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#StandWithUkraine

Geflüchteten Kindern unbürokratisch die Schultür öffnen

Die GEW-Landesfachgruppe Gymnasien hat eine Übersicht zur Situation der Geflüchteten aus der Ukraine und den Herausforderungen für die Schulen im Land zusammengestellt. Die Forderungen der GEW im Überblick.

Aus der Ukraine geflüchtete Kinder sind bei drei Vierteln der befragten Lehrkräfte laut Studie zumindest teilweise in Regelklassen integriert und lernen gemeinsam mit Schülerinnen und Schülern aus Deutschland. (Foto: Shutterstock/GEW)

Kultusministerin Theresa Schopper hat auf dem Schulleitungstag der GEW Mitte März gesagt: „Wir wollen den geflüchteten Schulkindern unbürokratisch die Schultür öffnen. Das ermöglicht ihnen wieder Struktur und Ablenkung.“ Nehmen wir das Ministerium beim Wort.

Die GEW fordert:

  • Abbau von bürokratischen Hürden bei der Einstellung ukrainischer Unterstützungskräfte
  • Unterstützung bei der inhaltlichen Ausgestaltung der Arbeitsverträge
  • Bestehende Strukturen bei VKL/VABO (Vorbereitungsklasse beziehungsweise Vorqualifizierungsjahr Arbeit/Beruf mit Schwerpunkt Erwerb von Deutschkenntnissen) ausbauen
  • Einrichtung von VKL in allen Schularten, baldmöglichst Integration in den Regelunterricht
  • Zugang zur ukrainischen Online-Beschulung ermöglichen
  • Zeugnisanerkennung beschleunigen, Abschlüsse ermöglichen
  • Einstellung zusätzlicher Lehr- und Unterstützungskräfte zum kommenden Schuljahr
  • Ausbau der Unterstützungssysteme: Schulsozialarbeit, Schulpsychologie, FSJ-Stellen und Kooperationen mit außerschulischen Partnern

Die Situation ist ständig im Fluss, eine Planung schwierig. Im Folgenden finden Sie daher statt der gewohnten hohen Informationsdichte eher eine vorläufige Analyse, die Zusammenstellung von Themenfeldern und Herausforderungen sowie nützliche Links und Quellen.

Bitte passen Sie bei allem persönlichen Engagement gut auf sich auf und schreiben Sie uns Ihre Erfahrungen, Fragen, Anregungen und Wünsche an das Vorsitzendenteam der GEW-Landesfachgruppe Gymnasien, Barbara Becker (barbara.becker(at)gew-bw(dot)de) und Markus Riese (markus.riese(at)gew-bw(dot)de).

Unsichere Zahlen

Über zwei Monate nach Beginn des russischen Angriffskriegs wurden nach Angaben des Bundesinnenministeriums (BMI) 400.632 Einreisen von Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine dokumentiert. (Stand 3. Mai 2022, zu täglich aktuellen Zahlen siehe den offiziellen Twitterkanal des BMI)

Eine genauere Zahl der Menschen, die tatsächlich aus der Ukraine nach Deutschland geflohen sind, ist extrem schwer zu ermitteln. Ukrainische Staatsbürger*innen können ohne Visum in die Europäische Union einreisen und sich in EU-Mitgliedstaaten des Schengen-Raums frei bewegen. Eine systematische Erfassung der Menschen, die nach der EU-Massenzustrom-Richtlinie (§ 24 AufenthG) gekommen sind, ist nicht möglich. Ab dem 4. März 2022 müssen in Deutschland und allen anderen EU-Ländern Geflüchtete aus der Ukraine kein (meist sehr langwieriges und bürokratisches) Asylverfahren durchlaufen. Sie erhalten zunächst für ein Jahr einen „vorübergehenden Schutz“, der automatisch zweimal um jeweils sechs Monate verlängert werden kann. Dieser Status kann nochmals um ein weiteres Jahr auf insgesamt drei Jahre verlängert werden.

Dies erschwert jegliche Planung enorm, insbesondere im Bildungsbereich.

So erreichten zum Beispiel eine badische Stadt 300 Personen, unter denen circa 150 Jugendliche sind, die nun in die weiterführenden Schulen integriert werden. Das entspricht mindestens neun vollen Vorbereitungsklassen (VKL). Bislang ist aber unklar, ob diese Zahl im kommenden Schuljahr eher deutlich höher oder niedriger sein wird: Die Geflüchteten und ihre Familien können sich frei in der gesamten Bundesrepublik bewegen und natürlich ebenfalls jederzeit in die Ukraine zurückkehren.

Dem Krieg entronnen – und nun?

Wann immer die Flucht gelang – schon zu Beginn des Krieges oder erst nach Irpin und Butcha – alle Geflüchteten bringen individuelle Traumatisierungen aber auch Hoffnungen und Wünsche mit. Die Zukunftswünsche gehen weit auseinander – von der Hoffnung auf schnellstmögliche Rückkehr bis zur Orientierung in Richtung einer langfristigen Existenzgründung.

So schnell es geht zur Peergroup – Rechte im Bildungsbereich

Ein „Schulrecht“ besteht direkt ab dem ersten Tag des Zuzugs, die „Schulpflicht“ nach sechs Monaten Aufenthaltsdauer.

Trotz der Onlineangebote der ukrainischen Schulen: So schnell als eben möglich sollten die Kinder und Jugendlichen unter Gleichaltrige und deren Alltag teilen. Raus aus der bisweilen schwierigen Lebenssituation in Erstaufnahmen oder Gemeinschaftsunterkünften – hier werden Traumata eher vertieft als verarbeitet. Auch bei individueller Aufnahme durch Familien, Freunde oder Privatpersonen muss durch die Rückkehr in ein kind- beziehungsweise jugendgerechtes Umfeld und damit zu einer gewissen Normalität ebenfalls schnellstmöglich Entlastung geschaffen werden.

Sprache als Schlüssel zur Integration

Das Erlernen der deutschen Sprache sowie der Kontakt zur deutschsprachigen Umgebung sind im Hinblick auf eine gelingende Integration (und sei sie auch nur für eine gewisse Zeit) unerlässlich. Es kann nicht sein, dass größere Gruppen von Kindern und Jugendlichen ohne soziale und schulische Anbindung über Wochen auf sich allein gestellt sind.

Perspektiven und Ressourcen

Im dritten Jahr des Unterrichtes unter Pandemiebedingungen sind wir Lehrkräfte absolut am Limit oder darüber hinaus. Das zum Teil eher laue Lüftchen „Rückenwind“ soll die Schüler*innen bei Lerndefiziten, deutlichen Sprachrückständen (vor allem bei Schüler*innen mit Migrationshintergrund) aber auch psychischen Problemen unterstützen – oft mit recht begrenztem Erfolg und vor allem mit viel zu geringen Ressourcen.

Ohne zusätzliche Lehr- und Unterstützungskräfte wird das neue Schuljahr nicht zu stemmen sein!

Situation ähnelt 2015/2016 und ist doch ganz anders

Zunächst unterscheidet sich die soziale Zusammensetzung der Geflüchteten sehr stark. Aus der Ukraine kommen insbesondere Frauen und Kinder beziehungsweise Jugendliche zu uns.

Nach einer Befragung des Bundesinnenministeriums sind unter den Geflüchteten 84 Prozent Frauen; 58 Prozent von ihnen sind gemeinsam mit ihren Kindern nach Deutschland gekommen. Das Durchschnittsalter beträgt circa 38 Jahre. 92 Prozent der vom BMI Befragten waren in der Ukraine berufstätig oder in der Ausbildung, alle haben europäische Bildungsbiographien. Ukrainische Lehrer- und Erzieherinnen (die kampffähigen Männer mussten im Land verbleiben) sind in nennenswerter Zahl zu uns gekommen – viele von ihnen sind im Onlineunterricht tätig. Anknüpfungspunkt der Flucht waren – ganz anders als vor sieben Jahren – viele bereits bestehende persönliche Kontakte. Daher fanden viele Geflüchtete Aufnahme bei Verwandten, Freunden oder über Städtepartnerschaften.

Die Schüler*innen

Die Ukraine hat eine funktionierende europäische Schulstruktur, die Bildungsbiographien sind mit denen unserer Schüler*innen absolut vergleichbar. In der Regel wollen sowohl die Schüler*innen selbst als auch die Eltern, dass so schnell als möglich wieder ein regulärer Schulbesuch möglich ist. Dies einerseits um den notwendigen Kontakt und die Integration in die Peergroup zu ermöglichen. Aber auch, um die angestrebten Abschlüsse erreichen zu können: Manche Schüler*innen sind nur Tage oder Wochen vor den Prüfungen geflohen. Jetzt müssen vorhandene Zeugnisse umgehend anerkannt werden.

Im April hat die Kultusministerkonferenz beschlossen, dass Schüler*innen, die fluchtbedingt ihren Sekundarschulabschluss in der Ukraine nicht ablegen konnten, sich in Deutschland dennoch für ein Studium bewerben können. Dies geschah auf dem Hintergrund der Information, dass in diesem Jahr in der Ukraine keine Abschlussprüfungen stattfinden werden.

Die schulischen Onlineangebote der Ukraine laufen bislang parallel weiter. Hier müssen vor Ort zusammen mit den Schulträgern pragmatische Lösungen gefunden werden, um allen Schüler*innen, die es wünschen, die notwendige Hard- und Software zur Verfügung zu stellen.

Das Land muss gleichzeitig eine funktionierende und flexible VKL- und VABO-Struktur aufbauen und dabei auch Angebote auf erweitertem Niveau schaffen, die eine schnelle Integration in den Regelunterricht aller Schularten ermöglichen. Angesichts der großen Anzahl der Schüler*innen – 14.175 geflüchtete Kinder und Jugendliche aus der Ukraine sind bereits hier in Baden-Württemberg (Stand 3. Mai 2022, Quelle: Twitteraccount BMI) – wird es kaum möglich sein, auf individuelle Lösungen zu setzen.

Die ukrainischen Kolleginnen

Selbstverständlich setzt sich die GEW in praktischer Solidarität und mit Vernetzungsangeboten untereinander und zu hiesigen Lehrkräften für unsere Kolleginnen aus der Ukraine ein. So schnell es geht sollte das Ministerium ihnen Stellenangebote machen, um ihre Expertise und ihre Sprachkenntnisse wirkmächtig werden zu lassen.

Ihre Hilfe ist zusätzlich unerlässlich zur Überwindung der Sprachbarriere bei der Kontaktaufnahme zu den Schüler*innen und ihr Einsatz zum Beispiel in Form von Teamteaching im Bereich der VKL ist äußerst wünschenswert.

Wir – die GEW

Die GEW-Landesfachgruppe Gymnasien bleibt am Thema, begleitet die Angebote und Regelungen des Ministeriums in der Sache kritisch und nimmt all Ihre Anregungen und Kritik gerne auf.

Gleichzeitig sind wir natürlich in unserem unmittelbaren schulischen und persönlichen Umfeld aktiv: GEWerkschaft wirkt!

Quellen und weitere Informationen:

Kontakt
Barbara Becker
Vorsitzende Fachgruppe Gymnasien
Adresse Vogt-Kistner-Str. 1
77815 Bühl
Privat:  07223 800 04 09
Kontakt
Markus Riese
Vorsitzender Fachgruppe Gymnasien
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