Pressekonferenz der GEW zum Schuljahresanfang
Fachkräftemangel, Ganztagsausbau, Demokratiebildung
Die hohen Zustimmungswerte der AfD bei den Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen erinnern daran, wie wichtig Demokratiebildung ist. Was für einen guten Schulstart sonst noch wichtig ist, erklärte GEW-Landesvorsitzende Monika Stein.
Wer politisch interessiert ist, hatte es bereits befürchtet: Die Wahlergebnisse aus Thüringen und Sachsen zeigen einmal mehr, dass unsere Demokratie in ernster Gefahr ist. Es wird gerne davon gesprochen, dass Kinder zuerst Grundkompetenzen lernen müssen: Schreiben und Rechnen. Für mich gehören die Demokratieerziehung und der selbstverständliche Umgang mit Vielfalt von Anfang an mit dazu. Demokratische und menschenrechtliche Werte und Normen werden gelebt, vorgelebt und gelernt in den Schulen, der offenen Jugendarbeit, den Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe und der Frühen Bildung und den Hochschulen.
Es ist an uns allen, immer und überall den Wert der Demokratie vor Augen zu führen und uns und allen anderen Menschen regelmäßig klar zu machen, dass und wie wir unsere Demokratie schützen müssen. Das ist unsere Gemeinschaftsaufgabe, nicht nur zu Beginn dieses Schuljahres.
Stand der Bildungspolitik
Mittlerweile hat Bildung in der Landespolitik einen höheren Stellenwert bekommen. Allerdings rächt sich, dass seit 2016 Schulstrukturdebatten vermieden und brennende strukturelle Themen ausgesessen wurden. Nun hat eine Unterschriftensammlung und ein Bürgerforum zum Thema G9 dafür gesorgt, dass diese Strategie sich in Luft aufgelöst hat. In der Folge hat sich die Schlagzahl an Neuerungen enorm erhöht. Nicht zuletzt ist eine Schulgesetzänderung zu vielfältigen, komplexen Themen gerade in der Anhörung.
Der Entwurf enthält gute Ansätze und Inhalte. Beispielsweise zielt ein Ausbau der Sprachförderung oder die Stärkung der frühen Bildung in die richtige Richtung. Bei der grundlegenden Frage zur Zukunftsfähigkeit unserer Schulen stiehlt sich die Landesregierung jedoch aus der Verantwortung. Es fehlt jede Idee, wie eine Schule der Zukunft aussehen sollte. Dass es außerhalb des Kultusministeriums wegweisende Visionen gibt, zeigt das Konzept für die neue Sekundarschule.
Beginnen wir mit den Schüler*innen, die den größten Unterstützungsbedarf haben: Sprechen wir über Inklusion. Es ist eine Schande für Baden-Württemberg, wie sehr Kinder und Jugendliche mit Behinderungen aus dem Fokus geraten und wie wenig für gelingende Inklusion getan wird. Die Lobby der Kinder und Jugendlichen mit Behinderungen ist nicht durchsetzungsfähig, lautstark und wahlentscheidend. Bei der Schulgesetzänderung, die derzeit in der Anhörung ist, werden die Auswirkungen auf die – derzeit schon jämmerlich ausgestattete – Inklusion in Schulen kaum beachtet. Einzig bei Juniorklassen und Ganztag wird Inklusion überhaupt genannt.
Zentral in der Schulstrukturdebatte ist die Frage, wie eine attraktive zweite Säule neben dem allgemeinbildenden Gymnasium aussehen kann. Und im Sinne der Bildungsgerechtigkeit noch wichtiger: Wie können die Bildungsansprüche von Kindern und Jugendlichen, die nicht das Gymnasium besuchen, umfassend und möglichst gut befriedigt werden? Die Landesregierung beantwortet diese Frage nicht. Darunter leiden zuerst die Schüler*innen.
Als Gewerkschaft bewerten wir auch, was solche Strukturveränderungen für Beschäftigte und ihre Arbeitsbedingungen sowie den Arbeits- und Gesundheitsschutz bedeuten. Lehrer*innen müssen passende Bedingungen vorfinden, damit sie ihre volle Arbeitskraft, ihre Energie und ihr gesamtes Berufsleben in den Dienst ihrer Schüler*innen stellen wollen und können. Die kurzfristig gedachten und mutlosen Planungen der Landesregierung sorgen dafür, das strukturelle Wirrwarr zu vergrößern und unsere zersplitterte Schullandschaft noch weiter zu zergliedern – und damit den Frust bei den Menschen an den Schulen zu vergrößern.
Ganztag
Schon fast in Sichtweite, zum Schuljahr 2026 /20 27 kommt der Rechtsanspruch auf Ganztag für Grundschüler*innen. Wir sagen sehr deutlich, dass die Mammutaufgabe Ganztagsausbau keineswegs alleine Sache der Schulträger sein darf. Ohne ausreichende Investitionen in Räumlichkeiten, Fachpersonal und Material werden unsere Kinder keine guten Ganztagsangebote bekommen. Damit verspielt Baden-Württemberg eine große Chance auf bessere Bildungschancen und mehr Bildungsgerechtigkeit. Nicht zuletzt, weil so der pädagogische Mehrwert guter Ganztagesangebote nicht ausgeschöpft werden kann.
Ganztag geht nur mit einer anderen Bildungsfinanzierung. Vor einigen Jahren wurden Gewerkschaften wegen ihrer Kritik an der Schuldenbremse belächelt. Inzwischen werben Expert*innen bis hin zu den Wirtschaftsweisen für eine Reform der Schuldenbremse. Ich verstehe nicht, warum sich unsere Landesregierung hier keinen Millimeter bewegt.
Ich begrüße, dass Kultusministerin Theresa Schopper im Zusammenhang mit dem Ganztagsanspruch noch einmal den Ausbau gebundener Ganztagsgrundschulen vorantreiben will und bewirbt. Das ist in unseren Augen tatsächlich die beste Möglichkeit der Umsetzung.
Für die Sprachförderung vor und in der Grundschule sind etliche Bausteine geplant. Gut ist, dass der frühkindliche Bereich und die Grundschule in den Blick genommen werden. Kritisch ist die Umsetzung dieser Förderung. Für eine gelingende Sprachbildung wäre am sinnvollsten, das erprobte und erfolgreiche Konzept der Sprach-Kitas auszuweiten.
Für die GEW ist klar: Die Voraussetzung für eine gute Förderung der Kinder ist, dass alle Kinder eine Kita besuchen. Im Moment ist die Zahl der Kinder, die vor Eintritt in die Grundschule eine Kita besuchen, von ehemals 98 Prozent auf 90 Prozent abgesunken. Das ist ein Alarmzeichen: Viele Kinder, auch viele mit Förderbedarf, kommen nicht in den Genuss der Bildungseinrichtung Kita. Landesregierung und Kommunen müssen gemeinsam dafür sorgen, dass alle Kinder einen Kita-Platz erhalten. Es darf nicht sein, dass Eltern, die zu wenig Ressourcen haben, um ihren Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz einzuklagen, ihre Kinder nicht erfolgreich in einer Kita anmelden können.
Wir sehen den riesigen Fachkräftemangel in den Krippen und Kitas und erwarten von den Trägern und dem Land weitere Initiativen, um mehr Personal zu finden und zu qualifizieren. Dass Kommunen Öffnungszeiten in der Not reduzieren, ist vor allem für die Eltern schmerzhaft. Gleichzeitig können wir das mit Blick auf die Verlässlichkeit und die Qualität nachvollziehen.
Was uns bei der Grundschule noch fehlt? Poolstunden um Förderunterricht zu ermöglichen, wie es in anderen Schularten die Regel ist. Eine angemessene und faire Bezahlung nach A13 / E13, wie sie in 13 der anderen Bundesländer bereits beschlossen bzw. umgesetzt ist. Und Ethikunterricht. Ethik ab Klasse 1 wäre auch ein Baustein, unsere Demokratie vor fundamentalistischen Tendenzen im Namen von Religionen zu schützen.
Zentral für die Schulstrukturreform der Landesregierung ist die Verlängerung der Gymnasialzeit. Neben dem neunjährigen Gymnasium soll es jedoch weiterhin die Möglichkeit geben, G8 weiterzuführen. Wir kritisieren den enormen Aufwand, den diese Doppelstruktur kosten wird. Es ist wichtig, jetzt die Schulzeitverlängerung mit genügend Mut und Geduld auszugestalten, um eine echte Weiterentwicklung des allgemeinbildenden Gymnasiums zu erreichen. Die Landesregierung plant im G9 die Stärkung der Gesellschaftswissenschaften, wie sie von der GEW wiederholt gefordert wurde. Wir begrüßen die geplanten Projekte im Bereich Geographie und Gemeinschaftskunde und die zusätzlichen Ressourcen im Bereich Demokratiebildung. Außer Frage steht, dass diese zusätzlichen Ressourcen im gleichen Maße den anderen Sekundarschulen zur Verfügung gestellt werden müssen.
Schule digital
Insgesamt begrüßt die GEW die Einführung des Fachs Medienbildung / Informatik, mit der Neuerungen zum Thema Digitalität an allen Schulen der Sekundarstufe in die Wege geleitet wurden. Es ist richtig und wichtig – gerade in Zeiten von Fake News und künstlicher Intelligenz – die Schüler*innen zu mündigen Bürger*innen in unserer von Digitalität geprägten Welt zu erziehen.
Richtig ist auch der Ansatz, mit der Bildungsplattformverordnung einen Rahmen für den Einsatz der digitalen Bildungsplattform zu setzen. Leider wird gerade hier einmal mehr deutlich, dass die Nutzung der Module – ob Lernmanagementsystem oder digitaler Arbeitsplatz – am Ende an der immer noch ausstehenden Einigung zwischen Land und kommunalen Spitzenverbänden zur Schulträgerschaft des 21. Jahrhunderts scheitern wird. Dort wo kein WLAN und keine gewarteten und damit funktionstüchtigen Geräte verfügbar sind, kann auch nicht digital gearbeitet werden.
Unbesetzte Stellen
Wieder starten viele der 4.500 Schulen in Baden-Württemberg mit nicht besetzten Stellen, einer zu geringen Vertretungsreserve und die Schulleitungen und ihre Teams jonglieren, um möglichst selten Kinder nach Hause schicken zu müssen.
Eine Ursache ist ein strukturelles Defizit in allen Schularten: Die im Landeshaushalt vorgesehenen Stellen entsprechen nicht dem Bedarf. Sichtbar ist das in diesem Jahr beispielsweise in der Verschlechterung der Abdeckung in Grund-, Haupt- / Werkreal-, Real- und Gemeinschaftsschulen, aber auch dem Stillstand bei beruflichen Schulen. Katastrophal ist wie immer die Stellenausstattung an den SBBZ mit knapp 88 Prozent bereits zum Beginn des Schuljahres, je nach Standort deutlich darunter. Das wirkt sich auf die beschämend schlechte Ausstattung der inklusiven Bildungsangebote an den allgemeinen Schulen aus.
Jede dieser unbesetzten Stellen bedeutet in der Praxis, dass für Schüler*innen Unterrichtsausfall droht. Konstrukte wie „Mitversehung“ – das heißt eine Lehrkraft ist für zwei oder mehr Klassen gleichzeitig zuständig – oder Aufteilung von Klassen lösen dieses Problem nicht. Die GEW schlägt vor, den im Jahr 2014 gestoppten Ausbau der Krankheitsreserve um jährlich 200 Stellen wieder aufzunehmen; allerdings wegen der verlorenen Zeit mit 300 Stellen jährlich. Nur so kann perspektivisch die enorme Unterversorgung aufgefangen werden.
Eine weitere Ursache der lückenhaften Unterrichtsversorgung sind fehlende Bewerber*innen. Dabei gibt es massive regionale Unterschiede. Die Schere zwischen den einigermaßen gut versorgten Regierungspräsidien Karlsruhe und Tübingen und den schlechter versorgten Regierungspräsidien Stuttgart und Freiburg geht immer weiter auseinander. Das bedeutet: Der Wohnort eines Kindes entscheidet immer deutlicher über die Bildungschancen.
Ein Beispiel: Beim SBBZ-Listenverfahren im Regierungsbezirk Nordwürttemberg gab es auf 125 Stellen nur fünf Bewerbungen. An den Grundschulen haben wir zwar einige Bewerber*innen mehr, aber weiterhin können dort nicht alle Stellen besetzt werden, ebenfalls mit großen regionalen Unterschieden. Auch hier gab es zum Beispiel in Nordwürttemberg auf 162 Stellen nur 67 Bewerbungen.
Das Kultusministerium muss schnell für mehr Bewerber*innen sorgen. Die GEW steht weiter bereit, Neues auszuprobieren. Vorschläge der GEW liegen zum Teil bereits seit 2018 in den Schubladen des Kultusministeriums. Es ist wunderbar, dass Kultusministerin Theresa Schopper 175 zusätzliche Studienplätze Sonderpädagogik in Freiburg erkämpft hat. Die ersten dadurch ausgebildeten Lehrer*innen werden in etwa sechs Jahren in den Schulen ankommen. So lange können wir aber nicht warten, weshalb das Aufbaustudium Sonderpädagogik zeitnah attraktiver gestaltet werden muss.
Mehr Mut in der Bildungspolitik
Bildungspolitisch gibt es insgesamt auch in diesem Schuljahr genügend zu tun. Leider habe ich nicht den Eindruck, dass in dieser Landesregierung unter Ministerpräsident Winfried Kretschmann noch wichtige und zukunftsweisende Bildungsthemen angegangen werden. Regiert wird eher unter dem Motto „keine heißen Eisen anpacken und Konflikte innerhalb der Koalition vermeiden“.
Die GEW mit ihren 50.000 Mitgliedern – und mit ihr die Kinder, Jugendlichen, Eltern und alle pädagogischen Profis – erwarten eine verlässliche und mutige Bildungspolitik, die unsere Kinder fit macht für die Herausforderungen der Zukunft. Als größte bildungspolitische Organisation stehen wir dafür, auch kontroverse Themen anzupacken und konstruktiv mitzugestalten.