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Je suis Samuel

Islamistischer und rechter Terror spielen zusammen

Der islamistische Mord an dem französischen Lehrer Samuel Paty hat auch uns erschüttert. Klar ist: Schule kann Gewalt nicht verhindern. Aber sie kann dazu beitragen, dass sich Gefühle der Zurücksetzung nicht zu Hass verdichten.

Trauermarsch am 20. Oktober 2020 in Conflans in Frankreich zum Gedenken an den Lehrer Samuel Paty
Trauermarsch am 20. Oktober 2020 in Conflans in Frankreich zum Gedenken an den Lehrer Samuel Paty (Foto: © imago)

„Es gibt Tage, an denen spürt man das Schwanken der Welt; es gibt Tage, an denen einen das Grauen packt“, schrieb Heribert Prantl nach dem islamistischen Mord an unserem französischen Kollegen Samuel Paty. So ging es auch vielen von uns. 

Grausam und öffentlich geköpft – vermutlich wegen eines Unterrichts, der für Meinungsfreiheit eintrat. Zu Unrecht denunziert von einer 13-jährigen Schülerin und Objekt einer Hetzjagd in den angeblich sozialen Medien. Bedrängt durch Beschwerden eines Schülervaters bei Schulbehörden und Schulleitung, der dann den Attentäter aufhetzte. Für Geld identifiziert von Schüler*innen der eigenen Schule. Schließlich ermordet von einem jungen Muslim, der im Land von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit politischen Schutz suchte. An den Präsidenten dieses Landes, den „Anführer der Ungläubigen“, schickte der Mörder im Netz eine mit dem Foto des Opfers unterlegte Nachricht: „Ich habe einen Ihrer Höllenhunde hingerichtet, der es wagte, Mohammed herabzusetzen.“

Darum allerdings ging es Paty nicht. Er zeigte Respekt vor religiösen Gefühlen und nahm die Karikaturen als Anlass zum Gespräch im Unterricht über Meinungsfreiheit und ihre Grenzen. Und so war seine Ermordung auch ein Anschlag auf die Aufgabe von Schule als eine der wenigen Plattformen, die der Gesellschaft noch geblieben sind, um solche Fragen nicht isoliert in Nischen und Blasen, sondern gemeinsam zu diskutieren. Es war ein Anschlag auf das Bildungswesen, für den französischen Bildungsminister „das Rückgrat der Republik“.

Islamistischer und faschistischer Terror beleben sich gegenseitig

Der nach eigenem Bekunden faschistische Attentäter, der am 15. März 2019 in einer Moschee im neuseeländischen Christchurch 51 Menschen erschoss und ebenso viele verletzte, nannte als sein Ziel die Entfesselung eines Bürgerkriegs zwischen Migranten und „Weißen“. Islamistischer und faschistischer Terror beleben sich gegenseitig, fördern die gesellschaftliche Spaltung und schüren Hass, aus dem ihr Einfluss und neue Gewalt entsteht.

Daher kann „die Stigmatisierung von Muslimen, durch die bestimmte politische Kräfte das Land seit vielen Jahren in Mitleidenschaft ziehen wollen, nur schädliche Spaltungen verstärken und die Maschinen des Hasses befeuern“, warnt die französische Bildungsgewerkschaft FSU (Federation Syndicate Unitary).

Bei den Gedenkminuten für die ermordeten Opfer von „Charlie Hebdo“ 2015 hatte es an 6.900 von 46.000 öffentlichen Schulen Störungen wie Pfiffe oder gar Zwischenrufe wie „die haben den Tod verdient“ gegeben. Dieses „Eskalationskontinuum“ (Heitmeyer), aus dem Terroristen ihre Legitimation schöpfen, gilt es zu durchbrechen. Es reicht, wie der Mord an Paty zeigt, von der direkten Aufforderung zur Tat über die verbale Hetze bis zu einem „Verständnis“, das Täter als Opfer entschuldigt und Opfer verantwortlich macht. Insofern darf der Kampf gegen Hass und Intoleranz nicht gegen, sondern muss mit Muslimen geführt werden, natürlich auch im Bildungswesen.

Schule kann nicht alleine Gewalt verhindern. Aber sie kann dazu beitragen, dass sich Gefühle der Zurücksetzung nicht zu Hass verdichten. Sie kann dazu beitragen, dass Bildungsbenachteiligung von Migrant*innen nicht eine Spaltung vertieft, die fundamentalistisch aufgeladen werden kann.

Diese Gefahr besteht auch in Deutschland. Es gibt bei manchen Jugendlichen mit Migrationsgeschichte eine starke Suche nach Halt und Respekt, einen Rückzug auf ein konservativ-islamisches Auftreten, das auch Distanzierung bedeutet und ansprechbar machen kann für Islamismus. Daraus kann auch Druck entstehen. Druck, sich dem anzupassen und Druck auf Lehrkräfte, Werte und Verhaltensweisen zu akzeptieren, die mit Grundrechten nicht vereinbar sind. Das aber wäre der falsche Weg. Das zeigen auch Erfahrungen mit rechten Jugendszenen in strukturschwachen Gebieten der neuen Bundesländer. Dort hat sich gezeigt, wie schnell die Öffnung von sozialen Räumen dazu führen kann, dass rechte Strukturen gefördert werden. Ein entschuldigender Hinweis auf Desorientierung und soziale Problemlagen trug zu einer neonazistischen Formierung bei, an deren Ende die NSU-Morde standen.

Wie so oft reagierte die Politik auch in Frankreich erst nach der Katastrophe, kurzfristig und überstürzt. Wirksames pädagogisches Handeln, das Faschismus und Islamismus nicht akzeptiert, die Person trotzdem respektiert und so Dialog möglich macht, geht nur über die Entwicklung von pädagogischen Beziehungen. Hinzukommen müssen aber eine Professionalisierung und Stärkung der Lehrkräfte und Räume für diese Auseinandersetzung. Die Trennung von Religionsunterricht (mit christlichem Missionsanspruch) und Ethik (an der die islamischen Schüler*innen teilnehmen) macht den Dialog von Schüler*innen mit verschiedenen Meinungen nicht einfacher. Und ein Bildungssystem, das Konkurrenz statt Solidarität fördert, verfehlt seine zentrale Aufgabe: Gesellschaftlichen Zusammenhalt zu fundieren, das „Rückgrat der Gesellschaft“ zu stärken.

In ihrem Aufruf zu den Solidaritätskundgebungen betont die französischen Bildungsgewerkschaft FSU: „Die an der Bildung Beteiligten müssen bei ihrer täglichen Arbeit unterstützt werden, einen aufgeklärten kritischen Geist aufzubauen, der frei von Rachsucht und diffamierenden Anschuldigungen ist. Jeden Tag tragen Lehrer und nationales Bildungspersonal durch geduldiges Handeln zum Aufbau einer vereinten und brüderlichen Republik bei, die vielfältig und respektvoll, aufgeklärt und zu demokratischen Debatten fähig ist.“

Kontakt
Maria Jeggle
Redakteurin b&w
Telefon:  0711 21030-36