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Qualitätskonzept

Daten alleine liefern keine Erkenntnisse

Die grün-schwarze Landesregierung startete vor drei Jahren eine Reform zur Qualitätsentwicklung von Schulen und Unterricht. Wie gut die Reform seither vorangekommen ist, war Thema der GEW-Tagung Anfang Februar.

Eine Person rollt einen großen Stein einen steilen Berg hoch.
Qualitätsentwicklung ist eine Sisyphosarbeit (Foto: © Gazometr / iStock)

Die GEW-Chefin Monika Stein zieht eine enttäuschende Bilanz zur Reform der Qualitätsentwicklung: „Immer noch kommt wenig Nutzen dieser Reform in den Schulen an. Im Gegenteil: Lehrkräfte und Schulleitungen fühlen sich schlechter unterstützt als vor der Reform. Es wird Zeit, dass Kultusministerin Theresa Schopper ihre volle Aufmerksamkeit auf die Weiterentwicklung des Qualitätskonzepts richtet. Notwendig ist ein Neustart, der alle Beteiligten mitnimmt und ihre Erfahrungen, ihre Expertise ernst- und aufnimmt. Das Berufsbild für Ausbilder*innen und Fortbildner*innen ist überfällig. Ohne die weitere Professionalisierung ist jedes Konzept zum Scheitern verurteilt“, sagt Stein bei der Online-Fachtagung der GEW vor rund 120 Teilnehmenden. Die meisten davon sind Beschäftigte in der Schulverwaltung, im  Zentrum für Schulqualität und Lehrerbildung (ZSL) und im Institut für Bildungsanalysen Baden-Württemberg (IBBW).

Der Leiter des IBBW, Günter Klein, sieht das Qualitätskonzept auf einem guten Weg. Pate bei der Entwicklung des Konzepts stand Hamburg. Dort gibt es seit 25 Jahren eine datengestützte System-, Schul- und Unterrichtsentwicklung. Die verantwortliche Bildungsbehörde in Hamburg heißt „Institut für Bildungsmonitoring und Qualitätsentwicklung (IfBQ)“ und deren Direktorin Martina Diedrich referierte bei der GEW-Tagung über ihre langjährigen Erfahrungen. Qualitätsentwicklung sei oft mit Enttäuschungen verbunden, sagte sie gleich zu Beginn und wie Sisyphos müsse Bildungsforschung und Praxis immer wieder von vorne starten. Damit das komplexe Unterfangen trotzdem gelingen könne, seien zahlreiche Voraussetzungen entscheidend. Es brauche beispielsweise normative Grundlagen, in denen beschrieben werde, wie eine gute Schule sein soll. Dafür sei ein breiter Konsens nötig. Die sehr unterschiedlichen Akteure (Schulleitungen, Lehrkräfte, Verwaltung, Schulaufsicht, Eltern, Politik) hätten dabei sehr unterschiedliche Vorstellungen und Handlungslogiken, die es auszuhandeln gelte. Man solle von anderen nicht zu schnell sagen „Wieso sind die so doof?“, sondern man müsse die Rolle jedes einzelnen berücksichtigen und zusammenkommen. Diedrich mahnte zu Bescheidenheit und Geduld.

Umgang mit Daten

Qualitätsentwicklung ist auch in Baden-Württemberg nichts Neues, neu ist jedoch, dass zukünftig auf Grundlage von Daten systematisch Prozesse gesteuert und Entscheidungen getroffen werden. Erhoben werden Daten beispielsweise mit Leistungstests, Inspektionen oder Evaluationen.

Sisyphosarbeit = 

eine Arbeit, die so umfangreich, kompliziert und schwierig ist, dass sie niemals erledigt sein wird – und bei der man immer wieder von vorne anfangen muss. „Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen“, forderte Albert Camus in „Der Mythos des Sisyphos“. Der Kampf gegen Gipfel vermag ein Menschenherz auszufüllen. Freiheit heißt bei Camus also, über Revolte gegen die Sinnlosigkeit zu einer Akzeptanz zu finden – und das Sosein des Lebens anzunehmen.

Quelle: www.hoheluft-magazin.de/2013/12/warum-sisyphos-gluecklich-ist/

Am Beispiel der Vergleichsarbeiten (VERA), die in allen Bundesländern in festgelegten Klassenstufen verpflichtend geschrieben werden, erklärt Diedrich einen der Fallstricke, die mit datenbasierter Qualitätsentwicklungen entstehen können: „Wer sich mit VERA Daten erhofft, die individuelle Rückmeldungen zu einzelnen Schüler*innen geben, wird enttäuscht. Mit VERA erhält man nur Daten zur ganzen Klasse. Für individuelle Förderungen ist dieses Testverfahren das falsche Instrument.“ Daten könnten nur zur Entwicklung beitragen, wenn sie Auskunft geben, auf das, was man wissen möchte. Daten müssten Entscheidungen und Handlungen ermöglichen, zum Beispiel wie man ein Kind besser fördern kann. Daten müssten auch gut aufbereitet sein, sie sollten Resonanz erzeugen, die Menschen berühren, dann würden sie auch benutzt. Und Diedrich warnt:

„Nur wenn sich ­viele ­beteiligen, können ­Daten richtig inter­pretiert werden.“

„Man darf Daten nicht mit Evidenz verwechseln. Wir neigen dazu, allein Daten Erkenntnissen zuzuschreiben. Das wäre eine Hybris.“ Nur wenn sich viele daran beteiligten, könnten Daten richtig interpretiert werden. Es brauche Raum für Aushandlungsprozesse und eine gemeinsame Sinnerzeugung. Zeitmangel führe allerdings dazu, dass viele nötige Gespräche nicht geführt werden.

„Daten alleine machen nichts besser, sie sind aber Aufmerksamkeitslenker und ein Navi, wie es weitergehen könnte“, sagt IBBW-Chef Günter Klein. Das IBBW wolle bescheiden auftreten und beispielsweise bei den geplanten Ziel- und Leistungsvereinbarungen nicht nur empirische Daten zurate ziehen. Auch der Dialog sei wichtig. Grundhaltung für alle, ob Schulaufsicht, Schulleitung oder Lehrkräfte müsse sein: „Wie wirksam ist, was wir machen?“. Man müsse den Prozess mit Gelassenheit und Zielorientierung angehen, sagt Klein.

Wen der IBBW-Chef zur Gelassenheit aufruft, sagt er nicht. Bei den Beschäftigten in der Schulverwaltung, im ZSL und IBBW ist beim Aufbau der Institute viel Porzellan zerschlagen worden. Die Leitungsstellen an den Instituten seien mittlerweile weitgehend besetzt, lobt Liane Schneider, GEW-Hauptpersonalrätin im außerschulischen Bereich (asB). Prinzipiell gut findet sie auch, dass die Schulverwaltung demnächst verbindliche Statusgespräche mit Ziel- und Leistungsvereinbarungen erproben soll. Allerdings seien nicht nur bei diesem Vorhaben viele Fragen ungeklärt. Unklar sei oft, wer wofür zuständig ist. Wer berät wen? Soll die Schulaufsicht überhaupt beraten? Welche Unterstützungssysteme gibt es? Wie sieht es mit Fortbildungen aus? Woher kommen die Fachberatungen und Fortbildner*innen, wenn Anreize fehlen und die meisten nur 38,81 Euro brutto pro Monat zusätzlich verdienen?

Dialog hat einen hohen Stellenwert

Einen verbindlichen Referenzrahmen zur Entwicklung von Schulqualität stuft die Personalrätin als nächsten wichtigen Stützpfeiler ein. „Ein Referenzrahmen kann ein gemeinsames Verständnis von Schul- und Unterrichtsqualität liefern und damit Qualitätsentwicklungsprozesse befördern“, findet auch Wolfgang Straub, Schulamtsdirektor und Mitglied im GEW-Vorstandsbereich Allgemeine Bildung. Allerdings bemängelt er, dass die GEW nicht beteiligt sei. „Der Dialog fehlt. Die GEW will sich mit ihrer hohen Expertise einbringen“, betont er und warnt, „ohne Beteiligung ist der Referenzrahmen schnell verbrannt“.

Auch Jürgen Stahl, Leiter des GEW-Vorstandsbereichs Allgemeine Bildung, ist besorgt, ob die neuen Verfahren gut akzeptiert werden. „Die Fremdevaluation führte ins Nirwana“, sagt er zu den schlechten Erfahrungen, die viele Schulen mit der Fremdevaluation gemacht hatten. Mit der Gründung der beiden neuen Institute wurde sie gestoppt.

„Qualitätsentwicklung setzt auf Einsicht, geht nicht hierarchisch, sondern nur gleichberechtigt“, weiß Martina Diedrich aus langjähriger Erfahrung. Bei allen Beteiligten Akzeptanz zu finden, sei nicht leicht. Das hätten sie auch in Hamburg nicht überall geschafft. „Wir wollen den Schulen nichts aufdrängen, was nicht hilft. Es geht nicht um Belehrung, sondern um einen Expertendialog“, verspricht Klein. Bei der Online-Tagung konnte man den Gesichtern der rund 120 Teilnehmenden nicht ablesen, ob sie daran glauben.

Kontakt
Ute Kratzmeier
Referentin für allgemeinbildende Schulen
Telefon:  0711 21030-25