Zum Inhalt springen

Schulleitungstag der GEW

Gemeinsame Ziele – geteilte Verantwortung?

Wie Schulleitungen und Schulträger gut kooperieren können, stand im Mittelpunkt einer GEW-Fachtagung Mitte April in Stuttgart. Es zeigte sich, alle sind sich ihrer Verantwortung für eine bestmögliche Bildung bewusst, doch der Weg dahin ist strittig.

Kultusministerin Theresa Schopper machte – wie inzwischen bei GEW-Schulleitungstagen üblich – den Anfang. Die Trennschärfe zwischen den Schulträgeraufgaben und denen des Landes verschwimme, sagte sie, das sehe man bei der Digitalisierung und der Schulverwaltungsassistenz. Dort müssten Schulträger und Land ihre Zusammenarbeit ganz neu justieren. Als gelungenes Beispiel für die neue Zusammenarbeit nannte Schopper die 200 Millionen Euro, die das Land für Schulhausbau und Sanierung ausgegeben habe. Die Landesregierung sehe die gemeinsame Verantwortung und reagiere.

Bei der Wiedereinführung von G9 dürfe die Schulträgerseite auch nicht vernachlässigt werden. Die Räume aus G9-Zeiten seien längst umgenutzt worden und neue pädagogische Konzepte verlangten, vorhandene Schulbauten zu überprüfen. Dass G9 aufwachsend umgesetzt werden soll, verschaffe allerdings etwas Zeit.

Als wichtigstes Projekt bezeichnete Schopper die Sprachförderung. Die hohe Quote der Schülerinnen und Schüler, die in der IQB-Studie nicht den Mindest-, geschweige denn den Regelanforderungen genügen, sei nicht hinnehmbar. Schopper setzt dafür in der Kita mit alltagsintegrierenden Maßnahmen an. Sei die Schulreife vor der Einschulung nicht gegeben, möchte sie „Juniorklassen“ einrichten, die zusammen mit dem Startchancenprogramm Abhilfe schaffen könnten. „An der Zukunft unseres Landes zu bauen, ist das Wichtigste, und das eint uns“, schloss Schopper ihre Rede und meinte damit die Zusammenarbeit von Schulträgern und Land.

Die Fragen aus dem Publikum drehten sich zunächst um die Ganztagsschule. Zum einen wurde deutlich, dass die maximale Wahlfreiheit, wie sie sich der lauteste Teil der Elternlobby wünscht, klar zu Lasten der Rhythmisierung und Qualität im Ganztag geht. Zum anderen fehlt Personal im Ganztag. „Wir fischen alle im gleichen Teich“, sagte Schopper. Land und Kommunen konkurrierten um dieselben pädagogischen Mitarbeiter*innen. Sie zeigt sich aber in der Personalfrage wegen zusätzlicher Studienplätze und zurückgehender Kinderzahlen optimistisch.

Bei weiteren Nachfragen an die Ministerin ging es um eine Priorisierung der Fülle der Investitionsvorhaben. Dem entzog sich Schopper. Sie hält mehr Investitionen im Bildungsbereich für unumgänglich, „weil Kinder, die unter dem Mindeststandard lernen, keine Lobby haben.“ Alle Investitionsvorhaben lägen bei der Finanzkommission auf dem Tisch. Leider konnte Kultusministerin Schopper noch keine Ergebnisse verkünden.

Ein Kommentar von Ulrich Bürgy, GEW-Landespersonengruppe Schulleitungsmitglieder

Der Schulleitungstag 2024 zeigte, wie wenig faktenbasiert Bildungspolitik in Baden-Württemberg immer noch ist. Statt endlich ernsthaft die Entkopplung von Herkunft und Bildungschancen anzugehen, wird auf die lauteste Lobby gehört und ein G9 wiedereingerichtet. Mit Realschulen, Gemeinschaftsschulen und beruflichen Gymnasien gibt es längst einen 9-jährigen Weg zum Abitur. Eine Vielzahl von Unterrichtsprogrammen und -projekten für viel Geld kaschieren, dass es eine Analyse und Veränderung des Bildungssystems braucht, um endlich besser zu werden im internationalen Vergleich. Und schließlich: Was ist so schlecht an den Grundschulförderklassen, dass man die nicht weiterentwickeln kann, sondern gleich den neuen Namen „Juniorklassen” braucht?

Politik, die nicht versucht, das Notwendige zu erklären, um es dann umsetzen zu können, sondern dem Druck folgt, den eine gefühlte Mehrheit erzeugt, nennt man „populistisch”. Und oft genug ist die ­gefühlte Mehrheit gar nicht das, was sie vorgibt, sondern schlicht die lauteste Lobbygruppe. Ein großer Teil der Kinder im Land hat jedoch keine Lobby. Das sind die, deren Eltern eben nicht bei „G9-jetzt-bw” mitmachen. Solange G9 politisch umgesetzt werden kann, alle anderen Investitionsbedarfe der Bildungspolitik aber „auf dem Tisch der Finanzkommission” liegenbleiben, solange wird sich am schlechten PISA-Abschneiden Baden-Württembergs auch nichts ändern.

GEW-Landesvorsitzende Monika Stein konnte Schoppers Optimismus in der Personalfrage nicht teilen, da die ersten Absolvent*innen der neuen Studienplätze erst 2030 an den Schulen ankämen. Zudem sei eine jährliche Überprüfung der Geburtenzahlen notwendig, wolle man nicht erneut durch eine Kehrtwende der Zahlen beim Lehrkräftebedarf überrascht werden. Die Ressourcen der Grundschulen müssten dringend angepasst werden: sei es in der Erweiterung der Kooperation Kita-Grundschulen, in der Sprachförderung oder bei den Poolstunden, von denen die Grundschulen immer noch keine hätten.

Was lässt sich staatlich steuern?

Hauptreferent des Tages war Kai Maaz, Direktor der Abteilung „Struktur und Steuerung des Bildungswesens“ am Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation (DIPF) und zugleich Professor für Soziologie mit dem Schwerpunkt Bildungssysteme und Gesellschaft an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Er bezeichnete den Titel der Veranstaltung „gemeinsame Ziele – geteilte Verantwortung“ als gute Zielvorgabe der Bildungspolitik und referierte zum Abbau von Bildungsungleichheiten. Seiner Meinung nach wurde bislang viel zu wenig beachtet, dass die Entwicklung der Kinder je nach Bildungsniveau der Eltern bereits in den ersten Lebensmonaten auseinanderdividiere. Wolle man dem ernsthaft begegnen, müsse man bereits in den ersten Lebensmonaten der Kinder ansetzen und den Eltern Angebote machen.

„Es ist noch nie gut gegangen, auf Zukunftsanforderungen mit ­Antworten von gestern zu reagieren. Mit G9 wird Geld verbrannt.“ (Prof. Kai Maaz)

Die Herausforderungen für die Schulen seien lange bekannt, ebenso wie das konstant schlechte Abschneiden bei PISA – trotz wissenschaftlicher Expertise und sinnvoller Forderungen der Kultusministerkonferenz. Eine unübersichtliche Menge an Unterstützungssystemen und Programmen seien entstanden, ohne dass sie einer Steuerung unterlägen. Hier gebe es Verbesserungsmöglichkeiten durch intensives Bildungsmonitoring. Nach Maaz’ Ansicht legen Schulen zu viel Wert auf Unterrichtsentwicklung, statt die Schule als Ganzes in den Blick zu nehmen. Es brauche einen ressortübergreifenden Ansatz, der Schule systemisch und nicht Unterricht isoliert betrachte. Interventionen müssten frühzeitig und nachhaltig implementiert werden und Bildungswege flexibilisiert. „Schule muss Ziele haben, Zielerreichung überprüfen und gegebenenfalls Vorgehensweisen ändern – und das auf wissenschaftlicher Basis“, betonte der Bildungsforscher.

Perspektivwechsel hilft allen Seiten

Norbert Brugger, Dezernent beim Städtetag und dort für kommunale und bildungspolitische Themen zuständig, beobachtet, dass die Kooperation Schule-Schulträger normalerweise gut funktioniere. Der Normalfall werde aber nicht registriert, sondern vorrangig die Problemfälle gesehen. Grund für Konflikte sind seiner Meinung nach meistens finanzielle Fragen, unerfüllte Erwartungen und fehlende Fähigkeiten zum Perspektivwechsel. Verständnis könne man nur über Information erzeugen. Schulen sollten den Austausch suchen. Zu G9 sagte er: „Die Verengung der Diskussion auf G9 vernachlässigt die Auswirkungen auf die anderen Schularten.“

Bei der Podiumsdiskussion hob die Ravensburger Schulleiterin Roswitha Malewski hervor, wie wichtig eine Schulverwaltungsassistenz wäre, allein, um die Sprache der Schulträger sprechen und umgekehrt der Schule die Anliegen des Trägers verständlich machen zu können.

In der anschließenden Fragerunde mit dem Publikum wurde Bruggers Postulat von der grundsätzlich guten Zusammenarbeit zwischen Träger und Schulleitung infrage gestellt. Oft genug würden Schulen einfach resignieren, die trotz guter Argumente abschlägige Schulträgerentscheidungen hinnehmen müssten. Vor allem aber kam die Sprache auf G9, für das viel Geld in die Hand genommen würde, das anderen Schulen fehle. Brugger hob hervor, dass die als „Versuchsschulen“ aktuell weitergeführten G9-Standorte allesamt überbucht seien und dass dies zusammen mit einer intensiven Lobbyarbeit eine Rückkehr zum G9 unumgänglich gemacht habe – auch, wenn das massive Auswirkungen auf andere Schularten habe. Maaz findet die Rückkehr zu G9 unsinnig, wo es doch in Baden-Württemberg Gemeinschaftsschule gebe. „Es ist noch nie gut gegangen, auf Zukunftsanforderungen mit Antworten von gestern zu reagieren. Mit G9 wird Geld verbrannt.“ Hätte es eine konsequente Umsetzung des G8 gegeben, ohne die Weiterführung einiger G9-Versuchs-Standorte, hätte es die „Abstimmung mit den Füßen“ nicht gegeben. „Man muss Veränderungen entschieden umsetzen“, sagte der Wissenschaftler. G9 führe zu einer Austrocknung der Realschule. Dass zur Lösung des Problems die Grundschulempfehlung wieder verbindlich werden soll, bezeichnete Maaz als Bekämpfung des einen Übels mit einem anderen.

Kontakt
Maria Jeggle
Redakteurin b&w
Telefon:  0711 21030-36