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Referendariat und Vorbereitungsdienst

GEW kritisiert geplante Erhöhung der Unterrichtsverpflichtung

Das Land plant, die Unterrichtsverpflichtung im zweiten Ausbildungsabschnitt der Lehrkräftebildung zu erhöhen – und zwar auf Kosten von Ausbildungsinhalten. Die GEW-Landesfachgruppe Gymnasien fordert: Keine Zweckentfremdung des Referendariats!

Ein junger Lehrer unterstützt zwei Gymnasiastinnen im Unterricht.
Foto: © imago

Die Anzahl der jungen Kolleg*innen, die an einem der neun gymnasialen Ausbildungsseminare ihr Referendariat beginnen, sinkt seit Jahren. Dieses hat auch gravierende Auswirkungen auf die Lehrkräfteversorgung an unseren Gymnasien. Jetzt möchte das Kultusministerium offenbar gegensteuern, indem es kurzerhand die Unterrichtsverpflichtung im zweiten Ausbildungsabschnitt erhöhen will. Dafür sollen Ausbildungsinhalte gestrichen werden.

Wir von der GEW-Fachgruppe Gymnasien sagen: „Hände weg von der Ausbildung unserer jungen Kolleg*innen!“ Und: „Versorgt endlich unsere Schulen zumindest so bedarfsdeckend mit Lehrkräften, dass der Pflichtunterricht in allen Fächern auch in herausfordernden Situationen verlässlich gewährleistet werden kann!“

Die Vorgeschichte

Durch die Pandemie hat sich auch bei uns an den Gymnasien ein Trend verstärkt, der sich schon länger abzeichnete: Immer weniger junge Kolleg*innen beginnen in Baden-Württemberg ihren Vorbereitungsdienst für das höhere Lehramt an Gymnasien.

Allein innerhalb der letzten drei Jahre ist die Anzahl der gymnasialen Referendar*innen im landesweiten Schnitt um ein Viertel gesunken.
 
Die Gründe für die abnehmende Attraktivität des Referendariats reichen zum Teil Jahrzehnte zurück. Denn generell waren in der Vergangenheit junge Kolleg*innen in der Ausbildung ganz besonders von Einsparmaßnahmen betroffen, weil für sie noch keine Besitzstandswahrung gilt:

  • Die Bezüge im Vorbereitungsdienst waren vor über 20 Jahren drastisch gekürzt worden.
  • Der Vorbereitungsdienst wurde von 24 Monaten auf 1,5 Jahre verkürzt. Ein halbes Jahr der Ausbildung mit begleitetem Unterricht fiel weg, obwohl gerade diese Phase als Zeit zum Ausprobieren wichtig ist. Das neu eingeführte Praxissemester, in dem die Studierenden ihren Unterhalt auch noch selbst finanzieren müssen, konnte den mit dieser Kürzung einhergehenden Qualitätsverlust in der Ausbildung nicht einmal ansatzweise kompensieren. Die hilfreiche Trennung zwischen Beratung (im ersten Ausbildungsjahr) und Bewertung (im zweiten Jahr) durch den Wechsel der Ausbildungsschulen wurde aufgegeben.
  • Die Unterrichtsverpflichtung im zweiten Ausbildungsabschnitt wurde bereits von 9 bis 11 auf derzeit 10 bis 12  Stunden erhöht. Dabei wird dieser Rahmen zunehmend mit eigenverantwortlichem Unterricht abgedeckt. Für begleitete Lehraufträge, die auch im zweiten Ausbildungsabschnitt die wichtige Beratung durch erfahrene Fachkolleg*innen ermöglichen, bleibt fast keine Zeit. Schon jetzt beschränkt sich kaum eine Schule auf den Mindestumfang von neun Wochenstunden bei der Vergabe der kontinuierlichen Lehraufträge.
  • Hinzu traten Verschlechterungen bei den Beihilfebemessungssätzen sowie Nachteile im Reisekostenrecht und bei der Eingangsbesoldung in den ersten Dienstjahren. Wenigstens in diesen Bereichen wurden (nicht zuletzt dank der langjährigen Intervention vieler Gewerkschaftskolleg*innen und des GEW-Rechtsschutzes) in jüngster Zeit substantielle Korrekturen vorgenommen, beziehungsweise sind in Planung.
  • Und dann kam auch noch die Pandemie, die seit März 2020 für die Kolleg*innen im Vorbereitungsdienst zu zahlreichen substantiellen Zusatzbelastungen bei der Ausbildung und den abschließenden Prüfungen geführt hat.

Diese langjährige Verschlechterung der Ausbildungsqualität bei gleichzeitiger zeitlicher Verdichtung hat den Druck auf die jungen Kolleg*innen im Vorbereitungsdienst dramatisch erhöht und lässt inzwischen viele an einer Perspektive im Schuldienst zweifeln.

Auswirkung auf die Schulen

Mit ihrem kontinuierlichen Unterricht im zweiten Ausbildungsabschnitt leisten die Kolleg*innen im  Vorbereitungsdienst einen wertvollen und oftmals auch besonders innovativen Beitrag zur Unterrichtsversorgung an ihren Ausbildungsschulen.

Im neuen Ausbildungskurs 2022/2023 haben landesweit insgesamt fast 230 junge Kolleg*innen weniger als im Vorjahr ihren Vorbereitungsdienst aufgenommen. Dieser Einbruch führt dazu, dass den Ausbildungsschulen im kommenden  Schuljahr 2022/2023 (allein im Vergleich zum laufenden Schuljahr) circa 230 mal elf Wochenstunden bei der Unterrichtsversorgung fehlen, das entspricht landesweit einem Umfang von 100 vollen Deputaten!

Nein zu weiteren Verschlechterungen

Auf die ersten Signale, dass von Seiten des Kultusministeriums geplant wird, die Unterrichtsverpflichtung im zweiten Ausbildungsabschnitt weiter zu erhöhen, und zwar auf Kosten von Ausbildungsinhalten, hat die GEW Baden-Württemberg sofort reagiert: „Alle Expert*innen der Lehrkräftebildung sind sich einig, dass die Qualität in der Ausbildung aufgrund des großen Drucks, unter dem die angehenden Lehrer*innen arbeiten müssen, leidet. Die Verlängerung des Referendariats auf 24 Monate und eine Senkung der Unterrichtsverpflichtung sind einige Vorschläge, die dazu beitragen würden, dass die jungen pädagogischen Profis besser auf die immer herausforderndere Arbeiten in den Klassenzimmern vorbereiten würden“, sagte die GEW-Landesvorsitzende Monika Stein am 28. April.

Wir von der Fachgruppe Gymnasien schließen uns diesem Votum an und sagen „Nein!“ zu einem weiteren Rückbau der Ausbildungsqualität. Es gibt keine überflüssigen Inhalte, die sich kürzen ließen.

Das Referendariat ist der zweite Ausbildungsabschnitt der Lehrkräftebildung und darf nicht zur Deckung des Unterrichtsbedarfs an den Schulen zweckentfremdet werden. Die Schulen brauchen eine bedarfsgerechte Lehrkräfteversorgung, die auch dann tragfähig ist, wenn weniger Referendar*innen zur Verfügung stehen. Und nur deren qualitätvolle Ausbildung kann später an den Schulen in Form von gutem Unterricht eine nachhaltige Wirkung entfalten.

Wir sagen „Hände weg!“ von einer weiteren Belastung der jungen Kolleg*innen in der Ausbildung. Eine Stunde mehr an selbstständigem Unterricht bedeutet für viele Referendar*innen einen zusätzlichen Lehrauftrag, das heißt die kontinuierliche Übernahme des Unterrichts in einer weiteren Klasse, inklusive Beratungen, Korrekturen und so weiter. Da kommen dann schnell fünf zusätzliche Arbeitsstunden pro Woche zusammen. Das ist so nicht zumutbar! Denn schon jetzt stehen die jungen Kolleg*innen unter extremem Leistungsdruck; und pandemiebedingt haben sich für viele die psychischen und somatischen Belastungen drastisch verstärkt. Immer mehr Kolleg*innen brechen ihr Referendariat ab oder treten ihren Ausbildungsplatz gar nicht erst an.

Die zukünftigen Referendar*innen brauchen schon jetzt unsere Unterstützung!

Kontakt
Barbara Becker
Vorsitzende Fachgruppe Gymnasien
Adresse Vogt-Kistner-Str. 1
77815 Bühl
Privat:  07223 800 04 09
Kontakt
Markus Riese
Vorsitzender Fachgruppe Gymnasien