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Lehrkräftemangel

Direkteinstieg in Grundschulen und Sekundarstufe I

Seit Jahren fehlen Lehrkräfte. Die Landesregierung will über den Direkteinstieg einen neuen Weg anbieten, Absolvent*innen anderer Studiengänge als Lehramt einstellen zu können. Dabei bleiben Zweifel, ob der Direkteinstieg den Schulen wirklich hilft.

Eine Frau schaut nach links und hält ein Verkehrsschild hoch mit einem Pfeil nach oben.
Der Direkteinstieg in Grundschulen und Sekundarstufe I ­muss anders sein als im beruflichen Bereich. (Foto: © imago)

Für die Grundschulen und die Schulen der Sekundarstufe I (ohne Gymnasien; also Haupt-, Werkreal-, Real und Gemeinschaftsschulen) will die Landesregierung einen Direkteinstieg anbieten. Den Direkteinstieg gibt es seit Jahren für bestimmte Mangelfächer an den Beruflichen Schulen. Das Modell: Personen, die ein fachwissenschaftliches Studium an einer Hochschule abgeschlossen haben, werden mit einem vollen Vertrag im Angestelltenverhältnis eingestellt. Sie müssen einen modifizierten und auf zwei Jahre verlängerten Vorbereitungsdienst (VD) und ein Bewährungsjahr an der Schule erfolgreich abschließen. Danach haben sie die volle Lehramtsbefähigung und arbeiten unbefristet als Beamt*in oder Angestellte*r.

Wie der Direkteinstieg in Beruflichen Schulen erfolgreich funktioniert

Im beruflichen Bereich sind die Fächer genau definiert, für die ein Direkteinstieg möglich ist. Das sind Mangelfächer, für die es zu wenig Bewerber*innen und zu wenig Seiteneinsteiger*innen (siehe Infokasten) gibt. Die Bewerber*innen für den Direkteinstieg müssen ein Fach studiert haben, das eng mit einem Unterrichtsfach verwandt beziehungsweise affin ist.

Im beruflichen Bereich gibt es Studiengänge, aus denen sich vergleichbare Studieninhalte zum Lehramtsstudium (zum Beispiel Agrarwissenschaften, Germanistik) ableiten lassen. Die fachlichen Studieninhalte unterscheiden sich kaum zwischen den fachwissenschaftlichen Studiengängen und den Lehramtsstudiengängen. Die Bewerber*innen müssen einen wesentlichen Teil (circa 80 Prozent) der fachwissenschaftlichen Studieninhalte nachweisen. Außerdem müssen die Kolleg*innen Berufspraxis haben.

Nach der Zulassung absolvieren die Bewerber*innen einen modifizierten Vorbereitungsdienst über zwei Jahre. Sie sind mit Hospitationen und zunehmend mit selbstständigem Unterricht (zwischen acht und 18 Stunden) an einer Schule beschäftigt. Parallel dazu finden Veranstaltungen am Seminar für Ausbildung und Fortbildung der Lehrkräfte statt. Dort werden die fehlenden Studieninhalte und die üblichen Kompetenzen des Vorbereitungsdienstes vermittelt. Außerdem finden Unterrichtsbesuche statt.

Für das Lehramt Sekundarstufe I (Sek I) wird der Direkteinstieg deutlich schwieriger. Ein universitäres Studium in Germanistik oder Anglistik hat zwar inhaltliche Überschneidungen mit einem Lehr­amtsstudium an der Pädagogischen Hochschule (PH). Allein der Umfang der fachwissenschaftlichen Studieninhalte bei Sek I (142 Creditpoints) ist aber deutlich geringer ist als in den Lehramtsstudiengängen für berufliche Schulen (200 Creditpoints).

Das originäre Lehramtsstudium an einer wissenschaftlichen ­Hochschule dauert zehn Semester (Ausnahme Grundschule: acht Semester); danach folgt ein Vorbereitungsdienst mit 18 Monaten. In Zeiten des Lehrkräftemangels wird bundesweit darüber diskutiert, wie Personen ohne volle Lehramtsausbildung als vollwertige Lehrkräfte nachqualifiziert und eingestellt werden können. Dazu gibt es in Baden-Württemberg zwei Wege:

  • Seiteneinstieg: Personen, die ein Studium absolviert haben, das weitgehend einem Lehramtsstudium entspricht, können in den Vorbereitungsdienst (VD) des jeweiligen Lehramts einsteigen (zum Beispiel können sich Personen mit Abschluss Lehramt Gymnasium für den Vorbereitungsdienst Sekundarstufe I oder Grundschule bewerben); während des VD erhalten die Kolleg*innen Anwärterbezüge; nach erfolgreichem Abschluss des VD Einstellung als Beamt*in / Angestellte*r
  • Direkteinstieg: Möglich für genau definierte Lehrämter und Fächer, für die ein besonders hoher Bedarf besteht; ist offen für Personen, die ein fachwissenschaftliches Studium absolviert und ein Jahr berufliche Erfahrungen haben; ein bis zwei studierte Fächer müssen auf Unterrichtsfächer bezogen sein; nach der Einstellung müssen ein modifizierter Vorbereitungsdienst (zwei Jahre mit vollem Gehalt als Angestellte*r) und die Bewährung in der Schule (ein Jahr) erfolgreich abgeschlossen werden; danach normale Beschäftigung als Beamt*in / Angestellte*r
  • Quereinstieg: Der Begriff wird in Baden-Württemberg nicht oder nur als Oberbegriff verwendet.

Außerdem sind die fachwissenschaftlichen Studienanteile an der PH enger mit den fachdidaktischen und schulpraktischen Anteilen verwoben als an der Universität. Die potentiellen Bewerber*innen bringen also zwangsläufig weniger anrechenbare Studienanteile mit als bei den beruflichen Schulen.

Was beim Lehramt für Grundschulen und Sek I anders ist

Kaum vorstellbar ist ein Direkteinstieg für den Bereich Grundschule. Schon ein Blick auf die originär fachwissenschaftlichen Studienanteile im Lehramt Grundschule (GS) zeigt, dass diese wesentlich geringer (100 Creditpoints einschließlich Fachdidaktik) sind als in den anderen Lehrämtern.

Die fachwissenschaftlichen Anteile im Lehramt Grundschule sind noch enger mit den spezifischen fachdidaktischen und schulpädagogischen Anteilen der Fächer verknüpft. Welche Studienanteile aus einem universitären Fachstudium dafür anrechenbar sein können, ist fraglich.

Auch der Anteil der anderen Studienanteile (Grundbildung Deutsch und Mathematik, Fachdidaktik, Schulpädagogik, Bildungswissenschaften, Schulpraxis) ist im Lehramt GS deutlich höher als in den anderen Lehrämtern. Insofern dürfte der Kreis geeigneter Bewerber*innen mit nennenswerten anrechenbaren Studienleistungen sehr klein sein.

GEW: Berufsbegleitende Qualifizierung wäre besser

Bei beiden Lehrämtern (Sek I und Grundschule) ist die Lücke, die zwischen den anrechenbaren und den fehlenden Studienleistungen besteht, deutlich höher als bei den Beruflichen Schulen. Die GEW bezweifelt deshalb, dass auf diesem Weg Lehrkräfte vergleichbar zur originären Lehramtsausbildung qualifiziert werden können.

Ein Kommentar von Michael Hirn, stellvertretender Landesvorsitzender der GEW

Der Direkteinstieg an den Beruflichen Schulen ist ein sinnvoller Weg, um in den dort teilweise sehr kleinen Fächern Bewerber*innen zu qualifizieren.

Lehrer*innen für Sekundarstufe I oder Grundschulen studieren aber völlig anders. Die fachwissenschaftlichen Inhalte in den Lehramtsstudiengängen an den Pädagogischen Hochschulen sind geringer, die fachdidaktischen, schulpädagogischen, bildungswissen­schaft­lichen und schulpraktischen An­teile sind wesentlich höher als an den Universitäten.

Und das aus gutem Grund: In diesen Lehrämtern kommt es neben einer reflektierten Fachlichkeit auf die pädagogischen und didaktischen Kompetenzen an. Und nicht zuletzt ist das Lehramtsstudium als wissenschaftliches und forschungsbasiertes Studium mit einem reflektierten Bezug zur Schulpraxis angelegt.

Dieses Studium kann nicht durch einen modifizierten und zeitlich gestreckten Vorbereitungsdienst ersetzt werden. Zumal in diesem Vorbereitungsdienst neben den fehlenden Inhalten aus dem Studium auch alle Inhalte und Kompetenzen des normalen VD erworben werden müssen. Und dann haben die Kolleg*innen im Direkteinstieg noch eine höhere Unterrichtsverpflichtung als die Anwärter*innen im normalen VD.

Wenn die Landesregierung einen Direkteinstieg für Sek I und GS anbieten will, muss er anders sein als im beruflichen Bereich. Er muss länger als drei Jahre dauern, Angebote der Pädagogischen Hochschule müssen mit eingebunden werden und die Unterrichtsverpflichtung gesenkt werden.

Der derzeit geplante Direkteinstieg kann ein Baustein sein, den eklatanten und politisch verursachten Lehrkräftemangel an Lehrkräften zu mildern. In Sachen Qualität ist er ein weiterer Offenbarungseid. Bei Vergleichsstudien wird immer wieder auf die Bedeutung fachlich gut qualifizierter Lehrer*innen hingewiesen.

Auch die Ständige Wissenschaftliche Kommission der Kultusministerkonferenz (SWK) beschreibt das in ihrem aktuellen Gutachten zum Lehrkräftemangel. Der Direkteinstieg für die Sekundarstufe I und die Grundschule kann diese Qualifizierung als Voraussetzung für guten Unterricht nicht leisten.

Das selbstgesteckte Ziel, bessere Ergebnisse bei Vera oder IQB zu ermöglichen, wird die Landesregierung nicht erreichen. Aber sie tut so: In der Statistik tauchen Kolleg*innen aus dem Direkteinstieg als voll qualifizierte Lehrkräfte auf. Wenn sich die Studien-Ergebnisse nicht verbessern, kann die Politik die Verantwortung bei den Schulen abladen. Wenn sie nicht mehr tun wollen, sollten die Politiker*innen ehrlicher sein und zugeben: „Wir haben es verbockt! Und das können wir nicht so schnell korrigieren.“

Die GEW schlägt deshalb seit Jahren ein Modell vor, in dem Menschen ohne Lehramtsstudium eine auf deren jeweilige Biografie bezogene berufsbegleitende Qualifizierung ermöglicht wird. Sie würde die vorab erworbenen Studieninhalte, Berufspraxis und Kenntnisse, die als Vertretungslehrkraft erworben worden sind, berücksichtigen. Diesen Personen würden dann abgestufte Module angeboten, die die fehlenden Studieninhalte (unter Einbeziehung der Pädagogischen Hochschulen) sowie die Inhalte und Kompetenzen aus dem Vorbereitungsdienst umfassen.

Diese berufsbegleitende Qualifizierung muss länger dauern als der derzeitige Direkteinstieg. Dafür müssten die formalen Voraussetzungen (Landeslaufbahnverordnung) verändert werden. Außerdem müssten das Kultusministerium und das Wissenschaftsministerium ein Modell entwickeln, wie die Pädagogischen Hochschulen zusammen mit den Seminaren passende Qualifikationsmodule anbieten können. Gespräche über dieses Modell bietet die GEW dem Kultusministerium seit Jahren an. Bisher ohne Erfolg.

Kontakt
Ute Kratzmeier
Referentin für allgemeinbildende Schulen
Telefon:  0711 21030-25