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Ländermonitoring Frühkindliche Bildung

Flucht der Kita-Fachkräfte

Jüngste Ergebnisse der Bertelsmann-Stiftung zeigen: In unseren Kitas arbeiten immer weniger ­Fachkräfte. Zudem wollen viele Beschäftigte ihren Beruf aufgeben. Diese Entwicklung wirkt sich auf die pädagogische Qualität in den Einrichtungen aus.

Foto: GEW / Shutterstock
Um dem Fachkräftemangel in Kindertageseinrichtungen wirksam zu begegnen, muss der Arbeitsplatz attraktiv sein. (Foto: GEW / Shutterstock)

Im Ländermonitoring Frühkindliche Bildungssysteme für das Jahr 2023 nimmt die Bertelsmann-Stiftung die Qualifikation und die Situation des Personals in den Kindertageseinrichtungen unter die Lupe. Belegt wird, dass der Anteil der Fachkräfte in den Kitas bundesweit sinkt, wobei es große Unterschiede in den Ländern gibt. Eine hohe Fachkraft-Quote von durchschnittlich 82,5 Prozent weisen die Bundesländer im Osten auf, im Westen hingegen liegt die Spannweite deutlich niedriger. In Baden-Württemberg erreicht nur noch etwa jede vierte Kita (26 Prozent) diese hohe Quote, bei der mehr als acht von zehn pädagogisch Tätigen mindestens über einen Fachschulabschluss verfügen. Im Jahr 2017 traf das noch auf 39 Prozent der Kita-Teams zu. Mit dem Verlust von 13 Prozentpunkten fällt der Rückgang in unserem Bundesland deutlicher aus als auf der Bundesebene mit neun Prozentpunkten. Nur in Berlin (18 Prozentpunkte), Mecklenburg-Vorpommern (15 Prozentpunkte) und Nordrhein-Westfalen (14 Prozentpunkte) nahm der Anteil an Fachkräften noch stärker ab. Ein weiteres ernstzunehmendes Ergebnis für Baden-Württemberg: Die Rate der Teams, bei der nur noch die Hälfte bis 70 Prozent der Mitarbeitenden als Fachkraft qualifiziert sind, ist in den letzten sechs Jahren von knapp 28 Prozent auf über 37 Prozent gestiegen.

„Auch in Baden-Württemberg versucht man, den Platz- und Personalmangel in den Kitas durch den Einsatz von Mitarbeitenden aufzufangen, die für ihre Arbeit mit den Kindern nicht die formalen pädagogischen Voraussetzungen mitbringen. Das darf aber nicht zu einem dauerhaften Absenken der Fachkraft-Quote führen – doch genau diese Tendenz sehen wir momentan in Baden-Württemberg“, sagt Kathrin Bock-Famulla, Expertin der Bertelsmann Stiftung für frühkindliche Bildung. Grundsätzlich findet es Bock-Famulla gut, wenn die Kitas neue und vor allem motivierte Mitarbeiter*innen gewinnen. Aber für die anspruchsvolle Arbeit mit den Kindern benötigen sie eine ausreichende pädagogische Qualifikation. Aufgrund des Platz- und Personalmangels möge es in einer Notsituation vertretbar sein, die Anforderungen vorübergehend zu senken, um die Schließung einer Kita abzuwenden. Das dürfe aber nicht zu einem dauerhaften Absenken der Fachkraft-Quote führen. Genau das fände aber statt. Um den Betrieb aufrechtzuerhalten, würde, was einer Notsituation geschuldet war, nun zur dauerhaften Praxis.

In Baden-Württemberg können inzwischen, landesgesetzlich geregelt, Fachkräfte durch sogenannte „geeignete Personen“ ersetzt werden. Außerdem kann der Mindestpersonalschlüssel um 20 Prozent unterschritten werden und in jeder Kitagruppe sind zwei weitere Kinder erlaubt. Von verschiedenen Studien wissen wir, dass eine niedrige Fachkraft-Quote die Qualität der pädagogischen Arbeit mindert. Für gut ausgebildete Mitarbeitende steigt der Aufwand und die Belastung, denn nicht ausreichend pädagogisch qualifizierte Mitarbeiter*innen brauchen mehr Anleitung und Begleitung.

Hohe Belastung führt zu Abwanderungen

Der Berufsalltag in den Kitas ist ohnehin überlastet. Die Belastung des Kita-Personals befindet sich, belegt durch eine aktuelle Studie der Justus-Liebig-Universität Gießen, insgesamt auf sehr hohem Niveau. Befragt wurden 21.635 pädagogisch Tätige in Kitas. Fast die Hälfte der Befragten gab an, sich täglich oder fast täglich im beruflichen Alltag überlastet zu fühlen. Überlastungserleben tritt verstärkt dort auf, wo die Teams meist oder dauerhaft unterbesetzt sind, was in vielen Kitas inzwischen Alltag ist. Mit zunehmender Überlastungshäufigkeit steigt die Abwanderungsbereitschaft des pädagogischen Personals. Gerade gut qualifizierte Mitarbeitende halten es nur schwer aus, wenn Unterbesetzung und mangelnde Qualifikation zum Verlust von Fachlichkeit führen.

Die Studie belegt auch, dass viele Beschäftigte die Wahrscheinlichkeit sehr hoch einschätzen, das Berufsfeld kurz- bis mittelfristig zu verlassen. Bei rund einem Viertel der Befragten liegt diese sogar bei 80 Prozent oder höher. Das trifft auch auf Auszubildende zu, die dann gar nicht erst in den Beruf einmünden. Am höchsten ist das Abwanderungsrisiko bei den jüngeren Mitarbeiter*innen im Alter von 26 bis 30 Jahren.

„Je mehr Kita-Beschäftigte das Berufsfeld verlassen, desto größer wird die Belastung für das verbleibende Personal, was zu noch mehr Abwanderung führen kann. Diese Spirale gilt es zu durchbrechen“, so das Fazit der Bertelsmann-Stiftung. Verbleibende Fachkräfte müssten unbedingt gehalten werden, deshalb unterstützt die Stiftung die Empfehlungen der Arbeitsgruppe Frühe Bildung, die vom Bundesfamilienministerium eingesetzt wurde. Empfohlen wird eine Fachkraft-Quote von 72,5 Prozent zu halten und sie längerfristig auf 85 Prozent anzuheben. Blicken wir auf die anfänglich genannten Daten aus unserem Bundesland, so scheint das Ziel geradezu utopisch. Für kurzfristige Verbesserungen schlägt Bertelsmann vor, Mitarbeitende, die noch nicht hinreichend qualifiziert sind, weiterzubilden und die heterogen zusammengesetzten Teams verlässlich und professionell zu beraten und zu begleiten.

Was die GEW dazu sagt

Für die GEW sind die Ergebnisse nicht überraschend. Seit langem setzen wir uns dafür ein, dass die Arbeit in den Kitas für die Beschäftigten attraktiv bleibt und gut bewältigt werden kann. Den Weg, den die Kommunalen Spitzenverbände und das Land eingeschlagen haben, bei dem Nicht-Fachkräfte Erzieher*innen ersetzen können, kritisieren wir stark. Auch einer doppelten Anzahl an Zusatzkräften fehlt die pädagogische Fachlichkeit. Der Fokus der derzeitigen baden-württembergischen Maßnahmen ist auf die Betreuung und Aufsicht der Kinder gerichtet, nicht wie gesetzlich vorgeschrieben auf den Erziehungs- und Bildungsauftrag. Es ist deshalb nicht zu vertreten, die Gruppengröße anzuheben. Pädagog*innen können die Entwicklungsprozesse von Kindern nur dann positiv und förderlich begleiten, wenn sie sich den einzelnen Kindern beziehungsweise kleinen Gruppen ungestört zuwenden können. Wenn Frühe Bildung vernachlässigt wird, muss später mit viel mehr Geld nachgebessert werden.

Pädagogische Qualität muss strukturell abgesichert sein. Eine zentrale Forderung der GEW ist daher ein wissenschaftlich begründeter Fachkraft-Kind-Schlüssel. Neben dem Qualifikationsniveau der Fachkräfte ist die Relation von pädagogischen Fachkräften zu den Kindern sowie die Größe der Gruppen entscheidend.

Welchen Weg schlägt die GEW vor?

Es kann nur immer wieder betont werden: Um dem Fachkräftemangel in Kindertageseinrichtungen wirksam zu begegnen, muss der Arbeitsplatz attraktiv sein. Entlasten könnten zusätzliche Kräfte für Verwaltung, Hauswirtschaft und Hausmeistertätigkeit, die nicht auf den Personalschlüssel angerechnet werden. Es gibt gute Erfahrungen mit Kitasozialarbeitenden, die Kinder und Eltern in herausfordernden Situationen unterstützen. Auch Gesundheitskräfte und Psycholog*innen könnten für jeweils einen Pool von Kitas eingeplant werden, um das Kitasystem zu professionalisieren. Der Arbeitsbereich Kita würde auch eindeutig attraktiver, wenn Expert*innen für Sprache, Inklusion, Elternarbeit, Anleitung eingeplant würden. Durch solche Funktionsstellen hätten auch Kindheitspädagog*innen und andere Akademiker*innen Aufstiegs- und Karrieremöglichkeiten in Kitas und würden eher im Berufsfeld verbleiben.

Die Maßnahmen gibt es natürlich nicht zum Nulltarif. Bund, Land und Kommunen müssten viel mehr in die Frühkindliche Bildung investieren. Rechnen würden sich die Investitionen allemal.

Kontakt
Heike Herrmann
Referentin für Jugendhilfe und Sozialarbeit
Telefon:  0711 21030-23