Koalitionsvertrag 2021 bis 2026
Kein zusätzliches Geld für Bildung
„Erneuerungsvertrag“ nennen Grüne und CDU ihren neuen Koalitionsvertrag. „Jetzt für morgen“ lautet das Motto. „Aufbruch“ verspricht der Ministerpräsident für die nächsten fünf Jahre. Gilt das auch für die Bildung und für Kinder und Jugendliche?
Im Koalitionsvertrag der neuen Landesregierung für die Jahre 2021 bis 2026 steht in jedem Kapitel ein Finanzierungsvorbehalt. Dieser Vorbehalt kann alle ausgehandelten Ergebnisse der Koalitionsverhandlungen verhindern. Die Schuldenbremse kann vielleicht jetzt Geld einsparen und weniger Schulden hinterlassen. Soll das gut sein? Wenn man jetzt nicht mehr investiert, laufen in der Bildung und Wissenschaft Folgekosten auf. Genau wie im Klimaschutz und in großen Teilen des Sozialbereichs wird es schlimmer, je länger gezögert wird. Wer jetzt bei der Bildung der Kinder und Jugendlichen spart, nimmt Bildungsverlierer*innen in Kauf. Sie und die Gesellschaft werden ihr Leben lang unter den Folgen des Sparens leiden. Das sind keine Horrorszenarien. Welche Wege sich für Bildungsverlierer*innen in unserer Gesellschaft auftun, wissen wir alle zur Genüge.
„Für beste Bildung für alle“ steht im sogenannten „Erneuerungsvertrag“. Das Ziel ist richtig formuliert. Doch wer Bildungsgerechtigkeit ernst meint, muss Geld in die Hand nehmen, um genügend Fachkräfte auszubilden und einzustellen, die in der frühen Bildung, in den Schulen, in den Hochschulen und der Weiterbildung arbeiten können. Bildungsgerechtigkeit meint gute Bildungschancen für alle Kinder und Jugendlichen, völlig unabhängig davon, wie gebildet und wohlhabend ihre Eltern sind, ob sie in einer Wohnung leben, in der ein ruhiger und geschützter Arbeitsplatz für Hausaufgaben und zum Lernen vorhanden ist, ob sie früh genug schlafen gehen können, um für den nächsten Kita- oder Schultag ausgeschlafen zu sein, ob sie Eltern haben, die sie unterstützen können oder ob es sogar umgekehrt ist, dass sie ihre Eltern unterstützen müssen, sei es wegen Krankheit, Sucht oder aus anderen Gründen.
Frühkindliche Bildung
Bevor wir beurteilen, was der Koalitionsvertrag für die frühkindliche Bildung bietet, müssen wir anerkennen, dass ausgebildeten Erzieher*innen fehlen. Hier hat die Bundes- und Landespolitik schon in den letzten Jahren zu wenig getan. Wenn wir nicht schnellstens in die Ausbildung von Erzieher*innen oder Pädagog*innen der frühen Kindheit investieren, lassen sich die Orientierungspläne nicht umsetzen, können Kinder nicht entsprechend ihren Voraussetzungen und Fähigkeiten gefördert und unterstützt werden. Im schlimmsten Fall kann bei Verdacht auf Kindeswohlgefährdungen nicht angemessen reagiert werden – alles nur, weil nicht genügend in die Ausbildung von Fachkräften investiert wurde und wird.
Schulbildung
Was Kitas lähmt, lähmt auch die Grundschulen. Auch hier erleben wir seit Jahren einen politisch verursachten Fachkräftemangel. Es gab und gibt genug interessierte junge Menschen. Aber die Landesregierung hat zu langsam und zu wenig Studienplätze geschaffen, und es schließen zu wenige aufgrund der Bedingungen im Studium und Vorbereitungsdienst die Ausbildung erfolgreich ab. Auch die Arbeitsbedingungen an den Grundschulen in Baden-Württemberg sind so, dass viele junge Lehrer*innen in andere Bundesländer abwandern. Darunter leidet die Qualität der Grundschulbildung. Die Lehrkräfte, die derzeit ohne Studium die Unterrichtsversorgung in den Grundschulen mit aufrechterhalten, müssen Fortbildungs- und Qualifikationsangebote erhalten, um eine dauerhafte Perspektive als Lehrkraft zu erhalten. Auch bei der Besoldung dieser Lehrkräfte muss die neue Landesregierung drauflegen. Rund die Hälfte aller Bundesländer bezahlt Grund-, Haupt- und Werkrealschullehrkräften mittlerweile mit A 13 / E 13. Im Koalitionsvertrag findet sich hierzu leider nichts.
Die sozialindexbasierte Ressourcenzuweisung, die sich im Vertrag von Grün-Schwarz findet, kann ein guter Weg sein, um den Schulen, die mit besonderen Herausforderungen zu tun haben, gute Arbeit leichter zu machen. Das darf aber nicht dazu führen, dass andere Schulen weniger bekommen als bisher. Es muss sich ganz klar um zusätzliche Ressourcen handeln, die gezielt zugewiesen werden können.
Für die Sekundarstufen I und II gilt wie für alle Schularten: Die besten Konzepte helfen nicht, wenn das Personal dafür fehlt. In Sek I fehlen Lehrkräfte, den beruflichen Schulen ebenfalls. Ohne genügend Studienplätze für Lehramtsstudierende kann auch hier nur der Mangel verwaltet werden. Auf zu wenigen Schultern lastet zu viel Arbeit und Verantwortung.
Dass endlich die Forderung nach einer finanziellen Absicherung der Schulsozialarbeit in den Vertrag mit aufgenommen wurde, freut die GEW sehr. Die Freude wird nur durch den Finanzierungsvorbehalt getrübt.
Besonders skandalös ist der Mangel an Sonderpädagog*innen. Sie fehlen an den Sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentren und an den allgemeinen Schulen in der Inklusion. Inzwischen liegt das strukturelle Unterrichtsdefizit bei über neun Prozent – vergleichbare Werte gab und gibt es in anderen Schularten noch nie. Hier gilt dasselbe wie bei den Grundschulen: Die Landesregierung verzichtet seit Jahren bewusst darauf, die Ausbildungskapazitäten zu erhöhen. Sie spart Geld und nimmt dafür in Kauf, dass die Bildungsrechte der Kinder und Jugendlichen mit Behinderung beschädigt werden.
Zur Inklusion steht vieles im Koalitionsvertrag, was die GEW seit langem fordert: Die Inklusion soll Aufgabe aller Schulen und Schularten sein. Die personellen, räumlichen und administrativen Rahmenbedingungen sollen in allen Bereichen verbessert werden. Schöne Worte: „Das Ziel bleibt dabei das Zwei-Pädagogen-Prinzip im zieldifferenten Unterricht.“ Die Aussicht, dass mit weiteren Studienplätzen und berufsbegleitenden Qualifizierungen der Mangel an Sonderpädagog*innen angegangen wird, begrüßt die GEW. Neue Studienplätze werden sich allerdings erst in über sieben Jahren auswirken. Und auch diese Pläne lassen sich nur mit zusätzlichen finanziellen Mitteln umsetzen. Das kann die neue Landesregierung nicht übersehen haben.
Außerschulische Bildung
Weiterbildung mit Alphabetisierung, Sprachkursen oder Schulabschlüssen sind eine wichtige Grundlage für Teilhabechancen von Menschen. Berufliche und wissenschaftliche Weiterbildung, aber auch allgemeine Weiterbildung sind Bedarfe, die gedeckt werden müssen und die nicht zum Nulltarif zu haben sind. In diesen Bereichen gilt es besonders für faire Arbeitsbedingungen zu sorgen.
Im Bereich der Hochschulen wird im Koalitionsvertrag benannt, dass Frauen in Führungspositionen zu selten zu finden sind und gegengesteuert werden soll. Das kostet zwar nicht mehr Geld, ist aber natürlich sehr sinnvoll, und dabei werden dicke Bretter gebohrt werden müssen.
Insgesamt ist dieser Koalitionsvertrag in den Bereichen, die Bildung und Wissenschaft betreffen, oft mit guten Inhalten und Ideen gefüllt, die die Landesregierung aber trotz des Finanzierungsvorbehalts umsetzen muss. Daher ist es deutlich zu früh, eine abschließende Bewertung zu treffen. Entschieden wird in den kommenden fünf Jahren, was aus dem Koalitionsvertrag tatsächlich umgesetzt werden wird. Die GEW hofft, dass mit Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne), Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (Grüne) und Sozialminister Manfred Lucha (Grüne) durchsetzungsfähige Minister*innen in der Regierung sitzen, die sich für ihre Bereiche erfolgreich einsetzen und den neuen Finanzminister Danyal Bayaz (Grüne), das Kabinett und den Landtag überzeugen, dass Investitionen in die Bildung notwendig und richtig sind.