Lernbrücken 2021
Großer Aufwand, geringe Wirkung!?
Mit drei Stunden Förderunterricht am Vormittag sollen Lernlücken in den letzten zwei Wochen vor dem neuen Schuljahr aufgearbeitet werden. Der Gewinn für die Schüler*innen ist fraglich, der organisatorische Aufwand für die Schulen dagegen groß.
„Der Zeitplan ist eine Frechheit“, empört sich Michael Hirn, Leiter eines SBBZ in Stuttgart, als er am 10. Juni morgens sein Postfach öffnet und das Konzept „Lernbrücken in den Sommerferien 2021" des Kultusministeriums (KM) vorfindet. Und mit diesem Ärger ist er nicht allein. Quer durchs Land sollten die Schulleitungen mit ihrem Kollegium innerhalb von acht Tagen Schüler*innen mit Lerndefiziten feststellen und für das Förderprogramm empfehlen. Eine weitere Woche hatten die Eltern Zeit, ihre Kinder verbindlich anzumelden. Ob für die Förderung auch Personal gewonnen werden könnte, stand zu diesem Zeitpunkt noch nicht fest. „Diese vorgegebene Zeitschiene ist kaum machbar“, sagt Hirn. Das ist für die Schulleitungen und Kollegien umso ärgerlicher, weil das Kultusministerium bereits im vergangenen September davon gesprochen hatte, die Lernbrücken zu verstetigen.
Jetzt sind Monate Planungszeit verstrichen und trotzdem müssen die Schulen die Lernbrücken in kürzester Zeit organisieren. „Häufiger stattfinden, zur Gewohnheit werden lassen“ schlägt das Internet vor, sucht man nach der Bedeutung von „verstetigen“. Nach Auffassung der befragten Schulleitungen hat das Lern- und Förderkonzept selbst erhebliche Lücken und führt gleichzeitig zu zusätzlicher Belastung der Schulen. Das darf auf keinen Fall zur Gewohnheit werden. Die Kritikpunkte hat die GEW bereits im letzten Jahr benannt. Verbessert hat sich daran bisher nichts.
Konzept wenig überzeugend
Elke Imbery leitet die Tullagrundschule in Karlsruhe und ist für 220 Schüler*innen verantwortlich. Vom Konzept der Lernbrücken ist auch sie nicht überzeugt. Bei einer Gruppengröße von maximal 16 Schüler*innen von Klasse 1 bis 4 mit den unterschiedlichsten Lernrückständen – die womöglich noch aus mehreren Schulen kommen – ein sinnvolles Angebot zu machen, hält sie für nicht machbar: „Man müsste ein wahres Differenzierungsgenie sein, um die wilde Mischung gezielt zu fördern.“
Ulrich Bürgy, Leiter der Grundschule Bad Rappenau, kritisiert das Konzept grundsätzlich: „Die Lernbrücken entsprechen einer materialen Bildungstheorie aus dem 19. Jahrhundert.“ Dieser Ansatz geht davon aus, dass bestimmte Lerninhalte so wertvoll sind, dass sie von den Schüler*innen gelernt werden sollen oder müssen. „Der einzige Gewinn der Lernbrücken ist die gute Presse, die das Kultusministerium sich davon erhofft“, ist er sich sicher. „Eine Lern- und Förderbegleitung parallel zum laufenden Unterricht in Absprache mit der unterrichtenden Lehrkraft und verzahnt mit den Angeboten der Schule ist gewinnbringender und nachhaltiger“, unterstützt ihn sein Kollege Johannes Hermann, Schulleiter der Grundschule Muggensturm.
Nach der Konzeption des KM sollen die Angebote der Lernbrücken möglichst von schuleigenen Lehrkräften durchgeführt werden; der Einsatz erfolgt auf freiwilliger Basis. Fragt man allerdings in den Schulen nach, so ist die Bereitschaft der Lehrkräfte gering bis gar nicht vorhanden. „Die Lehrkräfte sind erschöpft von diesem Schuljahr, müssen sich regenerieren und am Ende der Ferien das kommende Schuljahr vorbereiten“, weiß Elke Imbery.
An den Schulleitungen bleibt die Organisation hängen
Neben den schuleigenen Lehrkräften schlägt das KM einen bunten Strauß an schulfremden Lehrpersonen vor. Lehrkräfte, die nicht voll ausgebildet sind, Pädagogische Assistent*innen, Teach First Fellows, Lehramtsanwärter*innen und Referendar*innen, Studierende, Lehramtsbewerber*innen und Vertretungslehrkräfte sind Ziel der Personalgewinnung. Diese schulfremden Lehrpersonen werden hauptsächlich die komplexe Aufgabe in den Schulen stemmen müssen, ist sich Elke Imbery sicher. Wie und von wem das Personal aber genau gewonnen werden soll, lässt das Schreiben des KM an die Schulen offen.
Den Schulleitungen ist nur klar: An ihnen bleibt die Organisation vor Ort hängen. Verena König, Schulleiterin eines Stuttgarter Gymnasiums zählt auf, was da alles auf sie zukam und noch zukommt: Die Eltern und Kolleg*innen mussten informiert und in die Planung einbezogen werden. Mit dem Schulträger gilt es Fragen des Raumangebots, der Einsatz des Reinigungspersonals und des Hausmeisters zu klären. Auch die Schülerbeförderung muss mit dem Schulträger geregelt werden, wofür aber nicht jeder Träger bereit ist. Wenn keine oder kaum schuleigene Lehrkräfte vor Ort sein werden, bedeutet das quasi Präsenzpflicht für Schulleitungen. Sie haben schließlich die Verantwortung übertragen bekommen. Da klingt es fast schon zynisch, wenn das KM im Konzept schreibt: „Eine tägliche Anwesenheit der Schulleitung ist nicht erforderlich.“ Falls die wenigen Lehrkräfte ihre Schulleitungen dann doch bei der Organisation unterstützen wollen, tun sie dies für Gotteslohn. Nur die eigentlichen Förderstunden werden honoriert.
Die Zeitschiene des KM sieht vor, dass bis zwei Tage vor den Sommerferien alle Lehrpersonen ihren Einsatz bei den Lernbrücken kennen. Damit nehmen sie die Aufgabe der Vorbereitung mit in die Ferien. Ob diesmal das versprochene Material rechtzeitig bis September bei den Schulen ankommt, bleibt abzuwarten. Im letzten Jahr hatten viele Schulen gar kein Material beziehungsweise leere Ordner erhalten. Hier muss nun das ZSL beweisen, ob es wie angekündigt spezifische Angebote und Materialen für den Einsatz in den Fördergruppen liefern kann.
Bis zum ersten Schritt auf die Lernbrücke ist es nicht mehr lang. Aber schon jetzt zeigt sich aus den Rückmeldungen, dass die Akzeptanz der „Lernbrücken 2021“ auffallend gering ist.