Berufsschule
„Es ist ein Highlight, in diesen Klassen unterrichten zu dürfen“
Über 80 Prozent seiner Schüler*innen kommen aus aller Welt. Deutsch sprechen sie mehr oder weniger gut. Für Axel Schön ist das ein Ansporn, den motivierten Schüler*innen seiner Gastro-Klasse einen sprachsensiblen Unterricht zu bieten.
„Unsere Länder führen immer wieder Krieg“, erzählt Chynarbek aus Kirgisistan mit Blick auf seinen tadschikischen Nachbarn Jakhongir, mit dem er die Berufsschulklasse HoGa-C besucht und sich auch ein Zimmer im Schülerwohnheim teilt. Die beiden schätzen, dass es hier friedlich zugeht. An den Beruflichen Schulen Kehl werden in diesem Schuljahr fünf Klassen mit insgesamt 147 Auszubildenden in den sieben Ausbildungsberufen des Hotel- und Gaststättengewerbes im Blockunterricht unterrichtet. Ein Schuljahr besteht aus zwölf Blockwochen mit je 39 Unterrichtsstunden. Im zweiten Ausbildungsjahr gehen die Schüler*innen dann auf die Landesberufsschule für das Hotel- und Gaststättengewerbe nach Villingen-Schwenningen.
121 Auszubildende (82 Prozent) sind Arbeitsmigrant*innen aus aller Welt, die von Agenturen zur Ausbildung an deutsche Ausbildungsbetriebe vermittelt werden. Bedingung für die Freigabe des Ausbildungsvertrages durch die IHK ist ein B1-Sprachzertifikat. Ausbildungspapiere, Flug und Visum kosten zwischen 5.000 und 10.000 Euro. Neben den innerasiatischen ehemaligen Sowjetrepubliken sind Indien, Marokko und das südliche Afrika die Hauptanwerberegionen der Agenturen, die die Betriebe finanzieren. Hinzu kommt Vietnam, wo Eltern die Vermittlung eines Ausbildungsplatzes in Deutschland bei einem Arbeitslohn von durchschnittlich 250 Euro im Monat selbst bezahlen. Während Kirgis*innen bereits im Heimatland an staatlichen Instituten Sprachen studieren, kommen Vietnames*innen meist ohne Sprachkenntnisse nach Deutschland, wo sie einen mehrwöchigen Sprachkurs machen. Dieser reicht jedoch kaum zur Verständigung aus. Chynarbek hat nach einem sehr guten Abitur Deutsch studiert. Wegen der Kultur, wie er sagt, und möchte jetzt in seinem Ausbildungsbetrieb, dem Europapark Rust, Karriere machen.
Das Visum enthält bei allen den Vermerk: „Zur Berufsausbildung in Betrieb X bei Ausbilder Y.“ Wird die Probezeit nicht bestanden, geht es zurück ins Heimatland. Nach der Probezeit ist grundsätzlich ein Wechsel des Ausbildungsberufes oder des Betriebes möglich, aber mit hohem Verwaltungsaufwand verbunden. Mit den geringen Sprachkenntnissen fällt das schwer.
Heute ist die Fachberaterin für Sprachförderung des ZSL Freiburg zu Besuch in der Berufsschulklasse HoGa-C. Es ist wie immer sehr ruhig in der Klasse. Die Schüler*innen versuchen, mit Hilfe ihrer Übersetzungsprogramme auf dem Smartphone die Arbeitsaufträge zu übersetzen und zu bearbeiten. Der Redeanteil des Lehrers sei zu hoch, findet die Fachberaterin. Häufig würden sich nur die deutschsprachigen Schüler*innen zu Wort melden und so bestehe die Gefahr, nur mit diesen alleine Unterricht zu machen. Den anderen Schüler*innen fehlten Verben, um die gestellten Fragen zu beantworten, Fachbegriffe alleine reichten nicht aus. Vor allem die Operatoren würden den Schüler*innen Schwierigkeiten machen. Für Klassenarbeiten lernten fleißige Schüler*innen alles auswendig, was bei der handlungsorientierten Fragestellung aber nur bedingt helfe. In Klassenarbeiten und Prüfungen dürfen Wörterbücher verwendet werden, jedoch keine Übersetzungsprogramme. Arbeitsblätter früher auszugeben und Techniken, um in jeder Stunde neue Verben einzuüben, sind wertvolle Tipps, die die Sprachförder*innen Kolleg*innen individuell nach den Unterrichtsbesuchen mitgeben. Anschließend wird noch ein gemeinsamer pädagogischer Tag stattfinden.
Im nächsten Jahr sollen auch die Sprachförderstunden durch ausgebildete DaZ-Lehrkräfte stattfinden. Bisher sind vier Sprachförderstunden möglich, nächstes Jahr werden die Beruflichen Schulen Kehl „Startchancen-Schule“, da soll es fünf Sprachförderstunden geben, während die deutschsprachigen Schüler*innen normalen Deutsch- und Französischunterricht erhalten. Auch soll es eine zusätzliche Klasse geben, damit der Klassenteiler von 24 Schüler*innen, der für Klassen mit über 50 Prozent Schüler*innen ohne deutschen Pass gilt, eingehalten werden kann.
Um die Schüler*innen besser fördern zu können, muss auch in der Lehrkräfteausbildung die Sprachförderung ein höheres Gewicht bekommen. Dazu brauchen wir ausgebildete DaZ-Lehrkräfte. Auch der Klassenteiler muss kleiner sein, um kleinere Gruppen gezielter unterrichten zu können.
Mit den Worten „vielen Dank für den Unterricht“ oder „vielen Dank, Herr Schön, das war heute wieder interessant“ verabschieden die Schüler*innen ihren Lehrer nach der Stunde. Es ist wirklich ein Highlight, in diesen motivierten Klassen unterrichten zu dürfen. Schüler*innen und Lehrer*innen lernen viel voneinander, auch die deutschen Schüler*innen lernen Hilfsbereitschaft und Sozialkompetenz. Ihnen wird häufig klar, welche Anstrengungen andere auf sich nehmen, um ein Leben zu führen, das hier normal erscheint.
Der Anteil an Arbeitsmigrant*innen wird wohl in allen Berufen zunehmen, wenn in den kommenden Jahren die Babyboomer-Generation in den Ruhestand geht. Nur wenn Chynarbek und Jakhongir und ihre Mitschüler*innen nach bestandener Ausbildung in Deutschland bleiben, finden unsere Betriebe noch genügend Arbeitskräfte, damit wir weiterhin abends oder am Wochenende essen gehen können, einen Handwerker für notwendige Reparaturen oder eine Pflegerin im Krankenhaus oder Pflegeheim finden. Sie werden bleiben, wenn sie hier in Frieden und in einer offenen, fremdenfreundlichen Gesellschaft leben können.