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Fachkräftemangel in Kitas

Gute Kitas haben ihren Preis

Kindertageseinrichtungen stehen vor großen Herausforderungen und besorgniserregenden Entwicklungen. Das System ist hochgradig unterfinanziert. Nur wenn wesentlich mehr Geld in die Hand genommen wird, kann der Bildungsauftrag umgesetzt werden.

Foto: GEW / Shutterstock
Foto: GEW / Shutterstock

In der letzten Legislaturperiode hat der Bund das sogenannte „Gute-Kita-Gesetz“ verabschiedet und für die Bundesländer insgesamt 5,5 Milliarden Euro bereitgestellt. Ziel ist, die Qualität in den Kitas weiterzuentwickeln, für gleichwertigere Lebensverhältnisse beim Aufwachsen von Kindern zu sorgen und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu gewährleisten. Baden-Württemberg hat seinen Anteil von 729,5 Millionen hauptsächlich in die Stärkung der Kita-Leitungen, die Gewinnung und Sicherung qualifizierter Fachkräfte und die Stärkung der Kindertagespflege investiert.

Die Bundesförderung ist bis Ende 2022 befristet. Das Gute-Kita-Gesetz soll reformiert werden. Für 2023 und 2024 stellt der Bund den Ländern jeweils zwei Milliarden Euro bereit. Die GEW fordert seit langem ein Bundeskitaqualitätsgesetz, das eine dauerhafte und verbindliche Finanzierung durch den Bund vorsieht.

Mit den Bundesmitteln hat das Land Baden-Württemberg seine Investitionen in die Kindertagesstätten in den letzten zwölf Jahren erheblich gesteigert. Die Förderung über den kommunalen Finanzausgleich stieg von 386,367 Millionen in 2009 auf 895,525 Millionen Euro in 2021.

Viele neue Kitaplätze entstanden

Nachdem seit 2013 der Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz für Kinder ab dem ersten Lebensjahr gilt, wurden die Krippenplätze stark ausgebaut. Waren 2010 knapp 44.000 Kinder unter drei Jahren in einer Kindertageseinrichtung, stieg die Zahl bis 2020 auf mehr als 83.000. Und der Bedarf an Plätzen steigt weiter. Die pädagogische Arbeit in den Krippen verlangt ein Vielfaches mehr an pädagogischen Fachpersonen und ist dementsprechend kostenintensiv. Hinzu kam die Ausweitung der Kitaplätze für die Drei- bis Sechsjährigen von rund 270.000 Kinder 2010 auf etwa 300.000 Kinder 2020. Die Investitionsentwicklungen sind angesichts des Ausbaus nachvollziehbar.

Trotz erheblicher Anstrengungen beim quantitativen Ausbau sind regional die Wartelisten auf einen Kitaplatz lang und die Geduld vieler Eltern wird auf eine harte Probe gestellt. Schnell wird nach noch mehr Plätzen gerufen, oft ungeachtet der qualitativen Entwicklung. Die Einrichtungen können jedoch nicht einfach nur wachsen. Sie brauchen dazu mehr Fachpersonal, die Teams müssen die Veränderungen gut bewältigen und die Qualität ihrer Kitas im Blick behalten. Kitas haben aus guten Gründen einen Bildungsauftrag, sie leisten also weit mehr, als Kinder zu betreuen beziehungsweise die Aufsicht der Kinder zu garantieren. Mit den Bildungs- und Orientierungsplänen wird ein dreifacher Auftrag verpflichtend: Bildung, Erziehung und Betreuung ist sicherzustellen.

Ein weiterer Anspruch ist, dass mehr Forschungsergebnisse und wissenschaftliche Erkenntnisse in der Praxis vor Ort in pädagogisches Handeln umgesetzt werden. Konzepte aus der Arbeit mit Drei- bis Sechsjährigen können nicht ohne Weiteres in die Arbeit mit ­Kindern unter drei Jahren übertragen werden. Dazu brauchen Kita-Teams neben einer qualifizierten Kita-Leitung einen Zugang zu Fachberatung und Prozessbegleitung und ausreichend Zeit, sich fortzubilden und weiterzuentwickeln. Wegen des hohen Fachkräftemangels fehlt überall die Zeit dafür.

Bereits 2017 hat die GEW in einer Landespressekonferenz auf den Mangel an Fachkräfte hingewiesen und effektive Maßnahmen zur Beseitigung gefordert. Prognosen des Kommunalverbands für Jugend und Soziales Baden-Württemberg (KVJS) und des Deutschen Jugendinstituts gehen für Baden-Württemberg von einem zusätzlichen Bedarf von etwa 40.000 Fachkräften bis 2025 aus. Der Ausgleich der Leitungszeit und das Personal für die Bildung, Erziehung und Betreuung der Schulkinder sind dabei nicht eingerechnet. Allein über 15.000 Fachstellen müssen ersetzt werden, weil Kolleg*innen in den Ruhestand gehen.

Schon vor der Pandemie Ende 2019 hatte der GEW-Fachtag „Kitas unter Druck“ gezeigt, dass ganz dringend die Rahmenbedingungen in den Kitas verbessert werden müssten (Reduzierung der Kinderanzahl je Gruppe, ausreichende Zeiten für die Vor- und Nachbereitung der pädagogischen Arbeit, Zeiten für Fortbildungen und Beratung). Außerdem wären zur Sicherung des Personalbestands bedeutend größere Anstrengung zur Gewinnung von qualifizierten Fachkräften notwendig. Ein weiteres Fazit des Fachtags war, das Arbeitsfeld Kita müsse attraktiver sein, sonst wandern Mitarbeitende bereits nach wenigen Jahren ab und Zugewinne durch neue gestalten sich immer schwieriger.

Mit der Pandemie hat sich die Situation in den Kitas weiter verschärft. Öffnungszeiten müssen verkürzt werden, obwohl mit einer landesweiten Corona-Kita-Verordnung Ausnahmeregelungen ermöglicht wurden. So ist die Unterschreitung des Mindestpersonalschlüssels um 20 Prozent erlaubt, die Gruppe kann um zwei weitere Kinder aufgestockt werden und statt Fachkräften können „geeignete Personen“ eingestellt werden. Das ­Kultusministerium verfügte, dass diese Maßnahmen mit Auslaufen der Corona-Verordnung nicht beendet, sondern bis Ende August 2022 beibehalten werden. Der Gemeinde- und Städtetag ringen um solche flexibleren Steuerungsinstrumente, um den Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz umzusetzen. Die GEW hält dagegen, weil sich dadurch die Arbeitsbedingungen verschlechtern und das Personal dauerhaft zu sehr belastet wird. Unter diesen Voraussetzungen verliert der Arbeitsplatz Kita weiterhin an Attraktivität.

Doch wie geht man mit dieser ­akuten Mangelsituation um? Wie können Lösungen aussehen? Im November 2021 hat das Kultusministerium eine „Gemeinsame Initiative zur Personalentwicklung Frühkindliche Bildung“ gestartet. Vertreter*innen der Kommunalen Spitzenverbände, Kita-Verbände und Träger, Elternvertretungen und Gewerkschaften, der Bundesagentur für Arbeit, des KVJS und der Willkommens-Center erörtern derzeit in sechs Arbeitsgruppen, welche Ziele und Maßnahmen geeignet sind, um die sehr angespannte Personalsituation in den Kitas zu beheben. Der Fokus der Gespräche liegt auf den kurz- und langfristigen Strategien zur Gewinnung von Fachpersonal und auf Maßnahmen, vorhandenes Personal in den Kitas zu halten.

Was zur Gewinnung von Fachkräften beitragen kann

Aus gewerkschaftlicher Sicht ist die Initiative zu begrüßen, da es die gemeinschaftliche Verantwortung aller am Kitasystem Beteiligter braucht, um die großen Herausforderungen zu bewältigen. Unterschiedliche Perspektiven fließen ein und Ziel ist es, tragfähige Kompromisse zu finden. Vor allem aber braucht es jetzt schnelle und konsequente Entscheidungen der politisch Verantwortlichen auf Bundes- und Landesebene, das System der Kindertageseinrichtungen ausreichend zu finanzieren. Alle Ideen zu Maßnahmen können nur Wirkung entfalten, wenn sie auch finanziell abgesichert sind.

Vertreter*innen der GEW machen explizit darauf aufmerksam, dass die Ausbildungsoffensive für Erzieher*innen in ihren praxisintegrierten und fachschulischen Formen weiter und zügig ausgebaut wird, ohne das derzeitige Fachschulniveau zu unterlaufen.

Programme für einen Direkteinstieg müssen tätigkeitsbegleitende Qualifikationen enthalten und mindestens einen Abschluss zur sozialpädagogischen Assis­tenz erreichen. Die Durchlässigkeit zum Abschluss Erzie­her*in ist damit gewährleistet.

Sogenannte „geeignete Personen“, nicht ausgebildetes Personal oder Mitarbeiten­de mit einer verkürzten Ausbildung müssen die Möglichkeit auf (Weiter-)Qualifikation erhalten. Um ihre Freistellung sicherzustellen, müssen die Qualifizierungsmaßnahmen für die Träger refinanziert werden.

Der Anteil der Personen ohne Fachschulabschluss darf 30 Prozent des Personalbestands einer Einrichtung nicht überschreiten. Für Personen, die sich tätigkeitsbegleitend weiterqualifizieren, brauchen Kitas mehr Personalstunden zur kollegialen Anleitung, Beratung und Praxisbegleitung. Für Fachkräfte mit Anleitungs-Aufgaben ist eine zeitliche Freistellung und eine finanzielle Aufwertung für diese Arbeit notwendig.

Als GEW machen wir immer wieder darauf aufmerksam, dass die Absol­vent*­innen der Studiengänge Kind­heits­­pädagogik eine ernstzunehmende Zielgruppe zur Gewinnung von qualifizierten Fachpersonen sind. Deshalb sollten die Studienkapazitäten an den Pädagogischen und Dualen Hochschulen ausgebaut und Funktionsstellen und Maßnahmen geschaffen werden, um die Kindheitspädagog*innen in den Kitas zu halten. Eine ausbildungs- und tätigkeitsadäquate tarifliche Bezahlung spielt dabei selbstverständlich eine wichtige Rolle. Besondere Arbeitsfelder können Sprachbildung, Inklusion, Entwicklungsberatung, Elternberatung und Elternbildung sein.

Mit dem Blick auf den Sozialraum und analog zu den Schulen kann auch die Idee der Kita-Sozialarbeit weitergedacht und inhaltlich gefüllt werden. Daraus wachsen zunehmend multiprofessionelle Teams mit einem weiten Blick auf frühkindliche Bildung, Entwicklungsförderung, Unterstützung und Zusammenarbeit mit Familien, welche die Chancen für eine gerechte Bildungsteilhabe aller Kinder vergrößern.

Pädagogisch qualifizierte Mitarbeitende sollen sich prioritär ihrem Bildungsauftrag widmen können und die pädagogische Arbeit mit den Kindern umsetzen. Um sie von allen anderen Arbeiten zu entlasten, brauchen sie konsequente Unterstützung von weiteren Personen für hauswirtschaftliche Tätigkeiten.

Leitungspersonen sollten im Sinne der pädagogischen Führung hauptsächlich leiten und von unübersichtlich vielen Verwaltungsaufgaben befreit werden. Insbe­sondere in großen Kindertageseinrichtungen sollten Arbeitsplätze für Verwaltungskräfte geschaffen werden. Als Zeit für Leitungsaufgaben sind 25 Prozent einer Vollzeitstelle pro Gruppe gerade angemessen.

Außerdem brauchen die Teams fachliche Beratung und Prozessbegleitung. Ein System für Fachberatung ist flächendeckend und trägerübergreifend auszubauen und sicherzustellen.

All diese Maßnahmen erfordern eine ausreichende und dauerhafte Finanzierung. Nur so kann die Garantie für Bildung, Erziehung und Betreuung in den Einrichtungen der frühkindlichen Bildung gewährleistet und dem Fachkräftemangel begegnet werden.

Wo die GEW eine starke Rolle spielt

Die GEW setzt sich im Rahmen von Tarif­auseinandersetzungen für die qualitative Weiterentwicklung der Frühkindlichen Bildung und bessere Rahmenbedingungen in Kindertageseinrichtungen ein. Über die Tarifarbeit hinaus nehmen wir auch Einfluss auf fachpolitische Entwicklungen in Bund und Land.

Die finanziellen und rechtlichen Entscheidungen für die Kindertageseinrichtungen in Baden-Württemberg werden von der Landespolitik verantwortet. Die Landesregierung ordnet in Absprache mit den kommunalen Landesverbänden beispielsweise an, mit welchen personellen und räumlichen Mindeststandards die Kitas ausgestattet sein müssen, wie viel Zeit die Träger für pädagogische Leitungsaufgaben abrechnen können, wer als Fachkraft gilt und auf den Personalschlüssel angerechnet werden kann und wie viel Verfügungszeit eingeräumt werden muss. Im Landeshaushalt wird neben der Beteiligung an den Betriebskosten auch verfügt, welche Programme und Projekte in welcher Höhe finanziert werden, zum Beispiel zur Sprachbildung und Sprachförderung. Fragen zur Ausbildung und zum Studium entscheidet ebenfalls das Land.

Der KVJS erteilt den Einrichtungen ihre Betriebserlaubnis auf Grundlage der Kita-Verordnung, welche das Land festlegt. Er muss darauf achten, dass die Regelungen eingehalten werden.

Du bist Leiterin einer großen Kita in Karlsruhe. Wie läuft es bei euch?

Katrin Schmidt-Sailer: Wir möchten für unsere Kinder da sein, sind aber völlig platt und frustriert. Wir sind müde vom Kämpfen und bekommen nicht, was wir brauchen.

Kannst du ein Beispiel nennen?

Schmidt-Sailer: Wir sollten als Familienzentrum inklusive Strukturen bieten, sind aber heillos unterbesetzt. Wenn Kinder bei uns angemeldet werden und sich Entwicklungsstörungen herausstellen, dauert es aufgrund des Diagnoseverfahrens bis zu einem Jahr, bis wir Hilfe bekommen. Wir fordern seit Jahren von der Stadt Karlsruhe Heilpädagog*innen, damit wir dauerhaft Unterstützung haben. Das würde auch meinen Verwaltungsaufwand reduzieren. Uns wird gesagt, unserem Arbeitgeber seien die Hände gebunden. Hürden seien Struktur und Verwaltung.

Wie wirkt sich die hohe Belastung aus?

Schmidt-Sailer: Unsere Not ist wirklich groß. Es geht nicht mehr. Kolleg*innen werden schwer krank und haben eine Überlastungsanzeige gestellt. Das ist ein Signal an unseren Arbeitgeber und hilft uns, unsere Situation auch rechtlich abzusichern.

Andere Kitas haben schon einen Aufnahmestopp.

Schmidt-Sailer: Wir auch. Wir können die Teilhabe einzelner Kinder nicht mehr gewährleisten.

Protestieren die Eltern nicht?

Schmidt-Sailer: Viele Eltern sind sich ihrer Lobby-Macht nicht bewusst und werden nicht politisch aktiv. Sie sind selbst am Rande der Belastbarkeit.

Gibt es einen Lichtblick?

Schmidt-Sailer: Wir bekommen im September eine nicht-qualifizierte Begleitung. Eine Frau mit Lebenserfahrung. Zwei Hände und zwei Beine mehr in unserer Kita, das ist schon ein Mega-Lichtblick.

In der GEW Baden-Württemberg engagieren sich Mitgliedspersonen aus den Kitas aller Träger und beziehen aktiv Stellung zu diesen landespolitischen Ent­scheidungen. Sie gehen mit Verantwortlichen aus der Landespolitik ins Gespräch und treten für Verbesserungen in Kitas und anderen Bereichen der Bildung und sozialen Arbeit ein.

Vier Landesfachgruppen im Bereich Jugendhilfe und Sozialarbeit gibt es ­zurzeit in der GEW Baden-Württemberg:

  1. Tageseinrichtungen für Kinder
  2. Fach- und Praxisberatung für Kitas
  3. Sozialpädagogische Fachkräfte an Schulen / Schulsozialarbeit
  4. Ambulante und stationäre Kinder- und Jugendhilfe

Zukünftig können GEW-Kita-Leitungen in einem Arbeitskreis politisch wirksam ­werden. Alle, die aktiv Einfluss nehmen  möchten, sind herzlich willkommen! Bitte melden bei: heike.herrmann(at)gew-bw(dot)de

Kontakt
Heike Herrmann
Referentin für Jugendhilfe und Sozialarbeit der GEW Baden-Württemberg