Studie zum Lehrkräftebedarf in Baden-Württemberg
Bis 2035 fehlen 16.000 bis 27.000 Lehrkräfte
Die von der GEW vorgestellte Lehrkräftebedarfsprognose für Baden-Württemberg prognostiziert einen langfristigen großen Lehrkräftemangel an den 4.500 Schulen – wenn nicht schnell neue Studienplätze und zusätzliche Stellen geschaffen werden.
„Neueinstellung. Bitte verwenden Sie den Plural!“ steht auf einem Plakat der GEW.
Der Bildungswissenschaftler Klaus Klemm, der auch mehrere bundesweite Lehrkräftebedarfsprognosen erstellt hat, geht von mindestens 16.000 fehlenden Lehrkräften bis zum Jahr 2035 aus. Wenn Ziele wie mehr Stellen für Grundschulen und die Inklusion sowie Schulen in herausfordernden sozialen Lagen erreicht werden sollen, steige die Lücke auf 27.000.
Insgesamt müssen bis 2035 für den Ersatz ausscheidender Pädagog*innen und aufgrund der steigenden Schüler*innenzahlen 64.800 Stellen neu besetzt werden, es werden bis dahin voraussichtlich aber nur gut 48.000 Lehrkräfte ihr Studium und Referendariat beenden.
„Diese Landesregierung hat eine Chance. Die Daten für eine verlässliche Lehrer*innenbedarfsplanung liegen vor. Wenn die Regierung Kretschmann jetzt handelt, mehr Studienplätze und neue Stellen schafft, kann sie ihre eigenen Fehler der vergangenen elf Jahre etwas korrigieren und einen langfristigen Lehrkräftemangel verhindern. Was nützt uns eine Kampagne ‚The Länd‘ gegen den Fachkräftemangel, wenn es nicht gelingt, unsere eigenen Bildungseinrichtungen so auszustatten, dass sie die Fachkräfte von morgen ausbilden können?“, sagte Monika Stein, Landesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Baden-Württemberg, in Stuttgart.
Die Prognose der Kultusministerkonferenz (KMK), wonach das Angebot an neuen Lehrkräften in Baden-Württemberg bis 2035 bei 60.550 liege, hält Klemm für unseriös. Da die Zahl der Abiturient*innen sinke, müsse auch mit weniger Studierenden gerechnet werden, die mit einem Lehramtsstudium beginnen. Bei den Bedarfsrechnungen der KMK und auch des Landes sind dabei keine Maßnahmen eingerechnet, die bereits im Koalitionsvertrag als Ziele der grün-schwarzen Bildungspolitik vereinbart wurden. Allein für die drängendsten Maßnahmen einer im Bundesdurchschnitt liegenden Ausstattung der Grundschulen, der Inklusion und für Schulen in herausfordernden Lagen werden weitere 10.400 Lehrkräfte benötigt. „Die vorhandene Studie gibt der Landesregierung einige Hausaufgaben. Sicher ist, dass wir für notwendige pädagogische Reformen wie Inklusion und bessere Ausstattung der Grundschulen sofort weitere Studienplätze für Grundschulen und Sonderpädagogik brauchen“, sagte Stein.
Viele starten ins Lehramtsstudium – zu wenige kommen im Klassenzimmer an
Die GEW erinnert an einen Konflikt zwischen Wissenschaftsministerin Theresia Bauer und Kultusministerin Susanne Eisenmann über die Frage, wie viele Lehramtsstudierende am Ende im Klassenzimmer stehen. „Seit Jahren warten wir auf die Studie des Wissensschafts- und Kultusministeriums, warum und wann viele Lehramtsstudierende ihr Studium oder ihr Referendariat nicht beenden. Diese Daten brauchen wir dringend, um den Ausbildungsbedarf der nächsten 15 Jahre planen zu können. Wenn 2015 und 2016 jeweils rund 1.500 Personen ein Studium für Grundschullehramt begonnen haben, aber vier bis fünf Jahre später nur gut 1.000 junge Pädagog*innen im Vorbereitungsdienst sind, verlieren wir zu viele junge Menschen, die wir dringend in den Klassenzimmern bräuchten. Die Zusagen des Kultusministeriums, mit den 400 zusätzlichen Studienplätzen für Grundschulpädagogik hätte man in Zukunft den Lehrkräftemangel im Griff, stimmen dann nicht mehr. Ausbaden müssen es die Kinder und deren Eltern, bei denen der Unterricht ausfällt sowie die völlig überlasteten Lehrkräfte“, monierte die GEW-Landesvorsitzende.
Grundlage der Studie von Klaus Klemm ist eine aktuelle Analyse der Schüler*innenzahlen bis zum Jahr 2035. Klemm hatte bereits 2017 und 2019 Lehrkräftebedarfsprognosen für die Grundschulen und weiterführende Schulen im Südwesten vorgelegt. Seitdem wurden 400 neue Studienplätze für Grundschullehramt neu geschaffen, trotzdem konnte die Landesregierung in den vergangenen Schuljahren jeweils mehrere hundert Stellen nicht mit ausgebildeten Pädagog*innen besetzen. Für Sonderpädagogik entstehen jetzt in Freiburg 175 neue Studienplätze. Die GEW bezweifelt, dass es mit dann etwa 700 Studienplätzen gelingen kann, den Bedarf für die SBBZ und die Inklusion (zusätzliche 6.500 Stellen) zu decken.
Teilzeit bei Pädagog*innen als Chance begreifen
Die GEW geht davon aus, dass die Teilzeitquote bei Lehrkräften weiter steigen wird und deshalb mehr Personen für die zu besetzenden Lehrkräftestellen ausgebildet werden müssen. „Wenn Ministerpräsident Winfried Kretschmann die Teilzeitarbeit kritisiert, kennt er die Situation auf dem Arbeitsmarkt, gerade bei Pädagog*innen nicht. Lehrkräfte arbeiten Teilzeit, weil sie sonst Familie und Beruf nicht vereinbaren könnten und viele wählen Teilzeit, weil sie bei einem vollen Unterrichtsauftrag nicht mehr in der Lage wären, guten Unterricht zu gestalten. Immer mehr junge Menschen wählen gezielt Berufe, in denen Teilzeitarbeit möglich ist. Die Landesregierung sollte darüber nicht jammern, sondern sich als attraktiver Arbeitgeber präsentieren, um auch in Zukunft genug junge Menschen für den Platz am Lehrer*innenpult zu finden. Entsprechend muss auch dies bei der Anzahl der Studienplätze berücksichtigt werden“, sagte Stein.
Neben der Schaffung von Studienplätzen schlägt die GEW Sofortmaßnahmen gegen den Lehrer*innenmangel vor. Dazu zählen eine Erhöhung der Altersermäßigung, damit mehr Lehrkräfte bis zur Altersgrenze arbeiten können. Mit Qualifizierungsprogrammen soll der Quereinstieg besser möglich werden. Vor allem die Neueinsteiger*innen, die mit geflüchteten Kindern und Jugendlichen arbeiten, brauchen sofort ein ausreichendes Angebot an Fortbildungen und Qualifizierungsmaßnahmen zum Beispiel in den Bereichen Deutsch als Fremdsprache (DaF) und Deutsch als Zweitsprache (DaZ) sowie Traumapädagogik. Durch mehr Studienplätze im Aufbaustudium Sonderpädagogik und der Bezahlung für Lehrkräfte anderer Lehrämter, die diese Qualifizierung machen, könnte der Mangel an den SBBZ und in der Inklusion gemildert werden. Die GEW hat der Kultusministerin angeboten, auch über kreative Maßnahmen gegen den Lehrkräftemangel zu sprechen.