Zum Inhalt springen

Flüchtlinge in unseren Klassen

Seit Beginn dieses Schuljahres dürfen nur noch Jugendliche im Alter von 15 bis 19 Jahren eine VABO-Klasse besuchen. Für die über 20jährigen besteht keine Möglichkeit mehr, einem geregelten Schulalltag nachzukommen.

Adama ist 20, kommt aus Mali und hat eine der vielen Klassen des Vorqualifizierungsjahres Arbeit/Beruf für Jugendliche ohne Deutschkenntnisse (VABO) an einer Beruflichen Schule im Landkreis Karlsruhe besucht. Derzeit bereitet er sich auf den anstehenden Hauptschulabschluss vor. Im Anschluss daran würde er gerne eine Ausbildung in dem Malerbetrieb beginnen, wo er seit eineinhalb Jahren regelmäßig als Praktikant arbeitet. Der Chef des kleinen Karlsruher Betriebes ist begeistert vom Engagement des einsatzwilligen Jugendlichen. Logisch, dass er Adama einen Ausbildungsplatz angeboten hat, denn solch gute Erfahrungen hat er seit Jahren nicht mehr gemacht!

Adama hatte für lange Zeit keine schönen Erlebnisse gehabt, bevor er 2014 über das Mittelmeer und Italien nach Deutschland kam. Davor hatte er ungefähr ein Jahr in Libyen unter menschenunwürdigen Bedingungen auf einer Baustelle gearbeitet. Mehrmals am Tag wurde er misshandelt und geschlagen. Unerträgliche Lebens- und Daseinsbedingungen herrschen auch in seiner Heimat aufgrund der postkolonialen Entwicklungen und der aktuellen weltwirtschaftlichen Bedingungen, insbesondere durch die Ausbeutung der Goldvorkommen. So ist es nicht verwunderlich, dass viele junge Malier ihre Hoffnung in Europa sehen.

 Integration durch Bildung – nur für wenige!

 „Integration durch berufliche Ausbildung - Perspektiven für Flüchtlinge", so lautet der Titel eines Zehn-Punkte-Programms, mit dem das Ausbildungsbündnis Baden-Württemberg die berufliche Ausbildung von Flüchtlingen fördern will. Auch Menschen wie Adama will das Bündnis helfen. Um das zu tun, wurde eigens eine Task Force gegründet. Sie soll die Problemfelder bei der Integration von Flüchtlingen in Ausbildung identifizieren und gemeinsam konkrete Lösungen entwickeln. Mittlerweile sind in fast allen Beruflichen Schulen VABO-Klassen eingerichtet worden. Ziel dieser Klassen ist, den ausländischen Jugendlichen durch den Spracherwerb und eine erste berufliche Vorqualifikation den Einstieg in die Ausbildung bzw. den Arbeitsmarkt zu erleichtern. Im Schuljahr 2014/15 wurden noch Schüler/innen bis 21 Jahren und älter aufgenommen. Seit Beginn dieses Schuljahres dürfen allerdings nur noch Jugendliche im Alter von 15 bis 19 Jahren eine VABO Klasse besuchen. Für die über 20jährigen besteht dadurch keine Möglichkeit mehr, einem geregelten Schulalltag nachzukommen. Dies ist besonders tragisch, zumal gerade bei Flüchtlingen das anagraphische Alter allein kein vernünftiges Kriterium für die Beschulung ist. Viele der Jugendlichen besitzen bereits aus ihren Herkunftsländern gute Schulbildungen, sie weisen jedoch erhebliche Lücken in ihren Lernbiografien auf, weil sie in den Jahren des Krieges und der Flucht keine Schule mehr besuchen konnten.

Geeignete Kandidat/innen gesucht!

 Noch selektiver ist der staatlich geregelte Zugang zum Ausbildungsmarkt. Momentan schießen die Initiativen zur Ausbildungsvermittlung nur so aus dem Boden. Ein lukrativer Markt für manchen Bildungsträger entsteht buchstäblich über Nacht. Kümmerer, Integrationslotsen, Profiler, Flüchtlingsausbildungsberater ziehen los und  suchen „geeignete“ Kandidaten für ihre Aufgaben. Doch was ist mit „geeignet“ eigentlich gemeint? Seit Mitte vergangenen Jahres kam ein Begriff auf, der viele Fragezeichen aufwirft, aber auch viel Unmut bei den Betroffenen und Unterstützern erzeugt: Bleibeperspektive. Dieser Begriff erlangte rechtliche Bedeutung, als das Asylpaket I im Herbst 2015 verabschiedet wurde: Nur wer mit hoher Wahrscheinlichkeit einen rechtmäßigen und dauerhaften Aufenthalt in Deutschland erwarten kann, hat schon während des Asylverfahrens die Möglichkeit, an den Integrationskursen teilzunehmen und von einem der zahlreichen Förderungsprogramme wie Einstiegsqualifizierung (EQ), ausbildungsbegleitende Hilfen (AbH) oder assistierte Ausbildung (ASA) zu profitieren. Die Bleibechancen werden nicht individuell, sondern an der auf das Herkunftsland bezogenen durchschnittlichen Schutzquote (Asylanerkennungen, Gewährung von subsidiärem Schutz sowie Feststellungen eines Abschiebeverbotes) festgemacht. Momentan werden Flüchtlinge daher in drei Gruppen aufgeteilt. Zu den Personen mit „guten Bleibeperspektiven“ gehören Flüchtlinge aus Syrien, Iran, Irak und Eritrea. Flüchtlingen aus den Krisenregionen Mali, Gambia, Somalia und Sudan wird dagegen eine geringere Bleibechance attestiert. Sie können nur noch hoffen, dass in den Förderprogrammen einige Plätze unbesetzt bleiben. Wer aus vermeintlich „sicheren Herkunftsländern“ kommt (dazu zählen sowohl die EU-Staaten als auch Kosovo, Ghana, und Senegal u.a.) wird pauschaul mit „ohne Bleibeperspektive" gekennzeichnet. Für diese Personen ist der Zugang zu den Hilfsmaßnahmen so gut wie versperrt. Die Ungleichheit im Zugang zu den Ressourcen schlägt sich auch im Alltag der Betroffenen nieder. Die Aufteilung in unterschiedliche Gruppen führt vor allem in den Gemeinschaftsunterkünften zu massiver Unruhe. Das spürt auch Adama - jeden Tag. Seit zwei Jahren lebt er in einer Gemeinschaftsunterkunft gemeinsam mit Menschen aus Eritrea, dem Irak, Syrien, Afghanistan und Gambia zusammen. Bisher waren es eher die unterschiedlichen Alltagsgewohnheiten, die das Zusammenleben auf die Probe stellten. Nun ist aber eine neue Dimension an Konkurrenz und Misstrauen untereinander eingezogen.

 Keine Unterscheidung nach „guten und schlechten“ Flüchtlingen

 „Die Bündnispartner“, so ist in der gemeinsamen Erklärung des Ausbildungsbündnisses Baden-Württemberg zu lesen, „sehen in der großen Zahl an zugewanderten Menschen Chancen für Wirtschaft und Gesellschaft, wenn es gelingt, die Flüchtlinge in Ausbildung  und Arbeit zu bringen.“ Das Durcheinander von teils sogar konkurrierenden Programmen des Bundes, der Länder und den Kommunen sowie privater Anbieter mit intransparenten Zugangskriterien hinterlässt in der Tat den Eindruck, dass die Integration von staatlicher Seite gar nicht gewünscht ist - trotz aller großspurigen Verlautbarungen. Will man nicht bei Sonntagsreden und Lippenbekenntnissen bleiben, dann muss eine ernstgemeinte Initiative für die Integration von Flüchtlingen durch Bildung und Ausbildung folgende Elemente enthalten: Die Entwicklung eines bundesweiten Masterplans zur Abstimmung aller Maßnahmen, ein Schulbesuchsrecht bis 25 Jahre und die Gewährung des Bleiberechtes mindestens während der gesamten Schul- und Ausbildungszeit. Vor allem aber muss die Unterscheidung nach „guten" und „schlechten“ Flüchtlingen verschwinden. Denn nicht die Integrationschancen müssen von politisch festgelegten „Bleibeperspektiven“ abhängen, sondern umgekehrt soll der freie Zugang zu effektiven Integrationsmaßnahmen dazu dienen, die Lebensperspektive für jeden einzelnen Flüchtling nachhaltig zu erhöhen

Kontakt
Magdalena Wille
GEW-Referentin Berufliche Bildung und Weiterbildung