Zum Inhalt springen

Drei Fragen an ... Holger Philipp, Kultusministerium

Holger Philipp, Leitender Ministerialrat, Stabsstelle Lehrkräftegewinnung, Unterrichtsversorgung, Digitale Bildungsplattform beantwortet der „Schulleitung“ drei Fragen zum Thema Lehrkräftemangel.

Pixabay License Freie kommerzielle Nutzung Kein Bildnachweis nötig
  1. Welche Gründe führen dazu, dass Schulen mit guter Versorgung ins Schuljahr 2021/22 starten konnten?
  2. Welche Ursachen tragen dazu bei, dass viele Schulstandorte über eine schlechte Versorgung klagen?

Wenn über die Versorgung von Schulen mit Lehrkräften gesprochen wird, sind viele unterschiedliche Einflussfaktoren zu berücksichtigen. Im Wesentlichen geht es um ein Dreieck aus zur Verfügung stehenden Ressourcen im Landeshaushalt, bestehenden Bedarfen und vorhandenem Angebot an Lehrkräften und ggf. anderen geeigneten Personen. Auf die genannten drei Eckpunkte möchte ich im Folgenden kurz eingehen:

Ressourcen im Haushalt

Die im Haushalt verankerten Stellen und Mittel werden im Rahmen der Lehrkräfteeinstellung dem Bedarf der einzelnen Schularten entsprechend eingesetzt. Da dieser sich sowohl landesweit als auch regional unterschiedlich entwickeln kann, setzt sich jeweils im Januar die AG Ressourcensteuerung und Unterrichtsversorgung zusammen, bei der die Unterrichtsversorger der Regierungspräsidien wie auch jeweils eines SSA je RP vertreten sind. Ziel der AG ist es, einen Ausgleich zwischen den Regierungspräsidien herzustellen, so dass jedes RP bei Besetzung aller Stellen einen vergleichbaren Versorgungsgrad erzielen kann. Referenziert wird dabei jeweils auf die Zahlen des laufenden Schuljahres. Zwischen den einzelnen Schularten können die zur Unterrichtsversorgung erforderlichen Stellen entweder auf Basis der zwischen den Haushaltskapiteln bestehenden Deckungsfähigkeiten oder des Instruments des sog. „Spitzenausgleichs“ bedarfsgerecht zugewiesen werden. Soweit die Abweichungen dauerhaften Charakter haben, werden die Stellen dann im Haushalt nachgezogen. Dies ist insbesondere durch das Aufwachsen der Gemeinschaftsschulen immer wieder erforderlich. Im Haushalt 2022 werden dabei erstmals auch Stellen aus dem Kapitel der Gemeinschaftsschulen in andere Kapitel, in denen die Stellen schon mehrere Jahre eingesetzt werden, umgeschichtet. So wird die für eine bedarfsorientierte Stellenzuweisung erforderliche Flexibilität weiter gewährleistet.

Die Landesregierung im 3. Nachtrag des Haushalts 2021 pandemiebedingt zusätzlich 125 Stellen sowie Mittel für weitere 100 Stellen zur Verfügung gestellt, um durch den Anstieg von Klassenwiederholungen entstandene zusätzliche Klassen kompensieren und Präsenzunterricht sicherstellen zu können.

Bestehender Bedarf

Bedarfsfaktoren sind im Wesentlichen freiwerdende Stellenanteile und aufgrund sich ändernder Schüler- und Klassenzahlen entstehende Mehr- oder Minderbedarfe.

Bei den freiwerdenden Stellenanteilen, den sog. „Ersatzbedarfen“, spielen nach Abebben der Pensionierungswelle die Bewegungen durch Eintritt und Rückkehr aus Elternzeit und die Teilzeitveränderungen eine große Rolle. Relevant sind dabei für die Lehrereinstellung Stellenanteile, die zum ersten Schultag des Schuljahres bereits frei sind. Eine in Mutterschutz oder im Beschäftigungsverbot befindliche Lehrkraft kann also nicht durch eine Neueinstellung ersetzt werden. Die Unterrichtsversorger sind dennoch bestrebt, gleich zum ersten Schultag eine Lösung zu finden. Daher ist oftmals die fest installierte Vertretungsreserve bereits am ersten Schultag in großen Teilen gebunden und es werden auch schon im Sommer befristete Vertretungsverträge ausgeschrieben.

Auch wenn es der Schulverwaltung gelingt, zu Beginn des Schuljahres die Schulen arbeitsfähig aufzustellen, entstehen oft schon in den ersten Wochen durch krankheitsbedingte Ausfälle oder in Mutterschutz und Elternzeit eintretende Lehrkräfte kaum zu schließende Lücken.

In diesem Schuljahr wurde dies aufgrund der bundesweit geltenden Maßgabe der Fachgruppe Mutterschutz, dass schwangere Lehrerinnen nicht oder nur sehr eingeschränkt im Präsenzunterricht an Schulen eingesetzt werden dürfen, noch verstärkt. So haben wir über die fest installierte Vertretungsreserve hinaus bis Ende Oktober bereits mehr als 3.500 Personen im Rahmen befristeter Verträge eingesetzt, um nicht besetzte Stellen, erkrankte oder schon in Mutterschutz bzw. Elternzeit befindliche Lehrkräfte und auch pandemiebedingt entstandene Lücken im Präsenzunterricht schließen zu können. Auch wenn die Landesregierung im 3. Nachtrag des Haushalts 2021 zusätzliche Stellen und Mittel zur Verfügung gestellt hat, sind in vielen Regionen kaum noch geeignete Personen zu finden. Dies war selbst in Regionen, in denen im August noch zahlreiche Bewerberinnen und Bewerber ohne festes Einstellungsangebot waren, bereits Ende September der Fall.

Bestehendes Angebot

Durch den aktuell noch bestehenden Mangel an ausgebildeten Lehrkräften - insbesondere in den Lehrämtern Sonderpädagogik und Grundschule, aber auch im Lehramt für die Sekundarstufe I - kommt es dazu, dass in manchen Regionen von vornherein zu wenig Bewerberinnen und Bewerber Interesse an einer Einstellung bekunden. Durch den gleichzeitig landesweit bestehenden hohen Vertretungsbedarf konnten Bewerberinnen und Bewerber, die kein Einstellungsangebot erhalten haben, oft schon in den ersten beiden Unterrichtswochen des Schuljahres eine befristete Vertretungsstelle in der von Ihnen bevorzugten Region antreten. Diese Option wird von der überwiegenden Zahl der im Sommer nicht eingestellten Lehrkräfte einer festen Einstellung im Beamtenverhältnis in einer von den aus individuellen Gründen gewünschten Einstellungsbezirken weiter entfernten Region vorgezogen.

Auswirkungen auf die Unterrichtsversorgung

Durch die regional unterschiedliche Verteilung der Bewerberinnen und Bewerber und damit auch die unterschiedlich großen Potentiale, die zur Besetzung sowohl der in der Einstellung zur Verfügung stehenden Stellen als auch der befristeten Vertretungsbedarfe zur Verfügung stehen, ergibt sich in der Praxis ein sehr unterschiedliches Bild: Während im Regierungsbezirk Karlsruhe i.d.R. alle zur dauerhaften Besetzung zur Verfügung stehenden Stellen auch besetzt werden können, sind in Teilen der Regierungsbezirke Freiburg, Tübingen und Stuttgart nicht in ausreichender Zahl Bewerberinnen und Bewerber vorhanden. Soweit geeignete Personen zu finden sind, werden befristete Verträge auf Stelle abgeschlossen. Wo das nicht gelingt und auch keine Kompensation beispielsweise durch Erhöhung des Deputats von Lehrkräften oder Teilabordnungen möglich ist, lassen sich Klassen und Gruppen über dem Teiler oft nicht vermeiden, um den Unterricht im Pflichtbereich sicherstellen zu können.

  1. Welche Strategien entwickelt das Kultusministerium, um mit dieser unterschiedlichen Versorgungslage umzugehen?

Der Mangel an Lehrkräften stellt uns seit mehreren Jahren vor große Herausforderungen. Dies gilt ganz besonders im Bereich der Grundschulen und der sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentren. Dabei stellt sich die Situation regional teilweise sehr unterschiedlich dar. Die Gründe für den aktuell herrschenden Lehrkräftemangel sind vielschichtig. So spielt neben den - vorhersehbaren - Pensionierungszahlen insbesondere die Entwicklung der Schülerzahlen eine Rolle. Die 2011 noch erwarteten starken Rückgänge sind so umfangreich längst nicht eingetreten und nun befinden sich die Schülerzahlen bereits wieder im Steigen. Das Kultusministerium hat die Modellrechnung zum Lehrkräfteangebot und -bedarf weiterentwickelt und schreibt diese jährlich fort. Wie auch auf Bundesebene werden dabei die Entwicklungen unter Einbeziehung möglicher bildungspolitischer Vorhaben für einen Zeitraum von 10-15 Jahren betrachtet.

Die als Reaktion 2017 in mehreren Schritten wieder deutlich erhöhten Studienkapazitäten im Bereich der Grundschule machen sich aufgrund der Studiendauer erst seit diesem Jahr auch bei den Bewerberzahlen bemerkbar. Daher wurden neben langfristig angelegten Maßnahmen seit 2017 eine Vielzahl von Maßnahmen zur Abfederung des Lehrkräftemangels ergriffen. Dazu zählen neben Anreizen für pensionierte Lehrkräfte und der Ermöglichung unterjähriger Teilzeitänderungen auch die Einstiegsmöglichkeiten für Gymnasiallehrkräfte in das Lehramt Grundschule und der Sekundarstufe I. Hier konnten in den vergangenen Jahren gut 500 Personen dauerhaft eingestellt werden. Darüber hinaus hat das Kultusministerium im vergangenen Schuljahr ein Programm zur Entfristung von Personen ohne eine anerkannte Lehramtsausbildung gestartet, wenn sie bereits mehrere Jahre erfolgreich in befristeten Verträgen gearbeitet haben. Dieses Angebot der Entfristung wird das Kultusministerium im kommenden Schuljahr fortsetzen und weitere Personen dauerhaft in den Schuldienst einstellen.

Mit Blick auf die Situation im Lehramt Sonderpädagogik prüfen Wissenschafts- und Kultusministerium aktuell die Möglichkeiten für einen Ausbau der Studienplätze. Mit gezielten Kampagnen werden Studieninteressierte für den Beruf der Lehrerin bzw. des Lehrers geworben. Darüber hinaus wird in Baden-Württemberg wie auch in den anderen Bundesländern an weiteren Maßnahmen gearbeitet, um dem bundesweit bestehenden Mangel an Lehrkräften entgegenzuwirken.