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Drei Fragen an ... Susanne Posselt

Susanne Posselt hat die Schulsysteme in Finnland und Estland kennengelernt. Welche Erkenntnisse hat sie von dort mitgebracht?

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Drei Fragen an Susanne Posselt
M.A. Unterrichts- und Schulentwicklung, 
Gemeinschaftsschulkonrektorin

1. Liebe Susanne, du warst im Rahmen eines Erasmus Projekts kürzlich in Finnland und Estland, um dort das Bildungssystem kennenzulernen. Wie wird denn gemeinsames Lernen in Finnland und Estland umgesetzt?

In Finnland und Estland lernen alle Kinder und Jugendlichen bis zur Klasse neun gemeinsam. Man kennt dort eine frühzeitige Trennung, wie sie bei uns ja schon im Alter von zehn Jahren praktiziert wird, überhaupt nicht. Besonders in Finnland haben die Lehrkräfte uns gegenüber betont, dass ihnen dieses gemeinsame Lernen auch deshalb sehr wichtig ist, damit die Kinder lernen in einer Gesellschaft der Vielfalt zu leben. Hier gibt es beispielsweise auch zweimal im Jahr jahrgangsübergreifende Projektwochen, die in den nationalen Bildungsplänen verankert sind. Überhaupt haben gemeinschaftliche Aktionen und gemeinsame Feiern einen hohen Stellenwert.

2. Seit Jahren geht es mit der Digitalisierung der Schulen in Deutschland schleppend voran. Können wir von Finnland oder Estland dahingehend etwas lernen?

Die Digitalisierung ist in beiden Ländern deutlich weiter fortgeschritten als bei uns. In Finnland haben wir gesehen, dass es völlig selbstverständlich ist, den Lernfortschritt in E-Portfolios zu dokumentieren. In beiden Ländern gibt es Curricula, um digitale Kompetenzen zu erwerben. Dazu zählt beispielsweise auch das Erlernen des Zehnfingersystems und die professionelle Nutzung von digitalen Geräten. Estland qualifiziert zu diesem Zweck extra Expertinnen (Educational Technologists), die die Schulen in digitalen Fragen beraten und sowohl Kolleginnen fortbilden sowie die Umsetzung des Curriculums überprüfen. Gleichzeitig wurde uns sowohl in Finnland als auch in Estland berichtet, dass man sich Gedanken über die Auswirkungen von Smartphones in den Händen der Kinder und Jugendlichen macht. In Estland wird gerade darüber diskutiert, die Nutzung von Smartphones in den Schulen zu verbieten.

3. Nirgends hängt der Bildungserfolg der Kinder so sehr vom Elternhaus ab, wie in Deutschland. Hattest du den Eindruck von mehr Bildungsgerechtigkeit in Finnland und Estland und wenn ja warum? Spielt der Ganztag eine entscheidende Rolle?

In Estland haben die Veranstalter des Begleitprogrammes sehr stolz darüber berichtet, dass es bei Ihnen nachgewiesenermaßen nur einen sehr geringen Zusammenhang von Herkunft und Bildungserfolg gibt. Wir hatten wir den Eindruck, dass Bildung insgesamt einen sehr hohen Stellenwert in der Gesellschaft hat. Das Leistungsniveau in den Schulen ist sehr hoch. In Finnland war hingegen das Thema Wellbeing überall sehr präsent. Den Finnen ist es sehr wichtig, dass es allen am Schulleben Beteiligten gut geht. Multiprofessionelle Teams aus Schulpsycholog*innen, Schulkrankenflegekräften und Schulsozialarbeiter*innen sind Standard an den Schulen und man sagte uns, dass die Schulen so ausgestattet sein sollen, wie die Wohnzimmer der Menschen. Der Ganztag spielt in Finnland keine so große Rolle, weil es den Familien sehr wichtig ist, Zeit mit ihren Kindern zu verbringen. Es gibt allerdings für jedes Kind ein kostenloses Mittagessen bis zum Ende der Schulzeit und alle Schulmaterialien sind für alle Kinder kostenlos. In Finnland gibt es überdies sehr großzügige Regelungen für die Elternzeit und man kann sagen: Je kleiner die Kinder, umso kürzer die Zeit, die sie in öffentlichen Einrichtungen verbringen. Für Eltern ist es hingegen selbstverständlich, sich die Erziehungsarbeit paritätisch zu teilen.