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Inklusion auch in der beruflichen Bildung

Der Entwurf für die Schulgesetzänderung zu inklusiven Bildungsangeboten gilt auch für die berufliche Bildung. Jetzt muss diskutiert werden, wie die Gesetzesänderung dort umgesetzt wird. Die GEW-Landesfachgruppen berufliche Schulen haben im Mai zu einem Fachgespräch eingeladen, bei dem unter anderem die Referatsleiterin im Kultusministerium, Hildegard Rothenhäusler, Stellung bezogen hat.

Die Inklusionsdebatte in Deutschland hat zwei grundlegende Probleme. Zum einen wird in der deutschen Übersetzung der UN-Behindertenrechtskonvention das Konzept „inklusiver Bildung“ unzulässig auf die Integration von Menschen mit Behinderungen beschränkt. Den meisten Diskussionen liegt deshalb ein Inklusionsverständnis zugrunde, das sich nur auf Menschen mit Behinderungen bezieht. Die bildungspolitischen Leitlinien der UNESCO-Kommission gehen weit darüber hinaus. Dort wird Behinderung als soziale Kategorie und relationaler Begriff gefasst. Ursachen für Lernschwierigkeiten werden nicht mehr den einzelnen Lernenden und ihren unzulänglichen Fähigkeiten und Voraussetzungen zugeschrieben, sondern in den Strukturen des Bildungssystems verortet. Zentrale Aussagen bzw. Grundannahmen des Inklusionskonzepts der UNESCO sind:


•    Die ‚bunte Vielfalt‘ der Menschen in ihrer Einzigartigkeit und Besonderheit muss anerkannt und wertgeschätzt werden.
•    Eine binäre Kategorisierung von Menschen in jene mit und ohne „Behinderung“, „Benachteiligung“ oder „Ausbildungsreife“ oder „besonderem Förderbedarf“ ist unmöglich.
•    Anzustreben ist keine Beschulung oder Förderung in Sondermaßnahmen oder Sonderschulen jedweder Art, sondern ein gemeinsames Lernen unter Berücksichtigung der individuellen Lernbedürfnisse und –interessen und die Bereitstellung der entsprechenden Vorkehrungen für das gemeinsame Lernen.
•    Anzustreben ist keine standardisierte Förderung in homogenisierten Lerngruppen, sondern eine flexible individuelle Unterstützung, um der Individualität der Lernenden gerecht werden zu können.
Damit erübrigen sich auch individualisierende Zuschreibungen wie „behindert“, „benachteiligt“ und somit auch „nicht ausbildungsreif“. Die Debatte über die Reform des Übergangssystems in den beruflichen Schulen kann deshalb nicht losgelöst von der Inklusionsdebatte geführt werden.
Zum anderen wird die Inklusionsdebatte in Deutschland vor allem von Fragen der Beschulung von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen in den allgemeinbildenden Schulen bestimmt. Die Berufsausbildung wird eher am Rande oder ergänzend erwähnt. Die Situation auf dem Ausbildungsmarkt in Baden-Württemberg hat sich in den letzten drei Jahren entspannt. Aber es gibt nach wie vor mehrere tausend Jugendliche im Übergangssektor. Das führt zu einem nach Berufen und Regionen segmentierten Ausbildungsmarkt und ungleichen Zugangschancen je nach Migrationshintergrund, Geschlecht, Schulabschluss, Behinderung sowie sozialer und regionaler Herkunft. Jugendliche mit Behinderung finden kaum einen Zugang zur dualen Ausbildung.
Für die GEW bedeutet inklusive Bildung die diskriminierungsfreie Teilhabe an den Bildungsangeboten für alle Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen, unabhängig von einer Behinderung, ihrem Geschlecht, ihrer ethnischen und sozialen Herkunft und ihrer Leistungsfähigkeit. Aus Sicht der GEW gibt es unter anderem folgende Gelingensbedingungen für Inklusion in der beruflichen Bildung:
•    Die GEW fordert eine Ausbildungsplatzgarantie für alle jungen Menschen, eine „fehlende Ausbildungsreife“ darf kein Argument für die Verweigerung einer Ausbildung sein.
•    Erforderlich ist eine differenzierte organisatorische Gestaltung der Berufsausbildung, um allen Auszubildenden eine individualisierte Ausbildungsgestaltung zu ermöglichen; hierzu gehören die ausbildungsbegleitende Hilfe, die assistierte Berufsausbildung, die Teilzeitberufsausbildung, eine Bildungswegbegleitung und Coaching, die Verlängerung oder Verkürzung der Ausbildungszeit und geänderte Prüfungsgestaltungen.
•    Die Curricula in den berufsbildenden Schulen und die Ausbildungsrahmenpläne für die betriebliche Ausbildung sind kritisch zu prüfen und weiterzuentwickeln.
•    Die sogenannten „Arbeitsbündnisse Jugend und Beruf“ (Jugendberufsagenturen) mit der Zusammenführung der Leistungen der kommunalen Jugendhilfe (Sozialgesetzbuch (SGB) VIII) sowie der Arbeits- und Sozialverwaltung (SGB II, III, ggf. auch SGB IX) sind einzurichten.
•    Notwendig sind weiterhin Aus-, Fort- und Weiterbildungen und eine multiprofessionelle Teamentwicklung für alle beteiligten Lehrkräfte an berufsbildenden Schulen und allen an der Ausbildung beteiligten Personen.
•    Mittel- und langfristig sind alle berufsbildenden Schulen in den inklusiven Schulentwicklungsprozess einzubeziehen. Die Akzeptanz von inklusiven Entwicklungsprozessen hängt auch mit den Ressourcen zusammen. Schon heute lernen Schüler/innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf an berufsbildenden Schulen. Allerdings ist bislang nur an 124 beruflichen Schulen ein sonderpädagogischer Dienst eingerichtet. Eine flächendeckende Etablierung ist dringend erforderlich, sowie eine dauerhaft gesicherte Finanzierung. Für diese Aufgaben fordert die GEW zusätzliche Ressourcen.

Umsetzung der Inklusion an den beruflichen Schulen aus Sicht des KM

In ihrem Vortrag auf der GEW-Tagung erläuterte die zuständige Referatsleiterin im Kultusministerium, die Ministerialrätin Hildegard Rothenhäusler, wie das KM die Inklusion an den beruflichen Schulen umsetzen will. Sie machte deutlich, wo die entscheidenden Faktoren für das Gelingen von Inklusion liegen:
•    in einer guten Vorbereitung auf den Übergang der Schüler/innen in die berufliche Bildung,
•    in einer guten Vernetzung mit den Eltern und den schulischen und außerschulischen Partnern,
•    in einem guten Unterstützungssystem für die Lehrkräfte.
Der Gesetzentwurf sieht einen zieldifferenten Unterricht nur für die Sekundarstufe I vor. An den beruflichen Schulen betrifft dies lediglich die sechsjährigen beruflichen Gymnasien. Alle anderen Bildungsgänge gehören zur Sekundarstufe II. Hier gelten die jeweiligen Aufnahmevoraussetzungen. Aus Sicht des KM sollen die beruflichen Schulen die Jugendlichen mit einem Anspruch auf ein sonderpädagogisches Bildungs- oder Unterstützungsangebot auf die berufliche Integration vorbereiten und sie während der Ausbildung unterstützen. Die Konzeption des KM setzt an zwei Punkten an.


In der Abgangsklasse des sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentrums oder der allgemeinen Schule muss künftig eine Berufswegekonferenz stattfinden. An dieser nehmen neben den Schüler/innen und Eltern auch die Lehrkräfte sowie die Kosten- und Leistungsträger teil. Auch ein Vertreter/eine Vertreterin der beruflichen Schulen sollte beteiligt werden. Bei dieser Berufswegekonferenz sollen der weitere Unterstützungsprozess in Richtung beruflicher Integration geplant sowie die am besten geeigneten Bildungswege und -orte festgelegt werden.
Ein zweites wichtiges Element sind Unterstützungssysteme für Lehrkräfte. Im Rahmen der Enquetekommission „Fit fürs Leben in der Wissensgesellschaft“ des Landtags sind auch Handlungsempfehlungen zum Thema Inklusion beschlossen und Mittel bereitgestellt worden. Auf dieser Grundlage wurde seit 2011 schrittweise ein Unterstützungssystem aufgebaut. Dazu gehören:
•    Sonderpädagogische Dienste an beruflichen Schulen. Sie erstellen für die Schüler/innen eine qualifizierte Bedarfsdiagnostik und erarbeiten einen individuellen Förderplan. Die Sonderschullehrkräfte beraten hinsichtlich passgenauer Fördermaßnahmen im Unterricht und unterstützen die Lehrkräfte bei der Erstellung von differenzierten Materialien. Sie bieten auch Fortbildungen für die Lehrkräfte an. Von den 200 Stellen für Inklusion erhält der berufliche Bereich 22. Mit ihnen soll der sonderpädagogische Dienst flächendeckend ausgebaut werden.
•    Zusätzliche Stunden zur individuellen Förderung, die insbesondere für Jugendliche mit Unterstützungsbedarf eingesetzt werden sollen.
•    Installierung von Lehrkräften der beruflichen Schule an den regionalen Arbeitsstellen für Kooperation (ASKO) bei den Staatlichen Schulämtern. Diese Ansprechpartner beraten die Lehrkräfte und stellen Informationen bereit. Sie vermitteln Ansprechpartner und nehmen an Berufswegekonferenzen teil. Sie bieten Fortbildungsveranstaltungen an, teilweise auch Arbeitskreise für die beruflichen Schulen.
•    Fortbildungsangebote für Lehrkräfte.
 
Abschließend machte Rothenhäusler noch einmal deutlich, dass ein wesentlicher Gelingensfaktor für Inklusion die Entwicklung einer inklusiven Haltung in der Gesellschaft und bei den Lehrkräften sei.