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Im wissenschaftlichen Fokus: Wie Schulleitungen gut arbeiten können

Die Arbeit von Schulleitungen ist zunehmend auch für die Forschung interessant. Eine Reihe von Studien befragt Schulleitungen nach ihren Erfahrungen zur Ausnahmesituation in der Pandemie oder zur Schulleitungstätigkeit an sich.

Die Arbeit und die Einschätzungen von Schulleitungen sind zunehmend auch für die Forschung interessant. Eine Reihe von Studien befragt Schulleitungen nach ihren Erfahrungen zum Beispiel zur Ausnahmesituation in der Pandemie oder zur Schulleitungstätigkeit an sich.

Die Ergebnisse der tri-nationalen Längsschnittstudie „Schulentwicklung vor neuen Herausforderungen (S-Clever) wurden im Januar dieses Jahres publiziert. Beteiligt waren die Universitäten Mainz, Rostock, Heidelberg, Zürich und Klagenfurt. Die aktuelle Studienphase läuft als bi-nationales Projekt weiter. Das Ziel von S-Clever ist unter anderem „die Analyse der Herausforderungen von Schulen und Schulleitungen (z. B. digitales Lernen, Arbeitsbelastung, Lehrmethoden) und ihrer Strategien, des Unterstützungsbedarfs von Schulleitungen, der Informationspolitik der Schulbehörden und der Prioritätensetzung bei der Schulentwicklung am Ende des Schuljahres 2021/2022“ (https://s-clever.org/

In eine ähnliche Richtung geht die COVID-19-Health Literacy Schulleitungsstudie (Dadaczynski u.a 2021). Das Forschungskonsortium des Public Health Zentrum der Hochschule Fulda; des interdisziplinären Zentrums für Gesundheitskompetenzforschung (IZGK) der Universität Bielefeld und der Abteilung Pflegewissenschaft an der Universität Trier befragte die Schulleitungen allgemeinbildender Schulen der Primar- und Sekundarstufe zu ihrer Arbeits- und Gesundheitssituation, Gesundheitskompetenz sowie der Umsetzung von Maßnahmen der Gesundheitsförderung und Prävention an ihrer Schule.  (www.konsortswd.de/ratswd/themen/corona/studien/245/)

Auch die KWIK-Studie der Universität Hamburg „Kontinuität und Wandel der Schule in Krisenzeiten“ reiht sich im diese Fragestellungen ein (www.iea.nl/de/kwik).

In der Schweiz widmet sich „HiS - Herausforderungen in der Schule“ im Rahmen des Schulbarometers der PH Zug der aktuellen Schulsituation und befragt dazu Schulleitungen aus der Schweiz, Österreich und Deutschland. (https://schul-barometer.net/his/)

Das Projekt „LineS2020“ (Leadership in German Schools) der Universität Tübingen gehört zu den Arbeiten, die die Schulleitungstätigkeit an sich untersuchen. Prof. Colin Cramer und sein Team suchen Antworten auf Fragen, was das Amt der Schulleitung für Lehrpersonen attraktiv macht, warum Schulleitungen diese Position ergreifen und welche Gründe gegen einen Verbleib im Amt sprechen. (www.colin-cramer.de -->LineS.)

Einen etwas anderen Blick auf die Funktion einer Schulleitung wirft das Gutachten des Aktionsrats Bildung. Die Vereinigung der Bayrischen Wirtschaft 2021 hat das Gutachten : „Führung, Leitung, Governance: Verantwortung im Bildungssystem“ herausgegeben. Federführend war u.a. der Bildungsökonom Ludger Wößmann aus München (www.aktionsrat-bildung.de/publikationen.html).

Die Auswahl an aktuellen Studien mit und über Schulleitungen rundet die Cornelsen Schulleitungsstudie 2022 „Schule zukunftsfähig machen“ ab. Sie wurde vom Forschungsinstitut für Bildungs- und Sozialökonomie in Berlin erstellt und erschien im März 2022 (www.fibs.eu. An dieser Arbeit war unter anderem Prof. Dr. Klaus Hurrelmann beteiligt, der durch die Shell-Jugendstudien bekannt ist..

Nachfolgend wird auf das Gutachten des Aktionsrats und auf die Cornelsen-Schulleitungsstudie genauer eingegangen.

Das Gutachten des Aktionsrats Bildung: Schulleitung ist Management

Das Gutachten des Aktionsrats bekennt sich zu einem Blick auf die Schulleitungen, der von einer unternehmerischen Sichtweise geprägt ist. Es geht um die Frage „welche Maßnahmen wirksam dazu beitragen können, die Führung in Bildungseinrichtungen effizienter zu gestalten und mehr geeignetes Personal für die Übernahme von Führungspositionen zu gewinnen. Zur Beantwortung dieser Frage wird umfassende Grundlagenliteratur und zahlreiche Studien aus Betriebs- und Volkswirtschaft und Bildungswissenschaft aufeinander bezogen und bewertet.

Nach den Ausführungen des Gutachtens besteht ein großer Unterschied zwischen einer Betriebsleiterin oder einem Manager in der freien Wirtschaft und einer Schulleitung, nämlich, dass in Schulleitungen für ihre Aufgabe nicht systematisch ausgebildet sind. Dies liegt daran, dass sie sich aus den Lehrkräften rekrutieren. Sie würden daher von den Kolleg*innen eher als „primus inter pares“ wahrgenommen. Gleichwohl seien ihre (Leitungs)Aufgaben umfassend und anspruchsvoll. Die Schulleitungsfunktion erfordere eine Führungspersönlichkeit mit pädagogisch-wissenschaftlichen und Managementkompetenzen. Diese müssten und könnten gelernt und laufend weiterentwickelt werden. Mit der Größe der Bildungseinrichtung wachse diese Bereitschaft zur Professionalisierung, zum Beispiel, sich umfassend für die Leitungsaufgabe zu qualifizieren, während „die Leitung von Vorschul- und Grundschuleinrichtungen im Alltagsverständnis häufig als etwas begriffen wird, was „nebenbei“ mitlaufen könne“ (S. 13).

Die Studien belegen, dass eine gute Führung die Bildungsergebnisse nachweislich verbessert. Für die wirtschaftliche Entwicklung und Innovationskraft spiele die Bildungsqualität eine wichtige Rolle.

Schulleitung zu sein sei anspruchsvoll. Dennoch seien viele Schulleitungspositionen, insbesondere in Grundschulen unbesetzt.  Der Aktionsrat Bildung macht in seinem Gutachten eine Reihe von Vorschlägen, wie diese Positionen attraktiver gemacht werden können:

  • Eine umfassende Vorbereitung auf und Qualifizierung für Führungsaufgaben
  • Die Stärkung der indirekten Führung („Führung durch Strukturen“), zum Beispiel durch mehr Durchgriffs- und Entscheidungsmöglichkeiten für Schulleitungen (Personalauswahl, …). 
  • Die Verbesserung der finanziellen Anreize
  • Die Verringerung der pädagogischen und administrativen Arbeitsbelastung
  • Den Zugang zu Leitungspositionen (nur) durch eine entsprechende Qualifizierung
  • Die funktionale Differenzierung der Leitung, zum Beispiel durch Einführung eines „Kanzlers“ ähnlich der Hochschulen.
  • Die Ausweitung des Qualitätsmanagements und die Schaffung von Zeitkontingenten.

Für die Grundschulen wird gesondert empfohlen: Positions- und Leistungsanreize, Anpassung der Vergütung, Entlastung vom Lehrkräftedeputat, Flexibilisierung von Arbeitszeitmodellen, zum Beispiel „Führen im Tandem“, und der Ausbau der Professionalisierungsangebote.

Bei den Schulleitungen an Sekundarschulen sollten unter anderem Personalmanagement- und Professionalisierungsangebote gestärkt und eine positions- und leistungsabhängige Vergütung eingeführt werden. Außerdem seien hier die Ausweitung der Entscheidungsspielräume insbesondere bei der Personalauswahl und der Vergabe von Leistungszulagen hilfreich.

Die Cornelsen-Studie: Schulleitungen – visionär und begrenzt

Die Tonalität der Cornelsen Schulleitungsstudie ist deutlich anders. Ihre Kernbotschaft lautet: „Schulleitungen sollen Lernräume eröffnen und die Bildungsinstitution Schule pädagogisch gestalten, es müssen ihnen dafür die notwendigen Strukturen und Ressourcen zur Verfügung gestellt werden“ (Geleitwort von Klaus Hurrelmann)

Die Cornelsen-Studie hat sich mit ihren Fragen direkt an die Schulleitungen gewendet und durch umfassende quantitative und qualitative Methoden „vertieftes Feldwissen und dichte Beschreibungen“ generiert.

Eine zentrale Aussage dieser repräsentativen Befragung der Schulleitungen ist, dass sie aktuell durch die Pandemie und ihre Herausforderungen sehr unzufrieden sind, aber dennoch optimistisch in die Zukunft blicken. Was sie am meisten belastet, ist die zeitraubende Organisationsarbeit. Der eigene Unterricht und die Administration der Schule binden Arbeitszeit, die für Schul- und Unterrichtsentwicklung fehlt, sie sehen sich „gefangen in administrativen Mikroprozessen“. Die meisten Schulleitungen wünschen sich künftig eine Aufgabenteilung zwischen pädagogischer und administrativer Schulleitung.

Die Schulleitungen selbst teilen die Ansicht, dass es für die Wahrnehmung einer Schulleitungsaufgabe eine spezifische Qualifizierung braucht. Diese Sichtweise setzte sich in den letzten Jahren zunehmend durch. Während davor die Schulleitung „eine Lehrkraft mit Schulleitungsfunktion“ war, kristallisiert sich jetzt die Notwendigkeit eines eigenen Berufsbildes heraus. Dieses sollte bereits Teil des Studiums sein.

Für zwei Drittel der Schulleitungen sind Digitales, Schulbau und die Personalgewinnung die aktuell dringlichsten Themen, wobei die Gewichtung dieser Probleme in den Schularten unterschiedlich ist. Als Zukunftsthemen werden wiederum die Digitalisierung und die Veränderung der Lernkultur und die multiprofessionelle Teamarbeit genannt.

Viele Schulleitungen in der Cornelsen-Studie erleben sich als selbst- und fremdgesteuert. Sie wollen mehr Autonomie und mehr Spielräume zur Gestaltung ihrer Schule. Dies betrifft vor allem die Auswahl des Personals und die Verwendung der Finanzmittel, aber auch die zur Verfügung stehende Leitungszeit. Die Aufteilung der pädagogischen und der administrativen Leitungsaufgaben würde Freiraum für die Schulentwicklung schaffen, wäre aber darüber hinaus für unerfahrene Schulleitungen wichtig.

Schulleitungen nehmen auch politische Interessen wahr. Sie wollen ihre Praxiserfahrungen stärker in bildungspolitische Entscheidungen einfließen lassen. Durch Vernetzungen und Kooperationen wirkt Schule in den öffentlichen Raum hinein und greift ihrerseits Impulse von außen auf. Trotz dieses Engagements traut ihnen die (Kultus)Verwaltung zu wenig zu, was die Schulleitungen als übermäßige und frustrierende „Rückmelde- und Rückversicherungskultur“ erleben.

Schulleitungen schreiben der Schule nach den Ergebnissen der Cornelsen Schulleitungsstudie ein sehr breites Aufgabenspektrum zu: Wissens-, Kompetenzaufbau, Persönlichkeitsbildung, Demokratielernen und vieles mehr, all das hat an der Schule seinen Ort. Und der Ort selbst ist wichtig. Viele Schulleitungen sehen den traditionellen Schulbau mit langen Fluren die sogenannte „Flurschule“ als überholt und wünschen sich Schulbauten, die pädagogisch gestaltet und gestaltbar sind – Räume als Baustein der Schulentwicklung.

Die Veränderung und der Zerfall familiärer Strukturen wirkt massiv auf den Bildungsauftrag der Schulen ein, besonders unter dem Aspekt der Chancengleichheit. Das Schulwesen insgesamt und jede einzelne Schule müssen darauf pädagogische und strukturelle Antworten finden. Eine Option ist die gebundene Ganztagsschule. 90 Prozent der befragten Schulleitungen schätzen deren Potenzial als erheblich ein.

Nicht nur die gesellschaftlichen, auch die technischen Entwicklungen führen dazu, dass  Schülerinnen und Schülern andere Kompetenzen brauchen. Das ist bei der IT- und Mediennutzung besonders augenfällig. Damit verändern sich auch die (benötigten) Aufgaben und Anforderungen an die Lehrkräfte. Es wird erwartet, dass sie sich jetzt mit digitalen Lernprozessen auseinandersetzen und ihren Unterricht entsprechend gestalten.

Die Entwicklung der Schule umfasst Organisation, Unterricht und Personal. In den letzten Jahren kamen zusätzlich Kooperationen und technische Entwicklung dazu. Diese Bereiche greifen ineinander und machen Schule zu einem lebendigen System, das permanent in Bewegung ist: „Transformation ist immer“ liest man in der Cornelsen.Studie. Schulleitungen bauchen dafür aber funktionierende multiprofessionelle Teams, Entlastung und Unterstützung, ganz besonders bei den administrativen Tätigkeiten und bei der konkreten Schulentwicklung.

Die Veränderungsprozesse müssen nach der überwiegenden Meinung der Schulleitungen partizipativ angegangen werden, denn „sie gelingen nur gemeinsam“. Die Hemmnisse wie fehlende Räume, fehlendes Personal, fehlende Zeit führen häufig dazu, dass die Schulen nahezu zwangsläufig unter ihren Möglichkeiten bleiben.

Schulleitungen sollen Impulse für lernwirksamen Unterricht geben, das sieht die große Mehrheit der Cornelsen-Befragung so. Es braucht aber weitere Veränderungen. 80 Prozent sprechen sich für eine Veränderung des Fächerkanons aus, gut die Hälfte möchte mehr projektorientiertes Lernen. Dass die Schule der Zukunft die Individualisierung des Lernens ist, finden 90 Prozent der befragten Schulleitungen. Auch die Offenheit für alternative Leistungsbewertungen ist groß, schlägt sich allerdings in der Praxis kaum nieder: Nur 10 Prozent verzichten auf die klassische Form der Notengebung. Hier spielt nach Meinung der Schulleitungen auch die defizitorientierte Haltung von vielen Lehrkräften eine Rolle.

Eine neue und noch ungenügend erforschte Herausforderung ist aus Sicht der Schulleitungen der Zusammenhang von Digitalisierung und Lernwirksamkeit. Supervision und die Reflektion der eigenen Praxis werden als Instrumente vorgeschlagen, um die Arbeit weiterzuentwickeln und offen für andere Lern- und Bewertungsformen zu werden. Von der Zusammenarbeit der unterschiedlichen Professionen versprechen sich die Schulleitungen viel: Miteinander statt nebeneinander! „Leistungen belohnen können und verpflichtende Fortbildungen“ stehen ebenfalls auf der Wunschliste für eine gelingende Schulentwicklung, wobei die „One-Shot-Fortbildungen“ klar abgelehnt werden.

Fazit: Profession und Passion

Schulleitungen wollen eine gute Schule gestalten, die Gesellschaft und die Wirtschaft sind auf gute Schulen angewiesen. Auf diese Kernaussage lassen sich die beiden Studien zusammenbringen. Qualifizierung und Zeit sind dabei die Grundvoraussetzungen. Flurschule und kontrollierende Bürokratie sind Begriffe, die die Vergangenheit gut beschreiben. Viele Schulleitungen wollen so nicht (mehr) arbeiten, die Philosophie dahinter entspricht auch nicht den Anforderungen einer modernen Gesellschaft mit ihren vielfältigen An- und Herausforderungen.