Leistungsmessung zu Corona-Zeiten
Es kommt nicht nur auf Fachwissen an
Die Bewertung von Leistungen der Schüler*innen ist unter Pandemiebedingungen eine Herausforderung für die Lehrkräfte. Es gibt kreative Ideen, wie Leistung auch unter den besonderen Bedingungen dieses Schuljahrs bewertet werden kann.
Das turbulente Schuljahr 2020/21 geht dem Ende zu. Eigentlich werden zu diesem Zeitpunkt die letzten Klassenarbeiten geschrieben, Präsentationen abgenommen, Lesetagebücher durchgegangen, mündliche Noten zusammengerechnet ... Daraus werden als Bilanz des Schuljahrs die Zeugnisnoten gebildet. In diesem Jahr ist alles anders! Nur in wenigen Wochen fand normaler Unterricht in diesem Schuljahr statt.
Grundlage für die Leistungsbewertung in einem Unterrichtsfach sind alle im Zusammenhang mit dem Unterricht erbrachten Leistungen. Die Notenbildungsverordnung und weitere Rechtsverordnungen geben in den Hauptfächern eine Mindestanzahl an Klassenarbeiten oder schriftlichen Arbeiten vor, die im Schuljahr oder Schulhalbjahr zu schreiben sind. Mit Rücksicht auf die Besonderheiten des Unterrichts unter Pandemiebedingungen wurden vom Kultusministerium in einem Schreiben vom 18. Januar 2021 Abweichungen in der Corona-Pandemie-Prüfungsverordnung festgelegt: „Kann wegen eines mindestens um vier Wochen reduzierten Präsenzunterrichts in dem jeweiligen Fach, Fächerverbund oder Kurs die Mindestanzahl nicht eingehalten werden, darf die jeweilige Anzahl unterschritten werden. Es ist jedoch mindestens eine schriftliche Leistung pro Halbjahr zu erbringen. Bei der Gewichtung von schriftlichen, mündlichen und praktischen Leistungen ist ein eventuell geringerer Anteil der schriftlichen Leistungen entsprechend zu berücksichtigen.“
Um die reduzierte Mindestanzahl beziehungsweise eine für die unterrichtende Lehrkraft valide Einschätzung der fairen Notenbildung zu gewährleisten, dürfen diese Klassenarbeiten auch während der Schulschließungen in Präsenz unter Einhaltungen der Hygienebestimmungen an der Schule geschrieben werden. Die Mindestanzahl der schriftlichen Klassenarbeiten für die Haupt- beziehungsweise Wahlpflichtfächer liegt fest. Schwieriger ist es, Kriterien für die Nebenfächer festzulegen, da es hier keine vorgeschriebene Anzahl an Klassenarbeiten gibt. Es können also auch Noten gebildet werden, wenn keine Klassenarbeiten geschrieben wurden. In diesen Fächern war es deshalb nicht möglich, die Schüler*innen während der Schulschließung an die Schule zu holen, um eine schriftliche Leistungsfeststellung abzulegen. Zur Leistungsbewertung gehören nicht nur die schriftlichen Leistungen, sondern auch die mündlichen und praktischen.
Selbstverständlich weiß jede Lehrkraft, dass in diesen besonderen Zeiten die Bildung der Fachnote mit pädagogischem Augenmaß zu geschehen hat. Gleichzeitig hat eine Lehrkraft den Anspruch, die Leistungen des Schülers/der Schülerin fair und pädagogisch-fachliche zu bewerten. Viele Lehrkräfte fragen sich, wie das unter den erschwerten Bedingungen des Lernens ohne Präsenzunterricht geschehen kann? Der Fernunterricht wurde sehr unterschiedlich durchgeführt, sei es digital oder durch postalische oder händische Verteilung von Arbeits- und Unterrichtsmaterial oder über andere Wege.
Viele Bundesländer haben sich anfangs dafür entschieden, die Aufgaben im Heimunterricht nicht zu bewerten. Die Überlegung dahinter war, dass eine Benotung auch gutes WLAN, die Sachkompetenz der helfenden Eltern und die Hardware-Ausstattung benoten würde. Somit würde eine Leistungsbewertung der Chancengleichheit widersprechen. Im Lauf des Schuljahrs hat das Kultusministerium allerdings deutlich gemacht, dass mündliche Leistungsfeststellungen im Fernunterricht (zum Beispiel ein Referat im Rahmen einer Videokonferenz) möglich sind und dass sie zur Notenbildung herangezogen werden können.
In diesem Jahr gilt die Versetzungsordnung und nicht mehr die Regelung wie im letzten Schuljahr, dass alle Schüler*innen unabhängig von ihrer Leistung versetzt werden. Es gibt aber die Möglichkeit, dass Schüler*innen das Schuljahr freiwillig wiederholen. Bei einzelnen Schüler*innen können die Schulen die Versetzungsentscheidung auch bis zum Ende des ersten Halbjahrs im Schuljahr 2021/22 aussetzen.
Beispiele für kreative Leistungsbeurteilungen
Jetzt ist schon das zweite Schuljahr massiv von Corona betroffen – und eine alternative Leistungsmessung ist notwendig. Da ist Kreativität gefragt! Wir brauchen andere Formen der Leistungsbewertung, die über den fachlich-inhaltlichen Bereich hinausgehen und auch methodisch-strategische, sozial-kommunikative und persönliche Leistungen berücksichtigen. Unsere Schüler und Schülerinnen leisten nämlich genau dieses in der für uns alle schwierigen Zeit. Und trotzdem soll die Leistungsbewertung pragmatisch und machbar sein.
Viele Kollegen und Kolleginnen aus mehreren Landkreisen und verschiedenen Schularten und mit den unterschiedlichsten Ausstattungen und Möglichkeiten vor Ort haben mit mir ihre Ideen und Erfahrungen geteilt. Ein ganz herzliches Dankeschön an sie alle!
Die Vorschläge sind nicht nach Klassenstufen sortiert, manche Formen lassen sich auf mehrere Fächer übertragen, sind aber oft auch von den örtlichen Gegebenheiten abhängig. Wichtig für alle ist, die Erwartungen klar an die Schüler*innen zu formulieren sowie die Kriterien der Notengebung transparent zu kommunizieren.
Hier einige Beispiele:
Biologie:
- Projekt: Beobachtung von Pflanzen – Entwicklung regelmäßig fotografieren, Veränderungen und Entwicklungen notieren;
- Herbarium erstellen (weiterer positiver Effekt: die Schüler*innen gehen an die frische Luft)
Bildende Kunst:
- Thema „Ich und Corona“: Figuren, Gefühle mit Draht formen; mit Zahnstochern das Virus darstellen
- andere kreative Auseinandersetzung mit: Comics, Tagebuch, Videos, Bildern, ...
- One minute sculptures: zum Beispiel auf dem Stuhl sitzen ohne Lehne oder Boden zu berühren oder ...
> filmen und schicken - Gegenstand mit zum Beispiel Wolle einwickeln, von der Klasse online erraten lassen
- Knicklichter: wirkungsvoll einsetzen, zum Beispiel Tanz im Dunkeln
Sport:
- Spaziergang zum ... > wichtige Orientierungspunkte fotografieren
Deutsch:
- Buchpräsentationen über Powerpoint oder Plakat, entweder online vortragen oder filmen und schicken
- Google Classroom / Moodle: Schreibprojekte: Kooperatives Lernen: Zuteilung in Gruppenräume, die Lehrkraft kann sich zuschalten, beobachten und beraten, Vorstellen der Ergebnisse im Plenum. Schreibprozesse können fair beurteilt werden ohne mögliche Unterstützung
Gemeinschaftskunde, WBS:
- Rollenspiel zu zweit: die Schüler*innen üben ihr Rollenspiel, auch online, zu einem erarbeiteten Thema, wird gefilmt und an die Lehrkraft verschickt.
- Rollenspiel in Kleingruppen: wird in Videokonferenz vorgespielt
Mathematik:
- Schüler*innen erstellen ihre eigenen Erklärvideos
Musik:
- Höraufgaben zu Liedern und Rhythmen
Alle Fächer:
- Minipräsentationen
- Vorbereitung zu einem Thema (Sachthema, Grammatikphänomen ...), Zusammenfassung mit wenig Text (nur Schlagwörter), Symbolen oder Bildern: dadurch intensive Auseinandersetzung mit dem Thema. Vortragen oder einstellen
- Mehrteilige Aufgabe:
Teil 1: Erklärung, warum ein bestimmtes Thema gewählt wurde,
Teil 2: Mindmap zum Thema,
Teil 3: Zusammenfassung des Erlernten - Schüler*innen dürfen bei Leistungskontrollen Hilfsmittel, die vorab eingeführt wurden, benutzen, zum Beispiel Wörterbuch zum Nachschlagen, Satzgliederfächer zur Bestimmung der Satzglieder, Fächer für die Personenbeschreibung zur Auswahl von treffenden Wörtern.
- Bei der Ergebnissicherung sollte man mit den Schüler*innen absprechen, ob sie es im Plenum online oder vor zwei ausgewählten Freund*innen oder nur der Lehrkraft vortragen wollen.
Das ist ein kleiner Auszug der Best Practice, der zu weiteren Ideen anregen soll. Man kann deutlich erkennen, dass viele Ideen daraus entstanden sind, die Lernenden weg vom Bildschirm in die frische Luft zu locken und sich zu bewegen.
Hoffentlich bleibt uns der Blick auf diese Art der Leistungsmessung auch nach Corona erhalten: Leistungsbewertung sollte sich nicht nur am Wissen orientieren, sondern auch produkt- und prozessbezogen sein.