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Größte Demonstration der GEW Baden-Württemberg

Mit dem Haushaltsplan für 1975/76 wurden Lehrerarbeitslosigkeit und Kurzarbeit für Lehrkräfte Realität. Daraufhin kam es zur größten GEW-Demo aller Zeiten kam. Ein Rückblick.

Nach den Plänen der Landesregierung sollte es zum Schuljahresbeginn 1977/78 rund 1.000 arbeitslose und 7.280 kurzarbeitende Lehrer/innen geben. Für die GEW war das eine neue Situation. Die geforderte Einstellung aller Lehrer/innen schien illusorisch zu werden. Nachdem die Kapazitäten vor allem der Pädagogischen Hochschulen ausgeweitet worden waren und es allein 1976 rund 4.000 Absolvent/innen gab – Späth sprach von „Angebotsüberhang“ – war die Dringlichkeit begleitender GEW-Forderungen bereits erkannt worden: Arbeitszeitverkürzung und kleinere Klassen. Die Forderungen lauteten: Schluss mit dem Lehrermangel – 25 Kinder in der Klasse sind genug – Jedem Kind den vollen Unterricht – Deshalb alle Lehrer einstellen.

Ab 1976 wurde mit den unterschiedlichsten Methoden und Formen gegen die Nichteinstellung von Lehrern und für Arbeitszeitverkürzung protestiert: Resolutionen, Unterschriftensammlungen, Zeitungsanzeigen, Infostände, lokale Kundgebungen, Solidaritätsfeste. Es war abzusehen, dass so nur noch wenig zu erreichen war. Die Fachgruppenversammlung Gymnasien hatte bereits im Dezember 1975 einen Antrag auf Durchführung einer zentralen Kundgebung gegen Lehrerarbeitslosigkeit gestellt, die am 21. Juni 1976 stattfand. Die etwa 5.000 Teilnehmer/innen forderten dabei die Rücknahme der Teilzeitarbeitsverträge für Junglehrer/innen und die volle Übernahme aller Lehrer/innen in den Schuldienst. Ein kleiner Erfolg: Die Teilzeitverträge wurden von 13 bzw. 16 auf 17 Stunden erhöht.

Die Fachgruppe Gymnasien beantragte kurz darauf beim Geschäftsführenden Vorstand (GV), vor der Beratung des Doppelhaushaltes 1977/78 eine zentrale Demonstration durchzuführen. Im GV unterstützte vor allem Siegfried Stegmaier (Landesschatzmeister von 1974 bis 2000) diesen Antrag, der so eine Mehrheit fand. Er sollte an den Landesvorstand (LV) weitergereicht werden. Der damalige Geschäftsführer Hubert Schuler, der die Mehrheitsverhältnisse der GEW sehr gut kannte, schlug dafür als (neues) Entscheidungsgremium eine Funktionärskonferenz vor. Dabei sollte der LV um weitere „Funktionäre“ (Ortsverbandsvorsitzende, Vertreter der Hochschulregionen und der Studierendengruppen) erweitert werden.

Studierende ins Boot holen
Da die Mobilisierungsfähigkeit der GEW – 5.000 kamen zur obengenannten Kundgebung – realistisch eingeschätzt wurde, sollte versucht werden, auch die Studierenden ins Boot zu holen. Dabei ging es nicht nur darum, die Demo zu stärken, sondern auch das gemeinsame Interesse an der Bildung zu dokumentieren und dafür zu sorgen, dass dies öffentlich wird. Ein schwieriges Unterfangen.
Ab 1975 gab es eine starke Mobilisierung an Unis und Pädagogischen Hochschulen. 1975 wurde der Numerus Clausus auf die Pädagogischen Hochschulen ausgedehnt; eine neue Prüfungsordnung und die Regelstudienzeit wurden eingeführt. Es drohte ein massiver Stellenabbau an Unis und PHs. Die Studienplatzkapazität der PHs sollte bis 1978 von 21.000 auf 17.000 und danach noch weiter heruntergefahren, eine oder zwei PHs sollten ganz dicht gemacht werden. Durch das Landeshochschulgesetz drohte neben gravierenden Verschlechterungen auch die Abschaffung der verfassten Studentenschaft. Es gab aber (noch) ASten und die LandesAStenkonferenz (LAK).
Wie in anderen Bundsländern hatten nach der Selbstauflösung des Sozialistischen Deutsche Studentenbunds (SDS) in den 1970er-Jahren verschiedene linke Gruppen die Führung des Verbandes Deutscher Studentenschaften (VDS, ab 1975: Vereinigte Deutsche Studentenschaften), übernommen. In Baden-Württemberg gab es neben DKP-, FDP- und SPD-nahen Hochschulgruppen vor allem die Basisgruppen, deren Einfluss ständig wuchs. „Harlekine der akademischen Jugend von heute, radikal, anarchistisch und destruktiv“ nannte sie der Politikwissenschaftler Kurt Sontheimer.

Die GEW-Funktionärskonferenz fand am 11. Januar 1977 in Kornwestheim statt. Gleichzeitig tagte dort die LAK. Klaus Philippscheck (Vorsitzender KV Böblingen) und Volker Mall (FG Hochschule) pendelten als Emissäre zwischen GEW und LAK. Dort war Albrecht „Ali“ Schmeißner (Uni Tübingen, Geschäftsführer des Studentenwerks e.V. Tübingen, später im VDS-Vorstand) als wortgewaltiger Vertreter der Basisgruppen strikt dagegen, mit der „reaktionären“ GEW zu kooperieren. Trotzdem waren schließlich zwei Drittel der Studierendenvertreter/innen für eine gemeinsame Demo; die Basisgruppen meldeten ihre eigene Demo im Januar an; revidierten aber später diesen Beschluss. Bei der GEW gab es danach (mit 55:53) eine knappe Mehrheit.
Die GEW-Geschäftstelle und Hubert Schuler erwarteten nun enorme logistische Aufgaben und Herausforderungen: Mobilisierung der Kreise, 15.000 Flugblätter, Transparente, Rekrutierung der Ordnerdienste usw. Hubert Schuler verpflichtete Norbert Füssinger, den stellvertretenden Vorsitzenden des KV Böblingen zum Koordinator der Demo.

Schließlich zogen am 4. Februar 1977 25.000 Lehrer/innen, Erzieherinnen und Wissenschaftler/innen, Studierende, Eltern und Schüler/innen in einem knapp fünf Kilometer langen Demonstrationszug vom Marienplatz aus durch die Stuttgarter Innenstadt. Das war nach der Demo der Metallarbeiter 1971 die größte Demonstration der Nachkriegsgeschichte. Hauptredner bei der abschließenden Kundgebung auf dem Schillerplatz war Siegfried Vergin. Daneben sprachen der Bundesjugendsekretär der IG Metall, Bernd Wurl und Ulrich Tost für die LAK.

Vergin verlangte die „uneingeschränkte Verwirklichung des verfassungsmäßig niedergelegten Rechts auf Bildung und Chancengleichheit“, warnte vor einem Abbau der Ausbildungskapazitäten, forderte die Einstellung aller notwendigen Lehrkräfte und die Senkung der Klassenstärken auf höchstens 25. Neben Beifall erntete er dabei auch Pfiffe vor allem von den K-Grüpplern und den Spontis. Allerdings gab es auch Kritik aus den eigenen Reihen: Seine Rede sei zu lang und wenig konkret gewesen.
Die an die Landtagsabgeordneten gerichteten Parolen auf den Flugblättern waren: „Lassen Sie die Finger von den Ausbildungskapazitäten!“, „Machen Sie endlich Schluß mit dem Lehrermangel!“, „Stellen Sie alle Lehrer ein, damit alle Kinder den vollen Unterricht erhalten!“, „Schaffen Sie Ausbildungs- und Arbeitsplätze für die junge Generation!“
Insgesamt wurden danach bis 1980 3.900 zusätzliche Stellen geschaffen. Es gab die Zusage, künftig alle Anwärter/innen nach der Zweiten Lehramtsprüfung und nach einer Beschäftigung im Angestelltenverhältnis mit einem Dreiviertel-Lehrauftrag in das Beamtenverhältnis zu übernehmen.
Es gab in der Folge eine ganze Reihe von Kundgebungen und Demonstrationen mit mehr oder weniger „messbarem“ Erfolg, und die Mobilisierung war nicht immer einfach.
In den 1980er Jahren folgten dann erhebliche Kontroversen über „weitergehende Kampfmaßnahmen“: Die Diskussion „Streik ja oder nein“ war vor allem 1987/88 nach dem sogenannten Ferienbetrug der CDU/SPD-Regierung besonders heftig. Ebenfalls umstritten waren damals der „Dienst nach Vorschrift“ bzw. die Aktion „Konzentration auf das Kerngeschäft“.

Es ist sicher gelungen, die GEW bis zu einem gewissen Grad kampfstärker zu machen, damit allerdings – und das ist das Dilemma - nicht unbedingt erfolgreicher. Der Rückblick auf die letzten 40 Jahre zeigt, dass nur wirksamere Kampfmaßnahmen (vielleicht) weiterhelfen würden. Es ist deshalb dringend nötig, das Streikrecht wieder ins öffentliche Gespräch und in die GEW-Diskussion zu bringen.
Solange allerdings neoliberale Politik auf Privatisierung, Deregulierung, Senkung der Staatsquote und auf Sparhaushalte setzt, ohne eine umverteilende Steuerreform (z.B. eine „echte“ Reform der Erbschafts- und Vermögenssteuer und entschlossene Bekämpfung der Steuerflucht) anzugehen, solange sich der Stellenwert der Bildung nicht verbessert, wird es – mit oder ohne Streikrecht –  schwer sein, bildungspolitisch auch nur den Status Quo zu  erhalten.