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Referenzrahmen Schulqualität

Ein Qualitätsrahmen macht noch keine gute Schule

Als zentralen Baustein des „Qualitätskonzepts“ hat das Kultusministerium im Juni eine erste Version des Referenzrahmens Schulqualität vorgestellt. Er wurde vom IBBW entwickelt und kann bis 12. August von allen Interessierten kommentiert werden.

Der Referenzrahmen Schulqualität soll in vielen Bereichen der Qualitätsentwicklung zum Einsatz kommen. Er soll Orientierung für die Lehrkräfteaus- und -fortbildung geben, Grundlage für die Beratung von Schulen und für Zielvereinbarungen zwischen Schulleitungen und Schulaufsicht sein und Schulen in ihrer Schulentwicklung unterstützen. Das kann er nur leisten, wenn alle Beteiligten auf diese Aufgaben fachlich vorbereitet sind, genügend Zeit dafür und die notwendige Sensibilität im Umgang miteinander haben. Die Implementierung und die Rahmenbedingungen, die für seine erfolgreiche Anwendung notwendig sind, müssen geplant und mit zusätzlichen Ressourcen unterlegt werden. Das Kultusministerium sollte die Überlegungen und Entscheidungen dazu bereits bei der Einführung des Referenzrahmens kommunizieren. Im Zentrum der Schulentwicklung sollten die Schulen stehen. Sie müssen ihre Entwicklung gestalten, reflektieren und die dafür notwendigen Prozesse verstetigen können.

Dazu brauchen sie Zeit, Ressourcen und wirksame externe Unterstützung. Ansonsten laufen die Prozesse ins Leere oder sie werden vermieden. Schulqualität hängt zentral von guten Arbeits- und Lernbedingungen in unseren Schulen ab.

An wen richtet sich der Referenzrahmen Schulqualität?

Der Referenzrahmen Schulqualität wirkt wie ein Input-Output-Modell. Zunächst werden Rahmenbedingungen der Einzelschule aufgezählt. In den folgenden Kapiteln geht es um die schulische Arbeit.

Diese wird in vier Qualitätsbereichen beschrieben:

  • „Lehren und Lernen“,
  • „Professionalität und Zusammenarbeit“,
  • „Führung und Management“,
  • „Datengestützte Schulentwicklung“.

Zur Beschreibung der Prozesse sind alle Qualitätsbereiche mit entsprechenden Merkmalen und Qualitätsstandards hinterlegt. Das letzte Kapitel „Ergebnisse“ wirkt wie nachträglich angehängt und sein Bezug zu den vorher beschriebenen Qualitätsmerkmalen wird nicht klar.

Der Referenzrahmen Schulqualität sollte berücksichtigen, dass schulische Rahmenbedingungen wie Zusammensetzung der Schüler*innen, räumliche und sächliche Ausstattung die Qualität von Schule maßgeblich beeinflussen. Deutlich stärker sollte herausgehoben werden, dass die Verantwortung für die Qualität schulischer Bildung von vielen Akteur*innen getragen wird. Eine gute Personalausstattung ist eine zentrale Bedingung für gute Qualität. Lehrkräfte und Schulleitungen können sie aber kaum beeinflussen. Eine hohe Innovations- und Fortbildungsbereitschaft der Lehrkräfte befördert die Schulqualität.

Genauso wichtig ist jedoch, dass den Akteur*innen dabei professionelle Unterstützung, qualifizierte Fortbildner*innen und passgenaue Inhalte und Formate angeboten werden. Dafür sind die angekündigten Berufsbilder für Ausbilder*innen und Fortbildner*innen überfällig.

Zu wenig innovatives Verständnis von Unterricht

Im Qualitätsbereich „Lehren und Lernen“ fokussieren drei der sieben Merkmale auf die Tiefenstrukturen des Unterrichts. Die Qualitätsstandards für den Unterricht sind aus der Perspektive eines adaptiven Frontalunterrichts formuliert, bei dem auch selbstständige Schülerarbeitsphasen von der Lehrkraft geplant und gesteuert sind. Dieses Unterrichtsverständnis bleibt hinter der Entwicklung innovativer Schulen zurück, welche die Lernprozesse der Schüler*innen in den Mittelpunkt stellen. Das wird deutlich, wenn man die Formulierungen des Referenzrahmens mit den Qualitätskriterien des Deutschen Schulpreises vergleicht.

Die Messlatte für Unterrichtsqualität liegt im Referenzrahmen hoch: Guter Unterricht ist fachlich fundiert, kognitiv aktivierend, differenzierend, weitgehend störungsfrei. Die Lernenden werden bei der Erreichung der Lernziele ermutigt und konstruktiv unterstützt. Der Unterricht beginnt pünktlich und die Lernzeit wird effektiv genutzt. Und doch geht alle Aktivität überwiegend von der Lehrperson aus. Anders beim Deutschen Schulpreis. Dort fragt man im Qualitätsbereich Unterricht zunächst: „Wie fest ist selbständiges und selbstgesteuertes Lernen im Unterricht aller Jahrgänge etabliert? Wie werden individualisiertes und gemeinschaftliches Lernen der Schüler*innen ausbalanciert?“ Bei diesem Vergleich geht es um den Blick der Schule auf Lernen und die Offenheit von Lernsituationen für Schüleraktivitäten. Es geht um die Stärkung von Lernkonzepten, welche die Eigenverantwortung der Schüler*innen fördern.

Positiv ist, dass der Referenzrahmen gegenüber dem Feedbackbogen Unterricht ein erweitertes Verständnis schulischen Lernens zugrunde legt. So sind fachliche und überfachliche Inhalte des Unterrichts für die Qualität schulischen Lernens genauso bedeutsam wie Demokratiebildung und außerschulische Lernorte. Positiv ist auch, dass der Umgang mit Heterogenität als wichtiges Qualitätsmerkmal aufgenommen ist. Warum bei diesem Thema die Inklusion gar nicht auftaucht, ist angesichts der gesellschaftlichen Bedeutung des Themas nicht verständlich.

Den sieben Qualitätsmerkmalen im Bereich des Lehrens und Lernens ist jedoch gemeinsam, dass die Aktivität eher auf der Seite der Lehrperson liegt. Auch hier zeigt der Deutsche Schulpreis, dass innovative Schulen einen viel stärkeren Fokus auf die Verantwortung der Schüler*innen für ihr Lernen legen, weshalb dieser Verantwortung auch ein eigener Qualitätsbereich gewidmet ist. Die Übernahme der Verantwortung der Schüler*innen für ihr eigenes Lernen und für den Lernerfolg ihrer Lerngruppe ist hier ein zentrales Qualitätsmerkmal, das sich so im Referenzrahmen nicht findet.

Eher defensiv geht der Referenzrahmen mit dem Thema Leistung um. Auch hier zeigt ein Vergleich mit den Kriterien des Deutschen Schulpreises, dass innovative Schulen über differenzierte Konzepte zur Leistungsfeststellung, zur Leistungsrückmeldung und zur Leistungsförderung verfügen. Dem sollte ein Referenzrahmen Schulqualität ebenfalls Rechnung tragen.

Professionalität und ­ Zusammenarbeit als gemeinsame Aufgabe aller Akteur*innen

Es ist positiv, dass der Referenzrahmen nicht nur auf die Professionalität der Lehrkräfte in fachlicher, pädagogischer und didaktischer Hinsicht Wert legt, sondern auch Teamarbeit, Austausch und Feedback als wichtige Bestandteile professionellen Handelns beschreibt.

Es wäre dennoch wünschenswert, dass die professionelle Weiterentwicklung noch stärker als Aufgabe der gesamten Schule wahrgenommen wird. Dafür sind gemeinsam formulierte Entwicklungsziele, eine darauf aufbauende Fortbildungsplanung, professionelle Lerngemeinschaften genauso notwendig wie verbindliche Teamstrukturen sowie klare Kommunikationswege.

Der Schulleitung kommt eine zentrale Rolle für die Schulqualität zu. Insofern beschreibt der Qualitätsrahmen die Anforderungen an ein zeitgemäßes Führungshandeln zutreffend. Genannt werden eine transparente Schulorganisation, funktionierende Abläufe, effiziente Konferenzgestaltung, Delegation und ein überzeugendes Führungsverhalten.

Die gemeinsame Verantwortung aller am Schulleben Beteiligter für die Schulentwicklung findet sich in einem eigenen Qualitätsbereich zur Datengestützten Schulentwicklung wieder. Hier sollte das gemeinsame Verständnis von Schule als lernender Organisation noch stärker handlungsleitend sein und über den beschriebenen Prozessen stehen. Alle Beteiligten arbeiten an den Zielen der Schule, leiten daraus Entwicklungsmaßnahmen ab und reflektieren gemeinsam Entwicklungsfortschritte. Idealerweise werden sie dabei von externen Profis unterstützt.

Grenzen eines Referenzrahmens Schulqualität

Im Referenzrahmen werden sehr an­spruchsvolle Qualitätsstandards formuliert. Bislang stellt die Politik den Schulen die zur Erreichung dieser Standards notwendigen finanziellen und personellen Ressourcen nicht zur Verfügung. Es gefährdet die Akzeptanz und den Erfolg des Referenzrahmens, wenn seine Ziele und Ansprüche als unerreichbar wahrgenommen werden. Die GEW wird diese Aspekte in einer ausführlichen Rückmeldung an das Institut für Bildungsanalysen Baden-Württemberg (IBBW) deutlich machen.

Wir brauchen in Baden-Württemberg ein breites Verständnis darüber, was Schulen leisten sollen und wie wir gute schulische Bildung verstehen. Das leistet der Referenzrahmen nicht. Es ist deshalb Zeit, dass wir einen umfassenden Diskussionsprozess darüber mit Zielperspektiven beginnen.

Guter Unterricht setzt voraus, dass er stattfindet. Die Schulen leiden sehr unter dem aktuellen Lehrkräftemangel. Mit Unterrichtsausfall, Überlastung und fachfremden Kräften lässt sich Qualität schwer erreichen.

Solange die Bildungspolitik kein Konzept zur Behebung des Personalmangels vorlegt, wird ein anspruchsvoller Referenzrahmen eher demotivieren als zur Qualitätsverbesserung beitragen.

Kontakt
Wolfgang Straub
Fachgruppe Schulaufsicht, Schulverwaltung, Seminare