„Wir haben Rahmenbedingungen, die es ermöglichen, dass Schule sich entwickeln kann“, begrüßte Pepe Kühebacher, Koordinator des Schulverbundes Pustertal, am ersten Abend die 16 Gäste der GEW Baden-Württemberg. Sie wollten im Pustertal erleben, wie dort Kita und Schule funktioniert. An drei Tagen besuchten die Lehrer/innen aus unterschiedlichen Schularten drei Schulen, eine Kita, ein Mensa-Restaurant sowie einen externen Lernort auf einem ehemaligen Bauernhof in den Bergen und sprachen mit Vertreter/innen des Schulverbundes Pustertal.
Zu den guten Rahmenbedingungen gehört, dass die Schulen eine höhere Autonomie als in Baden-Württemberg haben und sich Kitas und Schulen im Schulverbund Pustertal auf eigene Initiative zusammengeschlossen haben. Sie haben sich sozusagen eine eigene Schulverwaltung gegeben, in der vorhandene Kompetenzen gebündelt, Unterstützungssysteme gemeinsam aufgebaut und genutzt werden und zum Beispiel Fortbildungen organisiert werden. „Das Gefühl des Aufgehoben-Seins in einem Gesamtsystem kann positive Kräfte für die autonomen Einzelschulen und Kindergärten entfalten“, schreibt das Netzwerk auf seiner Internetseite. Die Kitas und Schulen finanzieren den Schulverbund zum Teil aus ihren eigenen Budgets.
Direktor hat nur Leitungsaufgaben
In Südtirol sind die Schulen durch ein Landesgesetz in Sprengeln organisiert, die jeweils aus einer Mittelschule und etwa sechs Grundschulen mit insgesamt 500 bis 900 Schüler/innen bestehen und von einem beziehungsweise einer Schuldirektor/in geleitet werden. Der Direktor des Sprengels hat nur Leitungsaufgaben, unterrichtet nicht mehr und wird durch Verwaltungskräfte unterstützt. Ein Schulsprengel hat einen eigenen Etat und verfügt zum Beispiel jährlich über 200.000 Euro für eigene Fortbildung und Qualitätsentwicklung. Im Schulverbund sind die Einrichtungen über die Kita- und Schuldirektionen der einzelnen Sprengel vertreten.
Ein Element der Zusammenarbeit sind die Expert/innen aus den eigenen Reihen, von denen alle profitieren. Wer im Pustertal eine Kita oder Schule umbauen oder neu bauen will, fragt zuerst Josef Watschinger. Der Direktor des Schulsprengels Welsberg weiß, wie durch die Architektur die Lernkultur verändert werden kann. Im ganzen Pustertal ist es seine Aufgabe, diese Expertise bei Um- oder Neubauten zur Verfügung zu stellen. Für andere Bereiche, wie Frühförderung und Anfangsunterricht gibt es im Schulverbund andere Expert/innen.
Die neue Grundschule in Welsberg nennt Watschinger eine „Wohnraumschule“. Gleich am Eingang bleiben die Straßenschuhe in einer Garderobe, denn die Kinder sollen auch auf einem sauberen Holzboden aus einheimischer Lärche arbeiten können. Mit den Wänden aus Fichtenholz will die Schule bewusst an eine Südtiroler Bauernstube erinnern, in der sich Kinder und Lehrkräfte zuhause fühlen. Um solche Schulbauten möglich zu machen, wurden in Südtirol auf Initiative der Pädagog/innen unter anderem die Schulbaurichtlinien und darin auch die Brandschutzrichtlinien geändert.
Flexibles Mobilar
Auf zwei Etagen finden sich die Lernwerkstätten und Klassenräume. Großzügige offene Bereiche, in denen Teile der Schulbibliothek und PC-Arbeitsplätze integriert sind und in denen Schüler/innen für sich oder in kleinen Gruppen arbeiten. Das Mobiliar ist flexibel gestaltet, die Lernbereiche können schnell verändert werden. Es gibt abgetrennte Klassenräume, deren große Fenster zu den Lernwerkstätten und nach draußen ins Dorf zum Gefühl einer offenen Lernlandschaft beitragen. Überall wird leise gearbeitet.
Mit ihrer Architektur bietet die Schule in Welsberg viel Flexibilität in der Unterrichtsgestaltung und schafft damit eine Voraussetzung für Inklusion beziehungsweise Integration. In Südtirol wird der Begriff „Integration“ für die Arbeit mit Kindern beziehungsweise Schüler/innen mit „besonderem Bildungsbedarf“ verwendet. Die Integration von Kindern mit Beeinträchtigungen hat in Italien eine andere Vorgeschichte als in Deutschland.
Ganz Italien hat bereits seit den 1960er-Jahren eine fünfjährige Grundschule und eine dreijährige Mittelschule. Bis zur 8. Klasse lernen alle Schüler/innen gemeinsam. Fast über Nacht wurden 1977 in Italien alle Sonderklassen, die es bis dahin noch gab, abgeschafft. Seit 40 Jahren ist es Alltag, dass Kinder mit körperlich-motorischen Behinderungen oder Sinnesbeeinträchtigungen, mit Lernstörungen, Schüler/innen mit geistiger Behinderung sowie schwerst-mehrfacher Behinderung Kitas und Schulen besuchen. Auch nach den ersten acht gemeinsamen Schuljahren können Eltern frei wählen, ob ihre Tochter oder ihr Sohn eine berufsbildende Schule, eine fünfjährige Fachoberschule oder das fünfjährige Gymnasium besucht.