Attestpflicht für Schüler*innen
Ein hausgemachtes Problem
Im Januar schickte das Kultusministerium ein Schreiben an die Schulen. Sie sollen die Kinderarztpraxen entlasten und bei der Attestpflicht für Schüler*innen ihren Ermessensspielraum in Anspruch nehmen. Dahinter steckt ein großes Problem der Schulen.
Das Kultusministerium (KM) schildert in seinem Schreiben vom 9. Januar 2023 die angespannte Lage in den Kinderarztpraxen aufgrund der hohen Anzahl von Kinder- und Jugendlichen mit Atemwegserkrankungen in der kälteren Jahreszeit. Gleichzeitig bittet das KM die Schulleitung, ihren Ermessensspielraum bei der Attestpflicht wahrzunehmen und nur zurückhaltend darauf zu bestehen, ein Attest vorzulegen.
In der Schulbesuchsverordnung steht in Paragraf 2 Absatz 2, dass bei einer Krankheitsdauer von mehr als zehn Tagen (bei Teilzeitschulen von mehr als drei Tagen) die Klassenlehrkraft von den Erziehungsberechtigten die Vorlage eines ärztlichen Zeugnisses verlangen kann. Lassen sich bei auffällig häufigen Erkrankungen Zweifel an der Fähigkeit der Schülerin beziehungsweise des Schülers, der Teilnahmepflicht am Schulbesuch nachzukommen, auf andere Weise nicht ausräumen, kann die Schulleitung die Vorlage eines ärztlichen Zeugnisses verlangen. Die Schulleitung kann auch die Vorlage eines amtsärztlichen Zeugnisses verlangen.
Diese Regelung gilt nur für einzelne Schüler*innen. Eine allgemeine Attestpflicht, wie sie an manchen Schulen zum Beispiel bei Prüfungsklassen praktiziert wird, ist unzulässig. Wenn die Schulen diese Regelung ändern, können sie sicherlich die Kinderarztpraxen entlasten.
In den vielen anderen Fällen geht das leider nicht. Durch die Aufweichung der Schulpflicht beziehungsweise der Schulbesuchsverordnung während der Corona-Pandemie stehen Schulen vor der enormen Herausforderung, Schüler*innen zu einem regelmäßigen Schulbesuch anzuhalten. Eltern schicken ihre Kinder häufig vor oder nach den Ferien verspätet in die Schule, stellen häufiger Beurlaubungsanträge und lassen sie deutlich häufiger und schneller zu Hause, als das vor der Corona-Pandemie der Fall war.
Langer Weg zur Attestpflicht
Eine Attestpflicht für einen Schüler beziehungsweise eine Schülerin entsteht nicht grundlos. Ihr gehen zahlreiche Gespräche mit den Erziehungsberechtigten voraus, und es finden viele pädagogische Abklärungen und Hilfestellungen für das betroffene Kind beziehungsweise den Erziehungsberechtigten statt. Auf eine anstehende Attestpflicht werden die Erziehungsberechtigten frühzeitig hingewiesen.
Den Schulen bleibt oft kein wirksames Mittel, um etwas gegen die stark angestiegenen Fehlzeiten der Schüler*innen zu tun. Auch eine Aufforderung, ein amtsärztliches Zeugnis vorzulegen, ist ein zahnloser Tiger. Wenn die Erziehungsberechtigten trotz mehrfacher Einladung nicht zum Gesundheitsamt gehen, kann das Gesundheitsamt nichts mehr tun, als die Schulen darüber zu informieren. Außerdem wird das Verfahren bei den Ordnungsämtern unterschiedlich gehandhabt.
Die Schule kann oft nur zuschauen
Selbst wenn eine Schule ein Bußgeldverfahren einleitet, bringt das oft nichts. Viele Eltern legen Widerspruch ein. Bis dieser Widerspruch bearbeitet wird, können die Schulen dem Ordnungsamt keine weiteren Fehltage melden. Die Überprüfung der Widersprüche benötigt teilweise bis zu einem Jahr. Dann fehlt der Schüler, die Schülerin weiterhin häufig und die Schule kann nur zuschauen. Theoretisch kann eine Schule noch die polizeiliche Zuführung eines Schülers beziehungsweise einer Schülerin herbeiführen. Das ist allerdings eine sehr gravierende Zwangsmaßnahme. Schulen wägen eine Attestpflicht deshalb sehr genau ab. In vielen Fällen steht diese Pflicht am Ende der Bemühungen eines ganzen Schuljahrs.
Durch die Vorgaben aus der Corona-Verordnung hat das Kultusministerium die Situation vor Ort mit verursacht. Statt den schwarzen Peter nun den Schulleitungen zuzuschieben, sollte das KM Maßnahmen ergreifen, wie die Ernsthaftigkeit der Schulbesuchsverordnung bei den Erziehungsberechtigten und den Schüler*innen wieder ankommt. Wenn Schüler*innen weniger in der Schule fehlen, wäre das die wirksamste Maßnahme, um die Kinderarztpraxen zu entlasten.