Schwerbehindertenvertretung
„Jeder ist anders und das ist gut so“
Brigitte Hellmich ist Schwerbehindertenvertreterin bei einem großen privaten Bildungsträger, dem Internationalen Bund in Stuttgart. Mit uns spricht sie über die Rechte der Schwerbehinderten und warum der Status nicht schambesetzt sein sollte.
Brigitte Hellmich ist Schwerbehindertenvertreterin bei einem großen privaten Bildungsträger, dem Internationalen Bund (IB) in Stuttgart. Im Gespräch mit b&w berichtet sie über ihre Arbeit, über die Rechte der Schwerbehinderten und warum der Status nicht schambesetzt sein sollte.
Wie viele Beschäftigte vertrittst du?
Brigitte Hellmich: Ich bin für den IB Süd e. V. Württemberg zuständig und dort arbeiten ungefähr 1.700 Beschäftigte. Meine Kollegin und ich vertreten dort zurzeit knapp hundert schwerbehinderte Personen.
Welche Stellung hast du?
Hellmich: Ich bin die Vertrauensperson für die Schwerbehinderten und habe zwei Stellvertreter/innen, die nur einspringen, wenn ich ausfalle. Im Moment bin ich zu 50 Prozent meiner Arbeitszeit für die Schwerbehindertenvertretung freigestellt. Die anderen 50 Prozent arbeite ich als Sozialpädagogin in der Reha-Ausbildung.
Die Freistellung ist in meinem Fall keine Pflicht, aber sehr hilfreich. Sonst müsste ich mich wie ein nicht freigestelleter Betriebsrat bei jedem Termin beim Arbeitgeber abmelden. Das ist schon aus datenschutzrechtlichen Gründen sehr schwierig. Daher haben wir das beim IB so gelöst.
Wieso hast du die Aufgabe übernommen?
Hellmich: Ich finde es eine sinnvolle Aufgabe, dafür zu sorgen, dass die Rechte der schwerbehinderten Menschen im Betrieb beachtet werden.
Du selbst bist nicht schwerbehindert?
Hellmich: Nein, muss ich auch nicht.
Wäre das leichter, um sich einfühlen zu können?
Hellmich: Ich habe um mich herum viele Schwerbehinderte und kämpfe auch in der Familie um deren Rechte. Daher war mir von vorneherein klar, was es bedeutet, eine Behinderung zu haben.
Ist es schwierig durchzusetzen, dass genügend Schwerbehindert eingestellt werden?
Hellmich: Der IB kümmert sich darum, dass Schwerbehinderte beschäftigt werden. Voraussetzung ist, dass sie ihre Aufgaben erfüllen können. Bei gleicher Qualifikation werden sie bevorzugt behandelt. Darauf achte ich. Daher bin ich bei den Einstellungsgesprächen dabei, sowohl bei dem Gespräch mit einem Behinderten als auch bei Nichtbehinderten. Dann kann ich beurteilen, ob es fair lief.
Was heißt hier fair?
Hellmich: Unfair ist, wenn Sachen gefragt werden, die nicht relevant für die Stelle sind. Fair ist, dass möglichst beiden die gleichen Fragen gestellt werden. Wenn Schwerbehinderte eingestellt werden, kenne ich auch viele Förderungsmöglichkeiten.
Wie ist der Status „Schwerbehinderte“ definiert?
Hellmich: Das geht über den Grad der Behinderung, wie er im Schwerbehindertenausweis steht. Wer mehr als 50 Prozent behindert ist, gilt als schwerbehindert. Das können Menschen mit Insulinpflicht sein, mit Diabetes, mit Herz- oder Krebserkrankung, auch Burn-out kann dazuzählen. Vielen sieht man es nicht an. Bei manchen Krankheiten wie Krebs wird der Status nach einer gewissen Zeit überprüft. Es gibt aber viele Krankheiten, die dauerhaft sind.
„Ich würde nicht nach gesund und krank trennen. Jeder ist anders. Jeder ist mit seinen Eigenarten zu beachten.“ (Brigitte Hellmich, Schwerbehindertenvertreterin)
Angenommen, ich würde krebskrank und käme mit 50 Prozent Behinderung in den Betrieb zurück. Was würdest du für mich tun?
Hellmich: Ich würde Kontakt mit dir aufnehmen und sagen, was ich dir anbieten kann. Wir könnten beispielsweise prüfen, ob dein Arbeitsplatz „leidensgerecht“ ist. Leidensgerecht ist der gesetzliche Begriff. Manche brauchen einen anderen Stuhl oder schwerhörige Menschen können in einem großen Büro nur schwer telefonieren.
Bei Eingliederungsmaßnahmen, meist nach der Reha, spreche ich auch mit den Menschen. Dann besuche ich sie vor Ort. Ich will verhindern, dass Kolleg/innen in Stress geraten, um nach Stuttgart zu kommen.
Was für die Gesundheit sinnvoll ist, können nur Ärzte beurteilen. Welche Maßnahmen am Arbeitsplatz hilfreich sind, kann der oder die Betroffene, beziehungsweise der technische Dienst meist gut einschätzen. Im Gespräch besprechen wir Maßnahmen, zum Beispiel mit wie vielen Stunden jemand wieder einsteigen möchte. Das wird wieder mit der Ärztin oder dem Arzt geklärt und danach geht das Ergebnis an die Personalabteilung. Wenn sie zustimmt, werden die Eingliederungsmaßnahmen in Kraft gesetzt. Bezahlt wird die Person während der Eingliederungszeit mit Krankengeld. Das ist in manchen Fällen ein Handicap.
Welche Rechte haben Schwerbehinderte?
Hellmich: Sie haben Kündigungsschutz und fünf Tage mehr Urlaub. Sie können auch ohne Abschläge früher in Rente gehen.
An was denkt ein gesunder Mensch nicht, wenn er die Bedürfnisse eines Kranken berücksichtigen soll?
Hellmich: Ich würde nicht nach gesund und krank trennen. Jeder ist anders. Jeder ist mit seinen Eigenarten zu beachten.
Du willst dafür sensibilisieren, dass Schwerbehinderung kein Makel ist?
Hellmich: Ja, das muss man allen sagen. Viele kämpfen mit ihren Krankheiten und sind zusätzlich belastet, wenn die Behinderung öffentlich wird. Vielen ist nicht bewusst, dass alle irgendwas im Rucksack tragen. Wenn ich mir zugestehe: „Das gehört zu mir, so bin ich“, dann kann ich auch nach außen geben.
Es muss sich aber niemand outen. Nur die Personalabteilung weiß Bescheid, nicht unbedingt die Kolleg/innen.
Denkst du, es gibt eine Dunkelziffer?
Hellmich: Es gibt eine Dunkelziffer bei Behinderten, aber nicht bei Schwerbehinderten. Ich glaube, wer diesen Status hat, steht dazu. Ich vertrete auch Menschen mit weniger als 50 Prozent Behinderung. Sie haben zwar weniger Rechte, können sich aber mit Schwerbehinderten gleichstellen lassen und erhalten dann Kündigungsschutz.
Stehen Behinderte unter Druck, weil sie gleich viel leisten wollen wie Nicht-Behinderte?
Hellmich: Das hängt auch davon ab, wie gut sie mit sich selbst im Reinen sind. Es kann sich jemand überschätzen, weil er oder sie meint, sie müssten mehr leisten. Aber meist haben die Kolleg/innen eine gute Selbsteinschätzung. Sie sind übrigens nicht öfter krank als andere.
Hilft es, wenn öffentlich wird, dass Prominente auch krank sind?
Hellmich: Ja, das hilft, weil sie sich dann nicht mehr als Sonderfall ausgeschlossen fühlen.
Was ist dein größter Erfolg?
Hellmich: Wir haben schon einiges durchbekommen, damit die Arbeitsplätze leidensgerecht werden. Das kann mal besseres Licht oder ein großer Bildschirm sein. Manchmal dauert es länger, als wir wollen, aber es ist gut zu beobachten, wie viel leichter die Kolleg/innen dann arbeiten können.
Könnte die GEW etwas für die Schwerbehinderten tun?
Hellmich: Ich hätte als Schwerbehindertenvertreterin gerne mehr Informationen von der GEW. Beispielsweise wie viele Schwerbehindertenvertretungen es in der GEW gibt. Oder bei welchen Themen die behinderten Kolleg/innen mitgedacht werden können. Weder bei Fortbildungen noch in Tagungen kommen bei der GEW Behinderte vor. Aber nicht nur bei der GEW sollten sie besser berücksichtigen werden.
Insgesamt nimmt das Zugeständnis, dass jeder anders ist, in der Gesellschaft zu. Es muss aber noch mehr passieren. Man sollte nicht mehr von Behinderten reden, sondern sagen, jeder ist anders und das ist gut so.
Das Interview führten Maria Jeggle und Martin Schommer.
Allgemeine Regelungen zu Schwerbehindertenvertretungen
In privaten Betrieben und öffentlichen Einrichtungen, in denen mindestens fünf schwerbehinderte Menschen dauerhaft beschäftigt sind, werden eine Vertrauensperson und wenigstens ein stellvertretendes Mitglied gewählt. Wahlberechtigt sind alle schwerbehinderten Menschen im Betrieb.
Die Schwerbehindertenvertretung soll die Eingliederung der Schwerbehinderten fördern und darüber wachen, dass die zugunsten schwerbehinderter Menschen geltenden Gesetze, Verordnungen, Tarifverträge, Betriebs- und Dienstvereinbarungen und Verwaltungsanordnungen angewendet werden.
Im öffentlichen Schuldienst des Landes ist die Schwerbehindertenvertretung dreistufig organisiert. Es gibt eine auf der örtlichen Ebene (im GHWRGS-Bereich bei den Schulämtern, an den Gymnasien und den Berufsschulen an den Schulen), bei den Regierungspräsidien (Bezirksschwerbehindertenvertrauenspersonen) und auf der dritten Ebene beim Kultusministerium (Hauptvertrauenspersonen).
Seine gesetzlichen Wurzeln hat die Schwerbehindertenvertretung in der Weimarer-Republik, in der 1923 erstmals ein Gesetz zur Schaffung von Schwerbehindertenvertretungen erlassen wurde.