Schopper und Stein besuchen Werkrealschule in Freiburg
„Ich weiß, was Sie hier leisten“
Seit Monaten stand fest: Mitte Mai besucht Kultusministerin Theresa Schopper zusammen mit der GEW-Landesvorsitzenden Monika Stein die Karlschule in Freiburg. Da wusste noch niemand, dass der Abschluss der Werkrealschule abgeschafft werden soll.
Die Werkrealschulen tun alles für ihre Schüler*innen, auch wenn die Rahmenbedingungen schlecht sind. Die Karlschule in Freiburg ist eine davon. Rund 270 Schüler*innen gehen in die zentrumsnahe Schule. Sie ist eine von zwei verbliebenen Werkrealschulen der ganzen Stadt, entsprechend groß ist das Einzugsgebiet. So haben nicht wenige Schüler*innen einen weiten Schulweg. Über 70 Prozent der Schüler*innen sind nicht-deutscher Herkunft. Es gibt in dieser Grund- und Werkrealschule Inklusions-, Vorbereitungs- und LRS-Klassen.
Das denkmalgeschützte Altstadtgebäude ist renoviert und sieht gepflegt aus, die Raumnot dagegen sieht man nicht. Große blaue Schränke, Bänke und Tische auf den Fluren (natürlich brandschutzgesichert) deuten darauf hin. Weil Klassenzimmer doppelt belegt werden müssen, wird hier Material zwischengelagert. Rückzugsorte für Kinder gibt es trotz Ganztagsbetrieb nicht, auch keine Mensa. Die Arbeitsplätze der Lehrkräfte lassen ebenfalls zu wünschen übrig. Räume für Besprechungen oder Teamsitzungen stehen nicht zur Verfügung.
„Wir sind heute hier“, erklärt Kultusministerin Theresa Schopper Mitte Mai, „weil die Schüler*innen mehr Beachtung verdient haben, weil diesen Kindern und Jugendlichen nicht jedes Kieselsteinchen aus dem Weg geräumt wird und nicht immer die Lautesten im Blick sein sollen.“ Schopper will sehen, was die Schule trotz ungünstiger Ausgangslage mutig auf den Weg bringt. Eine Kostprobe zeigt die Schulleiterin Iris Paul gleich zu Beginn. Schüler*innen haben mit professioneller Unterstützung ein Musikvideo gedreht, eine Rapflektion. Die Jugendlichen rappen eigene Texte: „Wir sind Menschen, haben Hoffnung und Träume von Frieden und Freiheit. (...) Warum grenzen andere andere aus? Wie überwindet man Ängste und Sorgen? (…) Ihr solltet uns nicht unterschätzen. Nicht einmal wir kennen unsere Grenzen.“ Die Ministerin ist beeindruckt. „Es ist schon mutig, sich hinzustellen, und diesen Rap zu singen“, lobt sie.
Potenziale erkennen
Die Idee, diese Schule zu besuchen, stammt von Monika Stein. Es ist ihre ehemalige Schule, hier wollte sie bleiben, wäre sie nicht Landesvorsitzende der GEW geworden. Sie brennt immer noch für die Schule mit Kindern aus aller Welt, die oft benachteiligt sind und keine Chancengleichheit erfahren. Von ihrem Engagement ließ sich die Ministerin anstecken.
Potenziale erkennen und das Beste aus den Schüler*innen rausholen, das ist ein Ziel der Schule. Die Schulleiterin hebt hervor, was ihre Schüler*innen auszeichnet: Mehrsprachig sind nahezu alle, Lebenserfahrung haben sie selbst in jungen Jahren, Überlebenskünstler*innen sind sie sowieso. Im Klassenzimmer der 7a hängen alle Flaggen der Länder, aus denen die Schüler*innen stammen. Dem Lehrer Armin Roth ist es wichtig zu zeigen, wie vielfältig die Klasse zusammengesetzt ist und dass sich seit der 5. Klasse die Zusammensetzung immer wieder verändert hat. Jedes Schuljahr kommen neue Schüler*innen hinzu. Entweder aus anderen Schularten oder aus Vorbereitungsklassen. Immer wieder müssen neue Schüler*innen integriert werden.
Wobei die Schule nicht nur integrieren, sondern auch inkludieren will. Wie gut das gelingt, zeigt sich im Klassenrat der 7b. Nach klaren Regeln werden hier Anliegen der Schüler*innen besprochen. Die Sonderpädagogin Stephanie Schneider achtet darauf, dass die Schüler*innen ihre Ämter wahrnehmen. Ein Mädchen ist für die Redeliste verantwortlich, eine fürs Protokoll, ein Junge schreibt die Karten für die Pinnwand, ein anderer achtet auf die Zeit. Bei so viel prominentem Besuch sind die Schüler*innen eingeschüchtert, ihre Antworten kommen leise. Deutlich wird trotzdem, hier können die Jugendlichen Ideen und Meinung einbringen und am Ende entscheidet die Gruppe. Eine Übung in Demokratie. Und sei es nur abzustimmen, wie die Klasse mit Klebestiften umgeht, die immer wieder abhandenkommen.

Was die Zuhörenden kaum bemerken: In der Gruppe sind auch fünf Kinder mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung. Daher leiten den Klassenrat eine Lehrerin und eine Sonderpädagogin. Was auf den ersten Blick luxuriös aussieht, ist im Alltag mehr als nötig. „Wir wollen die Inklusion leben“, sagt die Lehrerin Imke Heidegger, „und damit kommen wir an unsere Grenzen.“ Allein die Absprachen im Team seien aufwendig. So manche Messenger-Gruppe mit Absprachen laufe bis in die Abendstunden. Dafür seien keine Zeiten vorgesehen. Die Sonderpädagogin Stephanie Schneider bedauert, nicht allen Kindern gerecht werden zu können. „Wir brauchen mehr Platz und mehr Expert*innen von außen“, hebt sie hervor. Obwohl dieser Klasse mehr Personal zusteht wie Klassen mit Kindern mit dem Förderschwerpunkt Lernen, wünschen sich die Lehrerinnen für eine gute Arbeit eine bessere Ausstattung.
Was man beim Besuch auch nicht beobachten kann, benennt die Schulleiterin: „Wir haben es wöchentlich mit Erziehungsmaßnahmen nach §90 zu tun“, sagt sie. Schulabstinenz sei Alltag. „Ohne die Attestpflicht geht es nicht“, lässt sie die Kultusministerin wissen. Manche Eltern würden die Schulpflicht nicht ernst nehmen und reagieren erst, wenn Bußgelder fällig werden. „Die Probleme in den Familien sind vielschichtig. Wir kommen nicht an alle Familien ran“, sagt Paul. Die Ministerin hört es und sagt: „Die Schule alleine kann es nicht richten.“ Sie tröstet mit neuen Programmen. Rückenwind sei in die nächste Phase gekommen und über das Startchancenprogramm komme Geld.
Abschaffung des Abschlusses stößt auf Unverständnis
Was die Lehrkräfte überhaupt nicht verstehen und als Sparen bei den Schwächsten deuten: Die Landesregierung plant, den Werkrealschulabschluss abzuschaffen. Schopper betont, dass es nur der Abschluss und nicht die ganze Schulart sei. In Verbünden mit Realschulen sollen sie weiter bestehen. „Der Werkrealschulabschluss, den es seit 2008 gibt, hat sich nie durchgesetzt. Es gibt zu viele Abschlüsse in Baden-Württemberg und mit der Wiedereinführung von G9 müssen wir die Ressourcen der zweiten Säule bündeln“, erklärt die Kultusministerin. Um die Karlschule brauchten sich die Lehrkräfte keine Sorgen machen, sie sei groß genug, um weiterzubestehen und sie können den Hauptschulabschluss anbieten. Doch das überzeugt wenig. „40 Prozent unserer Schüler*innen gehen in die 10. Klasse und ohne den Werkrealabschluss verliert die Schule an Attraktivität“, wendet Roth ein.
„Ich weiß, was Sie hier leisten“, sagt Schopper und räumt ein, dass Baden-Württemberg mehr tun müsste. Monika Stein macht klar, dass alle Lehrkräfte wenigstens A13/E13 für ihre wertvolle Arbeit verdient hätten.
In Werkrealschulen kumulieren die Probleme. Schüler*innen, die anderswo scheitern, finden hier einen Platz und Lehrkräfte, die alles tun, um ihren Schüler*innen Wertschätzung und eine Perspektive zu geben. Es hilft den Werkrealschulen nicht, wenn ihr Abschluss abgeschafft und Programme aufgestockt werden. Der Fehler steckt im System. Eine tragfähige Lösung kann die Ministerin nicht bieten.