Ländermonitoring Frühkindliche Bildung
Für jedes zweite Kita-Kind fehlt Fachpersonal
Der alljährliche Ländervergleich der Bertelsmann-Stiftung über Frühkindliche Bildungssysteme erschien nach der Sommerpause. Er bescheinigt Baden-Württembergs Kindertageseinrichtung bundesweit erneut den günstigsten Personalschlüssel hinter Bremen. Wenn man sich allerdings Gruppengröße, Qualifikationsniveau des Personals und Leitungszeit anschaut, gibt Baden-Württemberg ein anderes Bild ab.
Der günstige Personalschlüssel in Kindertageseinrichtungen in Baden-Württemberg darf laut dem Ländermonitoring Frühkindlicher Bildungssysteme 2020 nicht darüber hinwegtäuschen, dass in vielen Einrichtungen im Land der Bildungsauftrag nicht oder nur eingeschränkt umgesetzt werden kann. Grund dafür sind unzureichende Rahmenbedingungen und fehlendes Fachpersonal.
Die Bertelsmann-Stiftung kritisiert, dass die Gruppengrößen und die Personalausstattung nicht überall kindgerecht seien. Zu beanstanden ist nach Bildungsexpertin Kathrin Bock-Formular auch das niedrige Qualifikationsniveau der Fachkräfte. In Baden-Württemberg müsse mehr für die frühkindliche Bildung getan werden.
Nach wissenschaftlichen Erkenntnissen sollte eine Kitagruppe nicht mehr als 12 jüngere Kinder bzw. nicht mehr als 18 ältere Kinder umfassen, um Stress für Kinder und Fachpersonal zu vermeiden und faire Bildungschancen zu ermöglichen. Laut Ländermonitoring überschreiten in Baden-Württemberg 43 Prozent aller Gruppen die wissenschaftlichen Vorgaben. Erfreulicherweise betrifft das nur etwa 1 Prozent der Krippengruppen, jedoch etwa 8 Prozent der unter Dreijährigen und alarmierende zwei Drittel aller Kitagruppen (ab Dreijährige, teilweise gemischt mit Zweijährigen). Die Gruppengrößen in Baden-Württembergs Kitas müssten nach Ansicht der Bertelsmann-Stiftung daher dringend verkleinert werden.
Laut Studie erhielten Kinder im Flächenland zwar statistisch gesehen die intensivste Betreuung, allerdings nicht überall. Die Bildungschancen hingen vom Wohnort ab. So sei in Mannheim rein rechnerisch eine Fachkraft bei einem Personalschlüssel von 1:8,4 für 2,3 Kindergartenkinder mehr verantwortlich als in den Städten Karlsruhe oder Freiburg (1:6,1). In Krippen sei das Gefälle etwas geringer und reiche von Mannheim, wo eine Fachkraft 4 Kinder betreue bis zum Landkreis Heidenheim mit einem Betreuungsdurchschnitt von 2,7 Krippenkindern. Gerechte Bildungschancen für alle Kinder sehen anders aus.
Diese Zahlen stimmen auch nur dann, wenn das vorgesehene Personal tatsächlich zur Verfügung steht. Laut Studie besuche jedes zweite Kind eine Einrichtung mit zu wenig Personal, rund 138.500 Kinder würden demnach nicht kindgerecht betreut, weil Fachkräfte fehlten. Die ab Dreijährigen seien mit 52 Prozent etwas häufiger betroffen als die unter Dreijährigen (42 Prozent). Was nützt ein guter Personalschlüssel auf dem Papier, wenn die Stellen nicht besetzt werden können? Die GEW Baden-Württemberg macht seit Jahren auf den eklatanten Fachkräftemangel in Baden-Württembergs Kitas aufmerksam und fordert eine umfassende Fachkräfteoffensive, die eine Höherqualifizierung der Fachkräfte in den Blick nehmen muss. Den Bedarf nach einem dringenden Ausbau der Studienkapazitäten für Kindheitspädagog*innen beispielsweise ignoriert das Land seit Jahren.
Verständlich ist das nicht. Nachweislich hängt die Qualität in Kindertageseinrichtungen stark vom Qualifikationsniveau der Beschäftigten ab. In Baden-Württemberg gibt es etwa 92.300 pädagogische Mitarbeitende, 68 Prozent davon sind als Erzieher*innen ausgebildet. Das liegt etwa im Durchschnitt der westdeutschen Bundesländer, aber weit unter dem Qualifikationsniveau ostdeutscher Bundesländer. Dort haben 82 Prozent der Beschäftigten eine Fachschulausbildung. Mit Assistenzniveau (Sozialassistenz, Kinderpflege) arbeiten 9 Prozent der Beschäftigten (westdeutscher Durchschnitt sind 16 Prozent, ostdeutscher Durchschnitt 2 Prozent), nur 5 Prozent haben einen Hochschulabschluss, 3 Prozent hingegen keinen Abschluss. Und mit 7 Prozent Personal ohne fachliche Ausbildung führt Baden-Württemberg mit Hamburg bundesweit die Spitze an.
Kathrin Bock-Formular hält das Niveau der Fachkräfte hierzulande für zu niedrig und verweist auf eine aktuelle qualitative Studie der Fern-Universität Hagen, die belegt, dass Personalmangel und unzureichende Kompetenzen beim Personal den Bildungsauftrag von Kitas gefährden. Die Bedürfnisse der Kinder und die individuelle Förderung rückten dann in den Hintergrund. Rückmeldungen an die GEW aus der Kitapraxis bestätigen die Ergebnisse der Hagener Studie. GEW-Mitglieder bestätigen immer wieder, wie sehr die Teams durch fehlendes und nicht ausreichend qualifiziertes Personal belastet seien. Das führt mit dazu, dass immer mehr Erzieher*innen das Arbeitsfeld verlassen.
Die Bertelsmann-Stiftung rät Baden-Württemberg zu einheitlichen Regelungen, bezogen auf das Zusammenwirken von Personalschlüssel, Gruppengröße und Qualifikationsniveau, und ist der Ansicht, dass dies landesrechtlich festgelegt werden sollte. Zeiten für mittelbare pädagogische Arbeit und Ausfallzeiten seinen dabei zu berücksichtigen. Um die Kitaleitungen und Fachkräfte zu entlasten, könne zusätzliches Personal für Hauswirtschafts- und Verwaltungstätigkeit eingestellt werden.
Des Weiteren erachtet Bock-Formular es für wichtig, die Leitungskapazitäten in Baden-Württemberg sukzessive weiter auszubauen. Mit der Entscheidung, die Bundesmittel des Gute-Kita-Gesetzes für qualitative Maßnahmen einzusetzen, hat die Landesregierung gute Schritte unternommen und unter anderem sechs Stunden Leitungszeit zur Erfüllung pädagogischer Kernaufgaben für jede Kita vorgesehen. Ab der zweiten Gruppe kommen zusätzliche zwei Stunden pro Gruppe dazu. Das kann auch nach Ansicht der GEW nur ein erster Schritt sein.
Nach Auswertung der Daten warnt die Bertelsmann-Stiftung Baden-Württemberg davor, Ausbildungen unterhalb des Erzieher*innenniveaus auszubauen. Die GEW findet diese Hinweise richtig und appelliert an die Landespolitik, in die Höherqualifizierung von Fachkräften zu investieren, statt ein neu beschlossenes Direkteinsteigerprogramm zu verfolgen. Außerdem sollte die Landesregierung dringend das Modellprojekt „Praxisintegrierte Kinderpfleger*innen-Ausbildung“ überdenken.
Die Bildungsexpertin Bock-Formular weist darauf hin, dass für Kindertageseinrichtung attraktive Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen geschaffen werden müssten, zu denen auch eine angemessene Bezahlung gehöre, und schließt sich damit den Forderungen der GEW an. Nur so können wir zukünftig Menschen für die Arbeit in den Kita gewinnen, die für eine gute Bildungsqualität Sorge tragen können und dauerhaft im Arbeitsfeld arbeiten