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Frühkindliche Bildung

Geht beides: bessere Kita-Qualität und Gebührenfreiheit?

Kitas sollen besser werden und gleichzeitig gebührenfrei sein. Wenn die Belastung der pädagogischen Fachkräfte nicht noch weiter steigen soll, müssen ausreichende finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt werden.

Kitas sind ein wichtiges Glied in der Bildungskette und damit vergleichbar mit Grundschulen.
Kitas sind ein wichtiges Glied in der Bildungskette und damit vergleichbar mit Grundschulen. (Foto: © Bert Butzke)

Der Arbeitswissenschaftler Prof. Bernd Rudow schreibt in seinem kürzlich erschienenen Buch „Beruf Erzieherin“, die Arbeit von Erzieherinnen sei eine wichtige Basis für das Erreichen gesellschaftlicher Ziele wie „Vollbeschäftigung und Innovationsfähigkeit der Wirtschaft, Erwerbsbeteiligung von Frauen, Chancengleichheit für Migranten und Flüchtlinge oder Sicherung des Generationenvertrags.“ Kitas sind in der Tat inzwischen als wichtiges Glied in der Bildungskette anerkannt und damit vergleichbar mit Grundschulen. Umso unverständlicher, dass bis heute der Besuch von Kindertagesstätten zumeist mit hohen finanziellen Belastungen verbunden ist und die pädagogischen Fachkräfte immer noch weit unter dem ohnehin nicht üppigen Niveau der Grundschullehrkräfte bezahlt werden.

Eine von der Bertelsmann-Stiftung durchgeführte Umfrage hat nun eine Diskussion über die Frage entfacht, ob die Kita-Gebühren abgeschafft werden sollen oder doch zunächst die Kita-Qualität weiter verbessert werden soll. Beides zusammen würde circa 15,3 Milliarden Euro pro Jahr kosten und wäre damit nicht zu finanzieren. Die Bertelsmann-Stiftung schreibt in einer Pressemitteilung vom 28. Mai 2018: „Dem politischen Versprechen der Beitragsfreiheit fehlt die finanzielle Substanz. Aktuell ist zu befürchten, dass die Qualität auf der Strecke bleibt.“ Damit werden Beitragsfreiheit und Kita-Qualität gegeneinander ausgespielt.

Dieser Gegensatz zeigt sich auch im Gesetzgebungsverfahren zum „Gute-Kita-Gesetz“, das am 1. Januar 2019 in Kraft treten soll. Der Bund will in den kommenden vier Jahren den Ländern 5,5 Milliarden Euro zur „Weiterentwicklung der Qualität in der Kindertagesbetreuung“ zur Verfügung stellen. Möglich sind Maßnahmen zur Weiterentwicklung der Qualität in zehn Handlungsfeldern, wozu auch eine Entlastung der Eltern bei den Gebühren gehören soll.

Bedingungen für Verbesserungen

Qualitätsverbesserungen lassen sich nur verwirklichen, wenn massiv in das pädagogische Fachpersonal investiert wird. Dazu gehören:

  • gut ausgebildete pädagogische Fachkräfte,
  • ein verbessertes Kind-Fachkraft-Verhältnis,
  • mehr Zeit für mittelbare pädagogische Arbeit,
  • angemessene Freistellung für Leiter/innen und
  • berufliche Fortbildung und Fachberatung.

Damit ist klar, dass es einen erheblichen Mehrbedarf an pädagogischem Fachpersonal geben wird. Die Weiterbildungsinitiative Frühpädagogische Fachkräfte (WiFF) kommt aber nach einer Auswertung des „Fachkräftebarometers Frühe Bildung 2017“ zu dem Ergebnis, dass die Kitas vor einem Fachkräftemangel stehen. Die bis 2025 neu ausgebildeten Fachkräfte würden gerade einmal ausreichen, um die Beschäftigten zu ersetzen, die alters- oder gesundheitsbedingt ausscheiden. Der Mehrbedarf, der sich aufgrund erhöhter Nachfrage ergibt, ist damit nicht abgedeckt. Prof. Thomas Rauschenbach, Direktor des Deutschen Jugendinstituts, schreibt im Fachkräftebarometer: „Soll darüber hinaus auch noch die Kita-Qualität etwa durch einen verbesserten Betreuungsschlüssel angehoben werden, müssten sämtliche Ausbildungskapazitäten der Frühen Bildung in den nächsten Jahren nochmals erheblich ausgeweitet werden.“

Bereits heute ist es schwierig, genügend Interessent/innen für kindheitspädagogische Ausbildungen zu motivieren. Die Zahl der Personen, die eine Erzieher/innenausbildung begonnen haben, ist nach einem starken Anstieg bis 2013/14 im Jahr 2014/15 erstmals leicht zurück gegangen und die Zahl der Studienanfänger/innen in früh- beziehungsweise kindheitspädagogischen Bachelor-Studiengängen stagniert seit 2013.

So genannte Quereinsteiger/innen, die zum Beispiel in Berlin verstärkt Fachkräfte ersetzen dürfen, sind auch keine Lösung. Doro Moritz, GEW-Landesvorsitzende, meint: „Mit der Zahl der Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger erhöht sich auch die Belastung für die Beschäftigten.“ Quereinsteiger/innen müssten angeleitet werden und brauchen Jahre, um die notwendige Qualifikation berufsbegleitend zu erwerben.

Frühpädagogik muss also attraktiver gestaltet werden, um mehr Personen für die Ausbildung zu gewinnen, aber auch um vorhandenes Personal zu halten. Der Tarifpolitik fällt hierbei eine wichtige Rolle zu:

  • Die Vergütung für die Tätigkeiten der Fachkräfte muss weiter verbessert werden, eine weitere Aufwertung ist notwendig.
  • Bachelorabschlüsse der Kindheitspädagogik müssen angemessen in der Entgeltordnung berücksichtigt werden.
  • Es ist zu prüfen, ob Leitungsfreistellungen tariflich geregelt werden können.
  • Es muss ein verbindlicher Fortbildungsanspruch tariflich geregelt werden.
  • Arbeitszeitregelungen sollten unter Arbeitsschutzgesichtspunkten modifiziert werden.
  • Wir brauchen neue Eingruppierungsmerkmale zum Beispiel für Fachberatungen.

Nach Auslaufen der bisherigen Tarifregelungen im TVöD können die Gewerkschaften im Sommer 2020 diese Punkte wieder zum Gegenstand von streikfähigen Forderungen machen.

Die Politik kann jedoch nicht einfach auf die Tarifparteien verweisen, zumal Bund, Länder und Kommunen zugleich Verhandlungspartner sind. Sie muss anerkennen, dass ein funktionsfähiges System der Frühkindlichen Bildung wesentlich mehr finanzielle Mittel erfordert. Mit 5,5 Milliarden Euro in der laufenden Legislaturperiode bis 2022 zusätzlich, wie im „Gute-Kita-Gesetz“ in Aussicht gestellt, ist es (siehe Bertelmann-Studie) bei weitem nicht getan. Auch GEW-Vorstandsmitglied für Jugendhilfe und Sozialarbeit, Björn Köhler, sagte: „Nach Expertenrechnungen sind jährlich zehn Milliarden Euro notwendig.“

Der quantitative und qualitative Ausbau der Kitas ist also eine große finanzielle Herausforderung. Wie soll das bewältigt werden und wo sollen zusätzlich die Mittel für die Gebührenfreiheit hergenommen werden?

Die Steuerschätzungen der letzten Jahre waren immer zu niedrig. Die öffentliche Hand erwirtschaftet de facto Milliardenüberschüsse. Die notwendigen Mittel stünden also zur Verfügung.

Sollten die Steuereinnahmen in den nächsten Jahren nicht mehr steigen oder gar sinken, ließen sich die notwendigen Mittel trotzdem durch eine angemessene Besteuerung zum Beispiel von großen Vermögen und Einkommen erwirtschaften. Die GEW hat in ihrem Steuerkonzept errechnet, dass zum Beispiel eine moderat höhere Besteuerung von Vermögen und Erbschaften im Jahr circa 26 Milliarden Mehreinnahmen generieren würde, also fast doppelt so viel wie benötigt. Zugleich würde ein gerechteres Steuersystem einen größeren Beitrag zur sozialen Gerechtigkeit leisten als gestaffelte Kita-Gebühren, zumal dadurch auch diejenigen zur Finanzierung beitragen würden, die keine Kinder zu finanzieren haben.

Investitionen in Bildung rechnen sich

Außerdem können notwendige Ausgaben durchaus auch sinnvoll über den Kapitalmarkt finanziert werden: „Kreditfinanzierte staatliche Investitionsprogramme können zur Sicherung der Generationengerechtigkeit beitragen, wenn sie Wachstumspotenziale stärken und die staatliche Schuldenquote langfristig senken.“ Eine neue Studie zeigt, dass zielgerichtete Investitionen in Infrastruktur, Hochschulen, Ganztagsschulen und Ganztagsbetreuung in Kitas die Generationengerechtigkeit verbessern. Investitionen in Schulen und Kitas erzielen dabei die höchste fiskalische Effizienz und verbessern zusätzlich die Verteilungsgerechtigkeit. (Krebs, Scheffel 2017)

Bessere Kita-Qualität und Beitragsfreiheit sind folglich zumindest mittelfristig finanzierbar. Dafür braucht es eine gesellschaftliche Übereinkunft über die Bedeutung der Frühkindlichen Bildung und den politischen Willen, dem Rechnung zu tragen. Die Politik ist für die notwendigen Rahmenbedingungen verantwortlich, und die Gewerkschaften müssen durch eine innovative Tarifpolitik vor allem sicherstellen, dass die Beschäftigten vor Überforderung geschützt und angemessen vergütet werden. Die Betroffenen müssen sich jedoch einmischen, und wenn nötig, an Streikmaßnahmen im Rahmen von Tarifverhandlungen beteiligen. Die Stärkung der Gewerkschaften durch eine Mitgliedschaft wäre schon einmal ein erster Schritt.

Literatur:

  • Bernd Rudow: Beruf Erzieherin/Erzieher – mehr als Spielen und Basteln. Arbeits- und organisationspsychologische Aspekte. 2017.
  • Bertelsmann-Stiftung: Mehr Kita-Qualität und Beitragsfreiheit kosten jährlich 15 Milliarden Euro. Umfrage. 28. Mai 2018.
  • Weiterbildungsinitiative Frühpädagogische Fachkräfte: Trotz starkem Ausbau: Kitas stehen vor Fachkräftemangel. Presseerklärung vom 25. April 2017.
  • Richtig gerechnet! Das Steuerkonzept der GEW. Aktualisierung und Neuberechnung. 2. Neuauflage März 2016.
  • Tom Krebs, Martin Scheffel: Öffentliche Investitionen als Garant der Generationengerechtigkeit. In: Wirtschaftsdienst 1/2017.
Kontakt
Heike Herrmann
Referentin für Jugendhilfe und Sozialarbeit
Telefon:  0711 21030-23