Bewerberüberschuss versus Lehrermangel
Gymnasiallehrkräfte können an Grundschulen unterrichten
Weil das Interesse gering war, hat das Kultusministerium mittlerweile den Absolventinnen und Absolventen der Zusatzqualifikation die Perspektive eröffnet, in das gymnasiale Lehramt zu wechseln. Alles zum Qualifizierungsprogramm.
Seit dem Schuljahr 2017/18 können Gymnasiallehrkräfte eine Zusatzqualifizierung zum Erwerb der Laufbahnbefähigung für das Lehramt an Grundschulen absolvieren. Diese verläuft parallel zum Einsatz an einer Grundschule. Weil sich zum Schuljahr 2017/18 nur wenige Kolleg/innen für diese Zusatzqualifizierung beworben haben, hat das Kultusministerium mittlerweile den Absolvent/innen nach einem erfolgreichen Abschluss der Zusatzqualifikation für die Grundschulen die Perspektive eröffnet, in das gymnasiale Lehramt zu wechseln. Im Schuljahr 2019/20 wird das Qualifizierungsprogramm fortgeführt.
Wer sich bewerben kann
Voraussetzung für die Teilnahme ist eine Bewerbung auf eine Stelle an einer Grundschule, die auch für Gymnasiallehrkräfte ausgeschrieben ist. Bewerber/innen müssen die Lehramtsqualifikation für mindestens ein Unterrichtsfach der Grundschule haben. Dies sind die Fächer Mathematik, Deutsch, Englisch, Französisch, Sport, Kunst, Musik, evangelische Religionslehre, katholische Religionslehre, Biologie, Chemie, Physik, Naturwissenschaft und Technik (NwT), Geschichte, Gemeinschaftskunde, Politik, Wirtschaftswissenschaft oder Geographie. Gymnasiallehrkräfte ohne ein solches Fach können sich bewerben, wenn sie mindestens ein Jahr Vertretungsunterricht an einer Grundschule erteilt haben. Vorausgesetzt wird ebenfalls ein Gesamtnotenschnitt von 3,5 im zweiten Staatsexamen für das Lehramt an Gymnasien.
Grundsätzlich werden die Bewerbungen von Gymnasiallehrkräften nachrangig behandelt, das heißt sie kommen nur dann zum Zuge, wenn es keine Bewerber/innen mit einer Ausbildung zum Grundschullehramt gibt – was aber zurzeit häufig der Fall ist. Gymnasiallehrkräfte können sich im Nachrückverfahren (1. bis 5. Juli 2019), beziehungsweise bei einzelnen Stellen bis zum 30. September 2019, auf Stellen für Grundschullehrkräfte bewerben, die auch für Gymnasiallehrkräfte ausgeschrieben sind. Das Programm wird voraussichtlich weitergeführt. Bewerbungen sind dann auch in den Ausschreibungsverfahren möglich.
Ablauf der Qualifizierung
Die Zusatzausbildung umfasst ein Schuljahr und findet berufsbegleitend während der Beschäftigung an einer Grundschule statt. Die pädagogische Schulung wird dabei vom für die Einsatzschule zuständigen Staatlichen Seminar durchgeführt. Die Ausbildung startet mit einer Einführungswoche. Im Anschluss daran findet alle zwei Wochen ein Ausbildungstag am Seminar statt. In den seminarfreien Wochen gibt es jeweils einen Hospitationstag an der Einsatzschule. Insgesamt sind am Seminar jeweils fünf Ausbildungstage für Pädagogik sowie für das erste und zweite Fach vorgesehen. Jeder Ausbildungstag umfasst sechs Ausbildungsstunden.
Die Teilnehmer/innen erteilen während des ganzen Schuljahres selbständigen Unterricht. Ihre Unterrichtsverpflichtung ist in dieser Zeit um vier Lehrerwochenstunden reduziert.
Erfolgreicher Abschluss bringt zwei Laufbahnbefähigungen
Nach den pädagogischen Schulungen gibt es zwei Überprüfungen der Unterrichtspraxis (eine Stunde davon muss Deutsch oder Mathematik sein) und ein 45-minütiges Reflexionsgespräch zu grundschuldidaktischen Themen. Am Ende der Qualifizierung (am Ende des Schuljahres) erfolgen zwei Unterrichtsbesuche durch die Schulleitung. Dort muss die Befähigung für die Tätigkeit einer Lehrkraft mit der Laufbahnbefähigung für das Lehramt Grundschulen nachgewiesen werden. Nach dem erfolgreichen Abschluss besitzen die Kolleg/innen damit zwei Laufbahnbefähigungen – eine für das Primarstufenlehramt und eine für das Gymnasium.
Arbeitsrechtlicher Rahmen während der Qualifizierung
Die Gymnasiallehrkräfte erhalten während des Qualifizierungsjahres an der Grundschule einen Arbeitsvertrag auf der Basis des Tarifvertrags der Länder (TV-L). Ihre Bezahlung erfolgt wie bei vollausgebildeten tarifbeschäftigten Grundschullehrer/innen nach der Entgeltgruppe (EG) 11, Stufe 1 (brutto 3346,42 Euro, Stand Mai 2019), nach einem halben Jahr erfolgt automatisch der Aufstieg in EG 11, Stufe 2 (brutto 3628,98 Euro). Kolleg/innen, die vorher bereits an einer Grundschule eingesetzt wurden, sollten diese Zeit unbedingt bei der Einstellung angeben, da diese Tätigkeit eventuell zu einer höheren Einstufung führen kann. Neben dem Monatsgehalt bekommen die Tarifbeschäftigten mit dem Novembergehalt eine Jahressonderzahlung ausgezahlt, die in EG 11 77,66 Prozent eines Monatsgehalts entspricht und anteilig für die Beschäftigungsmonate gezahlt wird. Da nach dem erfolgreichen Abschluss der Qualifikation in der Regel die Verbeamtung erfolgt, können sich Teilnehmer/innen auf Antrag beim Landesamt für Besoldung und Versorgung (LBV) von der Rentenversicherung freistellen lassen, so dass sie im ersten Jahr keine Rentenbeiträge zahlen müssen.
Der Beschäftigungsumfang beträgt wie bei allen Grundschullehrer/innen bei Vollzeit 28 Lehrerwochenstunden (während der pädagogischen Qualifizierung um vier Stunden reduziert). Eine Teilzeitbeschäftigung mit mindestens 14 Wochenstunden (während der Qualifizierung um vier Stunden reduziert) ist möglich. Ob Lehrkräfte mit minderjährigen Kindern oder bei Pflegefällen auch unterhälftig Teilzeit arbeiten können, ist ungeklärt. Interessierte sollten sich an die GEW oder den Personalrat wenden.
Mit dem Arbeitsvertrag wird eine sogenannte „auflösende Bedingung“ vereinbart. Das Arbeitsverhältnis endet, ohne dass es einer Kündigung bedarf, wenn an der Qualifizierung nicht teilgenommen und diese nicht erfolgreich absolviert wird. Es gilt die tarifliche Probezeit von sechs Monaten. Die Kündigungsfrist innerhalb der tariflichen Probezeit beträgt zwei Wochen zum Monatsschluss, danach vier Wochen zum Ende des Quartals. Sie muss schriftlich und von Seiten des Arbeitgebers nach der Probezeit unter Angabe von Gründen erfolgen. Mögliche Kündigungsgründe sind beispielsweise Gründe, die in der Person liegen (das heißt negatives Verhalten oder nicht ausreichende Leistungen).
Verbeamtung als Grundschullehrer/in
Alle Kolleg/innen, die die Zusatzqualifizierung erfolgreich abschließen, haben ein unbefristetes Arbeitsverhältnis, weil die auflösende Bedingung erfüllt wurde. In der Regel werden sich die Kolleg/innen für die Verbeamtung entscheiden. In diesem Fall werden sie zum einheitlichen Einstellungstermin im September in ein Beamtenverhältnis auf Probe als Grundschullehrkräfte in Besoldungsgruppe A 12 in den Landesdienst übernommen. Die dreijährige Regel-Probezeit muss an einer Grundschule absolviert werden. Sie kann nach beamtenrechtlichen Probezeitregeln verkürzt, aber auch verlängert werden. Die einjährige Zusatzqualifikation wirkt sich nicht verkürzend auf die Probezeit aus. Nach der erfolgreichen Beendigung werden die Beschäftigten in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit übernommen.
Einstellungszusage für das gymnasiale Lehramt
Nach erfolgreichem Abschluss der Zusatzqualifizierung an der Grundschule und der Annahme eines Einstellungsangebotes als verbeamtete Grundschullehrkraft erhalten die Kolleg/innen eine Zusage für eine spätere Übernahme in das gymnasiale Lehramt. Diese Zusage greift frühestens nach drei Jahren der Tätigkeit in der Laufbahn als Grundschullehrkraft. Bisher gibt es hierzu keine weitere Konkretisierung.
Durch die niedrigen Einstellungszahlen an Gymnasien in den nächsten Jahren ist zu erwarten, dass Kolleg/innen nur in Regionen mit Bewerbermangel Angebote erhalten werden. Die Einstellungszusage bezieht sich auf Angebote an Schulen mit gymnasialem Bildungsgang, also allgemeinbildende Gymnasien, Gemeinschaftsschulen und beruflichen Gymnasien und ist nicht an eine Region gebunden.
Nach dem Wechsel in die gymnasiale Laufbahn wird man als Studienrätin/Studienrat A 13 plus Zulage mit der Perspektive der Beförderung zur/m Oberstudienrätin/Oberstudienrat A 14 besoldet. Die Einstellung erfolgt an der Schule mit gymnasialem Bildungsgang in das Beamtenverhältnis auf Probe. Die Probezeit im Grundschullehramt soll angerechnet werden, ob sie zu einer Verkürzung auf ein Jahr führt oder einen kompletten Wegfall, ist noch nicht geklärt.
Da der Lehrkräftemangel an den Grundschulen in den nächsten Jahren anhält, ist der Zeitpunkt des Wechsels von der Grundschule offen.
Vorzeitiger Wechsel ans Gymnasium
Bereits während der gesamten Zeit der Zusatzqualifizierung und auch in den drei Jahren bis zur Einlösung der Einstellungszusage ist ein Wechsel in die gymnasiale Laufbahn möglich. In dieser Zeit können sich die Kolleg/innen am normalen Einstellungsverfahren auf eine Stelle an allgemeinbildenden Gymnasien, Gemeinschaftsschulen oder beruflichen Schulen bewerben. Erhalten sie hier eine Stelle, werden sie freigegeben und können an die angestrebte Schulart wechseln. Die Tätigkeit an der Grundschule wird bei der Bewerbung im gesonderten Einstellungsverfahren für Bewerber/innen mit Zusatzqualifikation (Ziffer 22 der Verwaltungsvorschrift Lehrereinstellung) angerechnet.
Aufgrund des enormen Bewerberüberhangs werden in den nächsten Jahren die Chancen über dieses Verfahren gering sein.
Wenn die Verbeamtung nicht möglich ist
Wer aufgrund fehlender persönlicher Voraussetzungen (Altersgrenze bereits überschritten, kein/e EU-Bürger/in, gesundheitliche Gründe) nicht verbeamtet werden kann, erhält nach dem erfolgreichen Abschluss der Zusatzqualifikation einen unbefristeten Arbeitsvertrag (Änderungsvertrag) auf der Basis des TV-L und gilt tarifsprachlich als Erfüller/in. Erfüller/innen werden an der Grundschule nach Entgeltgruppe 11 bezahlt. Diese Kolleg/innen haben ebenfalls die Möglichkeit, an ein Gymnasium zu wechseln, wenn sie die dortigen Einstellungsvoraussetzungen (insbesondere Leistungsziffer) erfüllen. Als Gymnasiallehrer/innen erhalten sie dort eine Bezahlung nach EG 13 und können im weiteren Verlauf ihrer Beschäftigung nach EG 14 höhergruppiert werden.
Für diese Kolleg/innen besteht keine Möglichkeit, sich von der gesetzlichen Rentenversicherung befreien zu lassen, da die Tätigkeit im Arbeitnehmerverhältnis im Unterschied zum Beamtenstatus eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung ist. Die Rentenkasse deckt den allergrößten Teil der Altersversorgung ab. Neben der gesetzlichen Rente haben Arbeitnehmer/innen im Öffentlichen Dienst einen Anspruch auf eine von den Gewerkschaften mit den Arbeitgebern vereinbarte Zusatzrente (Betriebsrente), die über die Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL) organisiert wird.
Welcher Personalrat zuständig ist
An den Gymnasien und an den beruflichen Schulen besteht an jeder Schule ein örtlicher Personalrat. Im Unterschied dazu wird der örtliche Personalrat für alle Grund-, Haupt-, Werkreal-, Real- und Gemeinschaftsschulen sowie sonderpädagogische Bildungs- und Beratungszentren (GHWRGS) gemeinsam auf der Ebene des Staatlichen Schulamts gebildet. Dieses große Gremium vertritt die Interessen aller Lehrkräfte dieser Schulen.
Kurzfristig akzeptable Lösung: GEW fordert konsequente Schritte gegen Lehrerkräftemangel
Auch an Gymnasium fällt Unterricht aus. Deshalb fordert die GEW, durch höhere Einstellungsquoten an Gymnasien die feste Vertretungsreserve zu erhöhen.
An den Grundschulen konnten 2017 und 2018 jeweils 500 Stellen nicht besetzt werden. Deshalb ist es aus der Sicht der GEW vertretbar, dass Gymnasiallehrkräfte an Grundschulen eingesetzt werden. Aufgrund der sehr unterschiedlichen Anforderungsprofile ist es richtig, dass das Kultusministerium den Lehrkräften mit gymnasialer Ausbildung eine Qualifizierungsmaßnahme für das Primarstufenlehramt bietet. Allerdings erfüllt das Programm nicht unsere Ansprüche einer bedarfsgerechten Qualifizierung. Die GEW fordert eine deutliche Nachbesserung. Wir begrüßen, dass den Kolleg/innen der Einstieg in die gymnasiale Laufbahn offen gehalten wird.
Für die GEW ist klar: Das Primarstufenlehramt muss attraktiver ausgestaltet werden, damit der Bedarf mittel- und langfristig gedeckt werden kann. Die Forderung nach zusätzlichen Studienplätzen wird endlich von der Landesregierung umgesetzt. Die Verlängerung des Studiums auf zehn Semester und Anhebung der Eingangsbesoldung auf A 13 ist in Baden- Württemberg, im Gegensatz zu anderen Bundesländern, noch nicht in Sicht.
Die GEW dankt den Gymnasiallehrkräften für ihren Einsatz an der Grundschule.
Gymnasiallehrkräfte werden Werkreal-, Haupt- und Realschullehrkräfte
Ab dem Schuljahr 2019/20 können Gymnasiallehrkräfte eine Zusatzqualifizierung zum Erwerb der Laufbahnbefähigung für das Lehramt an Werkreal-, Haupt- und Realschulen (WHR) absolvieren. Diese verläuft berufsbegleitend nach der Einstellung an einer dieser Schulen. Das Programm (PDF) ist an die Zusatzqualifizierung für Gymnasiallehrkräfte zum Erwerb der Lehrbefähigung für die Grundschule angelehnt. Anders als beim Qualifizierungsprogramm für die Grundschule erhalten Gymnasiallehrkräfte im Programm zum Erwerb der Laufbahnbefähigung zum Lehramt an WHR-Schulen aber keine Einstellungszusage in das gymnasiale Lehramt.