitabeschäftigte spielt in Eisenmanns Aussagen kaum eine Rolle. Auch in der öffentlichen Wahrnehmung werden die Gefahren für die Beschäftigten und ihre Angehörigen wenig gesehen. Umso mehr muss die GEW vehement und klar ihre Interessen vertreten. Es kann nicht sein, dass Lehrkräfte und Fachkräfte in Kitas Infektionen schutzlos ausgesetzt sind.

Die GEW erhält sehr viele Rückmeldungen von Kolleg*innen auf allen Kanälen: Viele rufen an, die E-Mail-Postfächer laufen voll, zahlreiche Kommentare erreichen uns auf Facebook. Eine Person schreibt beispielsweise: „Das Wohl der Kinder ist wichtig, ja. Das Wohl der Lehrer ist wichtig, ja. Bildung ist wichtig, ja. Mit einer konzeptlosen, wenig konzipierten Öffnung werden alle drei Ideale ad absurdum geführt. Mit einem starken Hygienekonzept, mit Luftfiltern, FFP2-Masken, Wechselunterricht, einem guten Betreuungskonzept, Raumanmietungen oder dergleichen wäre es womöglich relativ ungefährlich und gleichsam gut. Die Pandemie ist seit nunmehr über 12 Monaten bekannt. Die Kultusministerin hat in meinen Augen völlig versagt. Es wäre mehr als genug Zeit für Konzepte da gewesen.“

Auf der Schulleitungstagung der GEW am 29. Januar sagte die Kultusministerin: „Corona und Planungssicherheit passen nicht zusammen.“
Jeder Tag bringe eine andere Lage. Sie wisse, dass die kurzfristigen Entscheidungen für alle schwierig seien. Die Maßnahmen müssten immer auch diskutiert und rechtssicher formuliert werden und daher ginge es nicht schneller. Unverständlich ist Eisenmann, warum es eine Begeisterung für den Wechselunterricht gebe. „Im Mai hat man gesehen, wie groß der organisatorische Aufwand ist“, begründete sie ihre Ablehnung. Sie präferiert den Präsenzunterricht und will mehr Sicherheit über weitere Tests erreichen.

Die b&w ging am 3. Februar in den Druck. Es sieht so aus, dass sich bis zum Erscheinungstermin am 12. Februar nicht mehr viel ändert. Aber wer weiß das schon.


SBBZ und Schulkindergärten GENT und KMENT

Als bekannt wurde, dass SBBZ und Schulkindergärten GENT und KMENT als einzige Schulen nach den Weihnachts­ferien öffnen müssen, erreichten die GEW viele E-Mails und Anrufe. Viele betroffene Lehrkräfte meldeten sich mit ihren berechtigten Sorgen. An diesen Einrichtungen ist die Ansteckungsgefahr für Schüler*innen und Beschäftigte von allen Schulen und Kitas am größten. Konzepte für ein Öffnen lieferte das Kultusministerium nicht, Wechselunterricht ist nicht erlaubt.

Die GEW hat schon am 8. Januar einen Brief an Kultusministerin Eisenmann geschrieben und Bedingungen formuliert, die bei einer Öffnung erfüllt sein müssen. Auf den Brief hat die Kultusministerin nicht reagiert. Betroffene Lehrkräfte mehrerer Schulen haben eine Petition ­www.petitionen.com/­schuloffnungen_am_sbbz_nur_wenn_der_gesundheitsschutz_gewahrleistet_ist gestartet, die von über 10.000 Menschen unterstützt wird. Auch sie haben sich an das Kultusministerium gewandt und bisher keine Reaktion erhalten. Dass die Situation an den SBBZ und Schulkindergärten GENT und KMENT und die Sorgen der Beschäftigten von der ­Kultusministerin nicht beachtet werden, ärgert die Kolleg*­innen zu Recht.

Verschärft wird die Lage an den SBBZ und den Schulkindergärten, weil dort am meisten Lehrkräfte fehlen (9 Prozent) und viele vorhandene Stellen mit nicht ausreichend qualifizierten Personen besetzt sind.

Beim Schulleitungstag der GEW gibt es einen ersten Erfolg: Die Kultusministerin gibt eine Entscheidung der Landesregierung bekannt: Die Beschäftigten an den SBBZ und Schulkindergärten GENT und KMENT bekommen früher ein Impfangebot. Sie sind jetzt in der Impf-Kategorie 2 (bisher 3), analog zu den Beschäftigten in der stationären Pflege.

In Gesprächen hinter den Kulissen gibt es vom Kultusministerium kleine Zugeständnisse für die Beschäftigten dieser Einrichtungen: An den ersten Einrichtungen stehen inzwischen Schnelltests zur Verfügung. Die SBBZ und Schulkindergärten sollten diese Schnelltests von den Schul­trägern fordern. Das KM versorgt die SBBZ und Schulkindergärten mit Schutzausrüstung (FFP2-Masken, Handschuhen, Schürzen). Falls vor Ort noch Schutzausrüstung fehlt, sollen sich die Einrichtungen an den Schulträger wenden.

Andere Bedingungen erfüllt das Kultusministerium nicht:

  • Sofortige Bereitstellung von Schnelltests an allen SBBZ und Schulkindergärten GENT und KMENT.
  • Möglichkeit, vor Ort passende Konzepte für Wechselunterricht anzubieten.
  • Einen Spielraum, um vor Ort das Unterrichtsangebot bei Bedarf zu verkürzen.
  • Einen Spielraum, um mit den ­Eltern passende individuelle Lösungen zu entwickeln, z. B. wann welche Schüler*innen in die Schule kommen.
  • Zusätzliches Personal und Räume, um Gruppen und damit das Ansteckungsrisiko zu verkleinern.
  • Mehr Kapazität bei der Schülerbeförderung, um dort das Ansteckungs­risiko zu verringern.
Michael Hirn

 


Wie Kitas besser geschützt werden können

Damit Beschäftigte in Kitas gut geschützt sind, brauchen auch sie als Voraussetzung für eine Öffnung und für die Notbetreuung FFP2-Masken, Luftfilteranlagen, regelmäßige Reinigungsarbeiten und:

  • Vorgezogenen Impfanspruch und regelmäßige Tests,
  • feste kleinere Gruppen mit ­gleichbleibendem Personal ohne Durchmischung,
  • je nach Situation vor Ort
  • eingeschränkte Öffnungszeiten,
  • Erwachsene sollten nur eingeschränkt die Kitas betreten dürfen,
  • wenn Eingewöhnungen unbedingt erforderlich sind, müssen Eltern Schnelltestungen durchlaufen,
  • wo immer möglich, soll Homeoffice ermöglicht werden,
  • digitale Ausstattung auch in Kitas.