Sprachliche Bildung und Förderung im Elementarbereich
Herausforderungen und Gelingensfaktoren
Vor dem Hintergrund der Debatte um die Sprachförderung in Baden-Württemberg haben wir Professorin Dorothee Gutknecht gefragt: Was sind zentrale Herausforderungen und Gelingensfaktoren im Bereich früher sprachlicher Bildung und Förderung?
Das vergangene Jahrzehnt hat sich als zunehmend herausfordernd für den Bereich sprachlicher Bildung und Förderung in den Kindertageseinrichtungen in Deutschland erwiesen:
- Die Sprachenvielfalt in den Kitas ist in den vergangenen zehn Jahren deutlich angewachsen. Durch die großen Fluchtbewegungen im Kontext von Kriegen – zum Beispiel in Afrika, in Syrien, in der Ukraine – sind vermehrt Kinder mit Fluchthintergrund – zum Teil traumatisiert – in den Kitas angekommen. Nicht selten sind zwanzig und mehr verschiedene Sprachen repräsentiert. Lernen im so genannten „Sprachbad“ ist dann nicht mehr möglich. Auch die sprachförderliche Wirkung von Peer-Kontakten ist bezogen auf die Umgebungssprache begrenzt. In Einrichtungen mit vielen Sprachen stellt sich das „Wie“ der Umsetzung einer gelebten Mehrsprachigkeitsdidaktik im Alltag (Gutknecht 2023).
- Viele Kinder erlebten während der Schließzeiten der Einrichtungen während der Corona-Pandemie kommunikative Einbrüche in den sensiblen Phasen ihres Spracherwerbs. Kindern mit einer anderen Muttersprache als der Umgebungssprache wurde phasenweise der intensive Kontakt zur Umgebungssprache entzogen. Negative Folgen lassen sich in Hinblick auf den Aufbau von Weltwissen, dem sprachlichen Verstehen und der Entwicklung der Bildungssprache konstatieren. Dies belegen Forschungsergebnisse der Internationalen Corona-Kita-Studie (ICKE); hier haben Familien schwerwiegende Folgen für ihre Kinder gerade auch in Bezug auf die sprachliche Entwicklung beschrieben (Flöter et al. 2021).
- Es besuchen viele Kinder mit Einschränkungen im Sprachverstehen die Kitas. Nicht zu verstehen und nicht verstanden zu werden, stellen eine hohe Belastung und ein nachweislich hohes Risiko für die psychische Gesundheit dar (Hachul & Schönauer-Schneider 2019). Kinder, die im Bildungsbereich „Sprache und Kommunikation“ Schwierigkeiten zeigen, sind sehr viel häufiger von problematischen Entwicklungsverläufen, internalisierenden oder externalisierenden Verhaltensauffälligkeiten (Mayer & Gutknecht 2022), psychischen Erkrankungen, Schulversagen oder -abbrüchen betroffen.
- Traumatisierungen von Kindern (Flucht, Verlust der Heimat, ebenso häusliche Gewalt oder Missbrauch) haben herausforderndes Verhalten zur Folge. Das bindet die Fachkräfte, die dann mit Regulationsstrategien oft in emotional anstrengenden Ein-zu-Eins-Interaktionen gegensteuern müssen. Zur Förderung der Sprache steht die hier eingebundene Fachkraft, dann nicht zur Verfügung.
Diese Problemlagen treffen die Kitas in Deutschland in einer Phase eines dramatischen Fachkräftemangels. Umso bedeutender ist es, in Bezug auf Gelingensbedingungen und Erfordernisse von Sprachförderung, sowohl die Prozess- als auch die Strukturqualität in den Einrichtungen in den Blick zu nehmen.
1. Gelingensfaktor: Sprachverstehen
Rezeption vor Produktion – das ist ein wichtiger Grundsatz beim Erlernen von Sprachen. Erst wenn eine bestimmte Schwelle an Wortschatzumfang auf der Ebene des Verstehens aufgebaut ist, können auch mehr Worte produziert werden. Dies ist umso wichtiger, als dass die Gruppe der Kinder in einer Kita, die Probleme mit dem Sprachverstehen hat, vergleichsweise groß sein kann.
Betroffen sind Kinder:
- die sehr jung sind und entwicklungsbedingt (noch) nicht viel sprachlich verstehen,
- mit Verzögerungen oder Störungen in der Entwicklung des Sprachverstehens,
- aus armutsbetroffenen, bildungsfernen Familien, die oft hochbelastet sind und über ein nur geringes Weltwissen verfügen,
- mit Behinderungen einschließlich Störungen des Sprachverstehens,
- mit andersartiger Wahrnehmungs-Verarbeitung, kognitiver Verarbeitung (neurodivers),
- mit Migrationshintergrund ohne oder mit nur geringen Deutschkenntnissen,
- mit Hörbeeinträchtigungen.
Die zu starke Fokussierung auf die Sprachproduktion kann dazu führen, dass Schwierigkeiten mit dem Sprachverstehen übersehen werden. Sprachverstehensprobleme verringern in einem erheblichen Maße die Partizipationsmöglichkeiten von Kindern. Kindern mit Verstehensproblemen ist zudem oft nicht bewusst, dass sie etwas nicht verstehen oder verstanden haben. Rückfragen wie: „Hast du das verstanden?“ oder „Habt ihr das verstanden?“ sind daher nicht zielführend (Hachul & Schönauer-Schneider 2019). Die Kinder sind fest davon überzeugt, alles korrekt verstanden und entsprechend ausgeführt zu haben. Es kommt zu vielen belastenden Missverständnissen und Konflikten, die wieder Verhaltensprobleme nach sich ziehen.
Eine Spur des Verstehens durch die Kita legen
Gerade wenn viele Kinder mit Schwierigkeiten im Sprachverstehen die Kita besuchen, empfiehlt es sich multimodal, über viele Wege anzusetzen und insbesondere Visualisierungsstrategien zu nutzen. Das unterschiedliche Niveau der Kinder im Verstehen erfordert auch unterschiedliche Strategien. Über Gebärden von Schlüsselworten kann der Aufbau eines ersten Situations- und Schlüsselwortverstehens als Voraussetzung zum Sprachverstehen unterstützt werden (Wilken 2021). Gebärden haben eine verständniserleichternde Funktion, da die simultane visuelle Darbietung besser aufzunehmen ist. Betroffene Kinder profitieren vom gezielten Einsatz von Zeige- und ikonischen Gesten (Frank et al. 2022). Visualisierte Ablaufpläne unterstützen das Verstehen in Alltagsroutinen (zum Beispiel An- und Ausziehen oder Hände waschen). Auch im Morgenkreis sollten Verstehenshilfen zum Einsatz kommen. Visualisierungsstrategien über Bilder und Gebärden sollen Sprache nicht ersetzen, sondern müssen sprachlich „belebt“ werden, um zur Begriffsbildung beizutragen.
Die sprachlichen Kompetenzen von Vorschulkindern hängen bereits früh mit ihrem Wissensstand zusammen (Dubowy et al. 2008). Das Sprachverstehen, das wesentlich durch den Umfang des passiven Wortschatzes und die rezeptiven Grammatikkompetenzen bestimmt wird, hat sich in Längsschnittstudien als prädiktiv für das Leseverständnis im gesamten Grundschulverlauf herausgestellt (Ebert 2020; Anders et al. 2022).
2. Gelingensfaktor: Alltagsintegrierte sprachliche Bildung / Förderung
Im Wissenschaftsdiskurs ist die Frage alltagsintegriert versus Förderung mit Sprachförderprogrammen in den vergangenen Jahren intensiv diskutiert worden. Insbesondere die negativen Studienergebnisse zur Wirksamkeit einer programmatisch gestalteten Sprachförderung von jungen Kindern führten zur Neu-Positionierung im Sinne alltagsintegrierter Förderung. Zu nennen ist hier die Evaluationsstudie EVAS (Roos et al. 2010), die zeigte, dass sich die Kluft zwischen Kindern mit und ohne Förderbedarf durch die Arbeit mit Sprach-Förder-Programmen nicht verringert.
Die Gründe wurden in folgenden Punkten verortet:
- zu große Gruppen (bis zehn Kinder, alle mit sprachlichen Defiziten),
- zu später Beginn der Förderung,
- Förderung von außen, statt von den vertrauten pädagogischen Fachkräften,
- unzureichende Nutzung der Vielfalt der unterschiedlichen Bildungsbereiche mit ihren jeweiligen Zugängen, zum Beispiel Musik, Kunst, Mathematik, Naturwissenschaften,
- zu geringe Berücksichtigung der unterschiedlichen Lernstrategien von älteren und jüngeren Kindern.
Programmatische Vorgehensweisen lassen zudem zu wenig Raum für eine responsive Pädagogik, die individuelle Unterschiede bei Kindern hinreichend berücksichtigt, zum Beispiel im kognitiven Verarbeitungstempo. Fachkräfte handeln in einem solchen Setting nicht responsiv, sondern so, wie es das Programm für alle vorschreibt (Gutknecht 2023). Der Grad an Responsivität, den die pädagogischen Fachkräfte zeigen, ist aber ein zentraler Wirkfaktor in Bezug auf die soziale, kognitive und sprachliche Entwicklung von Kindern (Gutknecht 2023; Miosga 2019). Responsivität (= das Antwortverhalten) sagt etwas über das „Wie“ der Durchführung aus. Dieses „Wie“ beinhaltet den systematischen und insbesondere responsiven, also gut abgestimmten Einsatz von Sprachförderstrategien.
Förderung mithilfe von Programmen wurde vielfach eher losgelöst vom Gesamtgruppenkontext durchgeführt. Diese Art der Förderung wurde und wird daher vielfach als „additive Sprachförderung“ bezeichnet. Dies ist in gewisser Weise irreführend, da der Begriff „additiv“ faktisch nur „zusätzlich“ bedeutet. Hinter einem Zusatzangebot steht aber nicht per se ein programmatisches Vorgehen. Eine Fachkraft, die mit einer Kleingruppe von Kindern ein Zusatzangebot macht, könnte sehr wohl ein hochwertiges, responsiv gestaltetes Angebot durchführen.
In den Wortlandschaften des Alltags
Aktuell stützen die neuen so genannten Groß-Corpora-Studien den didaktischen Weg einer alltagsintegrierten Förderung. Es sind damit Studien gemeint, die die Sprachproduktion eines Kindes über viele Jahre hinweg aufzeichnen. Aus dieser Forschung lassen sich wichtige Schlüsse zur Entstehung der ersten Worte ziehen. Die Forschungsgruppe um Roy (et al. 2015) konnte über aufwändige Videotechnik-Forschung nachweisen, dass junge Kinder einen neuen Begriff dort zuerst sprechen, wo sie ihn viele Male gehört haben, wie zum Beispiel das Wort „Wasser“ in der Küche, das Wort „Tschüss“ an der Haustür.
Für den verstehensgeleiteten Wortschatzaufbau lohnt es sich, dieses Prinzip wie eine didaktische Strategie anzuwenden. In der Kita können die zur Mahlzeit gehörenden Begriffe auch im Rollenspielbereich und im Sandkasten evoziert werden, wodurch der Wortschatzaufbau erheblich unterstützt wird. Kinder bauen dann Alltags-Skripts flüssiger auf, da ihnen die Worte häufiger begegnen. Über eine Frühdidaktik der Drehbuch-Skripts des Alltags (Gutknecht, 2023) oder der von Roys Forschungsgruppe abgeleiteten Didaktik der Wortlandschaften (Roy, et al., 2015) kann der Alltagswortschatz sehr systematisch aufgebaut werden. Dies impliziert allerdings eine Perspektive auf alltagsintegrierte sprachliche Bildung und Förderung, die beinhaltet, dass Vorlesen und Erzählen, responsive Formen der Spielassistenz sowie Projekte als reguläre Teile des Kindergartenalltag zu verstehen sind.
Hieraus ergibt sich, dass bei einer Zusatzförderung die Fachkräfte in der Kita und die durchführende Fachkraft der Zusatzförderung hinsichtlich der Projekte und Themen gemeinsam planen. Hierfür ist es günstig, wenn die Förderung innerhalb der Kita stattfindet mit kurzen Wegen, um gute Abstimmungsprozesse zu ermöglichen. Wenn der Alltagswortschatz bei der Mahlzeit über mahlzeitbezogene Sprache aufgebaut wird, im Rollenspielbereich mit Küchengegenständen aus aller Welt gespielt wird, kann auch unter dem Aspekt der Bildungssprache an diese Inhalte angeknüpft werden, um so den sprachlichen Radius der Kinder sukzessive zu erweitern.
Wissenschaftler*innen aus der empirischen Forschung bewerten aktuell die Zusatzförderung im Bereich Sprache keinesfalls negativ und im Widerspruch zur alltagsintegrierten Förderung, sondern sehen in der sinnvollen Kombination der beiden Zugänge die besten Chancen. Diese Position vertreten zum Beispiel Anders et al. in der Bundesexpertise (2022), Egert et al. in ihrer Arbeit zur Evidenzbasierung vorschulischer sprachlicher Bildung und Förderung (2020) und Körner et al. (2024) in „Bedeutung sprachlicher Interaktionen im Kita-Alltag mit Kindern mit und ohne Sprachförderbedarf“. Es besteht hier Einigung darüber, dass Kinder mit Sprachförderbedarf zusätzliche Sprachförderung benötigen und dass diese in Kleingruppen oder alltagsintegriert stattfinden kann. Es ist bei dieser Beurteilung zu sehen, dass Forschungsgruppen die Ausrichtung an der alltagsintegrierten Sprachförderung in der Umsetzung durch die pädagogischen Fachkräfte oft nur unzureichend vorfinden. So konnten Körner et al. (2024) zeigen, dass viele Fachkräfte im Rahmen der alltagsintegrierten Förderung eine systematische und responsive Sprachförderstrategie vermissen lassen. Regelmäßige Fort- und Weiterbildung ist hier erforderlich.
3. Gelingensfaktor: Responsivität
Responsives Handeln pädagogischer Fachkräfte zeigt sich in einem umfangreichen Spektrum an Strategien zur sprachlichen Bildung und Förderung sowohl in Face-to-Face- als auch in Gruppenkontexten (Miosga 2019; Gutknecht 2023). Responsivität bedeutet, ein gut auf das Kind und seine kognitiven Verarbeitungsmöglichkeiten abgestimmtes Antwortverhalten zeigen zu können. Im frühen Spracherwerb spielen dabei zunächst spiegelnde Verhaltensweisen, bezogen auf Laut- und Sprachäußerungen, Emotionen, Mimik und Gestik eine große Rolle. Später kommen Strategien wie Self-Talking (Versprachlichung des eigenen Handelns) und Parallel-Talking (Versprachlichung des Handelns des Kindes) dazu, sowie die korrigierende, umformende oder erweiternde Rückmeldung über das korrektive Feedback (Kartchava 2022). Die Sprache der Fachkräfte orientiert sich dabei am kindlichen Aufmerksamkeitsfokus.
Mit dem Voranschreiten der kognitiven Entwicklung der Kinder verändern sich die Lernstrategien. Strategien wie Scaffolding (sprachliche Gerüstbautechnik) und kognitiv anreichende Interaktionen im Sinne des Sustained Shared Thinking gelten dabei als besonders wertvoll und wichtig (Siraj et al 2015). Mehrsprachige Kinder profitieren davon, wenn es Möglichkeiten gibt, ihre Sprachen einzubringen.
Kinder mit Sprachauffälligkeiten sind eine diverse Gruppe mit unterschiedlichen Bedarfen. Es hat sich hier gezeigt, dass die Kompetenz, Sprachförderstrategien responsiv und in der nötigen Frequenz einzusetzen, in länger andauernden Fortbildungen insbesondere unter Nutzung von (Video-)Feedback systematisch aufgebaut werden muss. Die oben genannten Strategien müssen tief verankert und zu einem professionellen Habitus in der Interaktion mit Kindern werden.
Professionelle Responsivität zeigen pädagogische Fachkräfte insbesondere in der Projektarbeit in der Kita. Im Rahmen von Projekten können Fachkräfte Sprache erweitern und modellieren. Sprachreiche Themen, die über einen längeren Zeitraum bearbeitet werden können, stehen im Fokus (zum Beispiel Freundschaften, Emotionen und Gefühle, Tiere, Berufe). Über Projekte lassen sich verschiedene Bildungsbereiche behandeln wie Kunst, Musik, Mathematik, Sprache und Naturwissenschaften. Dies ermöglicht den Kindern, ein Thema aus verschiedenen Perspektiven zu erkunden und unterschiedliche Wortschatzfelder auch der Bildungssprache aufzubauen. Kinder werden aktiv in den Planungs- und Entscheidungsprozess einbezogen. Sie dürfen Fragen stellen, Ideen einbringen und an der Gestaltung des Projekts mitwirken. Durch praktische Aktivitäten und Experimente können Kinder ihre Fähigkeiten und ihr Wissen erweitern. Dies kann auch durch Bauen, Pflanzen, Kochen, Tonen oder andere handwerkliche Tätigkeiten geschehen. Für viele Kinder sind praktische Tätigkeiten eine Brücke in die Sprachwelt. Über Projektarbeit kann die Zusammenarbeit zwischen den Kindern im Sinne des sozial-emotionalen Lernens vertieft werden. Sie lernen, sich abzusprechen, Aufgaben zu teilen und gemeinsam Probleme zu lösen. In den Prozessen im Projekt können langanhaltende Interaktionen aufgebaut und vertiefendes kognitives Denken angeregt werden. Projekte sind kein Zusatz, sondern gehören zum Kita-Alltag, von daher ist das responsive Sprachhandeln der Fachkräfte im Projektkontext alltagsintegrierte Förderung. Die hier verwendeten Sprachförderstrategien fallen bei den einzelnen Kinder unterschiedlich aus und spiegeln die Anpassung der Fachkräfte an den jeweiligen Entwicklungsstand. Projekte schaffen eine Basis, um in einen Austausch zu kommen, zu teilen und mitzuteilen, zu erzählen, zu phantasieren, gemeinsam Dinge zu kreieren, zu analysieren.
Die Responsivität der Fachkräfte zeigt sich auch in einem breiten Methodenspektrum zum entwicklungsangepassten Aufbau der Erzählkompetenzen der Kinder, zur Förderung und Unterstützung des Erzählens (bildgestütztes und objektbezogenes Erzählen (von Minimal Stories bis zur komplexen Dramaturgie), kollektives Erzählen, Fortsetzungsgeschichten, Geschichtenparcours, Geschichtenwerkstatt.
4. Gelingensfaktor: Mehrsprachigkeitsdidaktik
Mehrsprachigkeitsdidaktik bezieht sich auf den Ansatz, mehrsprachige Kompetenzen bei Lernenden bewusst und gezielt zu fördern. Das Ziel der Mehrsprachigkeitsdidaktik ist es, den Kindern die Möglichkeit zu geben, ihre sprachlichen Fähigkeiten in ihren verschiedenen Sprachen zu entwickeln und zu verbessern, um so ihre kommunikativen Fähigkeiten in verschiedenen Kontexten zu erweitern.
Kinder mit noch geringen Kenntnissen in der Umgebungssprache haben gehäuft einen schwierigen Zugang zu Interaktionen mit den Peers. Sie haben ein größeres Risiko der Vernachlässigung oder sogar aktiver Ablehnung durch ihre Peers (Ytterhus 2013). Sie spielen und sprechen aufgrund sprachlicher und kommunikativer Schwierigkeiten insgesamt oft seltener mit Gleichaltrigen und haben Schwierigkeiten, Interaktionen aufrechtzuerhalten. Im Rahmen einer responsiven Spielassistenz unterstützen Fachkräfte Kinder darin, zum Skript eines Spiels beizutragen.
5. Gelingensfaktor: Digitale Medien in inklusiven Kontexten
Digitale Medien lassen sich vielseitig gerade auch in inklusiven Kontexten einsetzen. Die Spannweite reicht von den adaptierten Spielsachen, die sich über Taster bewegen lassen, bis hin zu Tablets, mit denen man Bilder oder Geräusche „einfangen“ und zu Geschichten verarbeiten kann.
Im Übergang zur Grundschule lassen sich bereits die so genannten „adaptable books“ nutzen, das sind Bücher, die sich im Rahmen der Early Literacy Pädagogik auf die Kinder und ihre Bedarfe hin anpassen lassen (Reber et al 2020).
6. Gelingensfaktor: Zusammenarbeit mit ein- und mehrsprachigen Familien
Der Entwicklungs- und Bildungsbereich Sprache erfordert ein nicht zu unterschätzendes Beratungswissen der Fachkräfte. Gerade wenn die Sprache auffällig erscheint, ist in den Entwicklungsberatungsgesprächen eine Aufklärung über sprachförderliche, aber auch sprachhemmende Verhaltensweisen notwendig. Es besteht ein hohes Risiko, dass Eltern in einen instruktiven Sprachstil wechseln, wenn Sprachauffälligkeiten kommuniziert werden. Die Kinder werden dann häufig zum Nachsprechen gedrängt, mit dem Risiko, die Sprechfreude zu verringern.
In der Arbeit mit mehrsprachigen Familien ist die Erfassung der Mehrsprachenkontexte auf der Basis der Vorlage von Lüke und Ritterfeld (2013) geeignet. Hier kann auf einem DIN-A4-Bogen im Gespräch mit den Eltern erfasst werden, in welcher Sprache ein Kind mit seinen Geschwistern spricht, mit seinen Eltern und Großeltern oder mit Freund*innen – aber auch welche Sprache für den Mediengebrauch (Fernsehen, PC) bevorzugt wird. Zentral ist die Expertise im Bereich Mehrsprachigkeit. Eltern haben hier viele Fragen und hohen Beratungsbedarf. Buschmann und Schumm (2017) haben in einer Studie aufzeigen können, wie umfangreich das Fachwissen sein muss, um beispielsweise Fragen nach dem Umgang mit mehreren Sprachen in der Familie (Was mache ich, wenn andere Personen anwesend sind?) oder dem Erwerb mehrerer Sprachen (Wann spricht das Kind eine bisher verweigerte Sprache?) zu beantworten.
7. Gelingensfaktor: Einsatz von Fachberatungen
Gerade das Projekt der Sprachkitas konnte zeigen, wie wertvoll die sprachbezogene Fachberatung im Kontext der Sprachförderung für Fachkräfte in Kitas sein kann. Allerdings müssen die Fachberatungen mehrheitlich intensiv für diese Arbeit geschult werden.
Fachberatungen, die als fachlichen Hintergrund ein Studium der Sozialen Arbeit einbringen, haben dort in der Regel mangels Angebot keine verpflichtenden Module zur Sprachentwicklung, zu Sprachauffälligkeiten, zur Mehrsprachigkeitspädagogik belegen können. Aktuell sind zudem die Rahmenbedingungen suboptimal. Vielfach müssen Fachberatungen viel zu viele Einrichtungen betreuen und haben als „Feuerwehr“ meist Kinderschutz oder auch den Umgang mit Kindern mit externalisierenden Verhaltensweisen im Fokus.
Ausblick
Die Aufgaben im Kontext des Bildungsbereichs Sprache wandeln sich derzeit massiv. Die Zahl der Kinder mit Migrationshintergrund mit geringen Sprachkenntnissen steigt. Dies wird zu einer Neuausrichtung sprachlicher Bildung und Förderung führen müssen. Seeger und Holodynski (2022) betonen in dem von ihnen entwickelten Konzept „Bildung in der Kita organisieren (BiKo)“ das Erfordernis guter diagnostischer Instrumente zur Einschätzung des Entwicklungsstandes und der Bereiche, in denen Kinder mehr Erfahrungsmöglichkeiten benötigen. Auch ein regelmäßiger Materialcheck in puncto Spiel- und Anregungsmaterialien wird als zentral angesehen. Ein Aspekt, der auch bei Zusatzförderung eine große Rolle spielt. Responsive Spielassistenz bedeutet, Spiele sehr genau auf ihr Potenzial hin beurteilen zu können.
Anders et al (2022) empfehlen in ihrer Bundesexpertise, neben einem wissenschaftlichen Kriterien entsprechenden Fachkraft-Kind-Schlüssel die mittelbare pädagogische Arbeit mit mindestens 18 Prozent deutlich höher zu gewichten, um ausreichend Vorbereitungszeit für diese anspruchsvolle Arbeit zur Verfügung zu haben.
Auch die Arbeit in den Alltagsroutinen, in denen die Skripts für Lebensaktivitäten wie Essen und Trinken, Schlafen und Ruhen, Ausscheiden erlernt werden, erfordert Vorbereitung und Expertise (Gutknecht 2023). Gerade diese Bereiche sind oftmals von geringer Qualität in den Einrichtungen, obwohl hier neben der Sprache ein Schlüssel für Wohlbefinden und für ein gutes Kita-Klima liegen kann.
Literatur
Anders, Y., Wolf, K. & Enß, C. (2022): Bundesweite Standards in der sprachlichen Bildung in der Kindertagesbetreuung. (PDF)
Egert, F., Galuschka, K., Groth, K., Hasselhorn, M. & Sachse, S. (2020): Evidenzbasierung vorschulischer sprachlicher Bildung und Förderung: Was man darunter versteht und bisher darüber weiß. In K. Blatter, K. Groth & M. Hasselhorn (Hrsg.), Evidenzbasierte Überprüfung von Sprachförderkonzepten im Elementarbereich (S. 3-27). Wiesbaden: Springer VS.
Gutknecht, D. (2023): Mehrsprachigkeit in der Kita als Weiterbildungsthema: Konzeptionelle Perspektiven auf Wirksamkeit und Transfer. In: Journal of Early Years Education. Gyermeknevelés Tudományos Folyóirat, 1.1 (1): 128–153.
Körner, F., Sachse, S. & Egert, F. (2024): Bedeutung sprachlicher Interaktionen im Kita-Alltag mit Kindern mit und ohne Sprachförderbedarf. Konzeption, sprachliches Handeln und fachliche Begleitung. Frühe Bildung (2024), 13 (1), 3–12.
Die vollständige Literaturliste gibt es hier: