In Baden-Württemberg leben derzeit rund 5.000 Kinder von Flüchtlingen im schulpflichtigen Alter. Sie haben nach Artikel 11 der Landesverfassung ab dem ersten Tag ihres Aufenthaltes in Baden-Württemberg das Recht, eine Schule zu besuchen. Dies hat erst kürzlich die Ministerin für Integration, Bilkay Öney (SPD) in der Antwort auf eine kleine Anfrage der CDU (Drucksache 15/6493) bestätigt.
Der Haken dabei ist, dass das Schulbesuchsrecht wenig bekannt ist und daher die Eltern durch die Verwaltung und die Verantwortlichen in den Kreisen und Städten oft nicht informiert und bei der Schulanmeldung nicht unterstützt werden. Vielmehr ist es gängige Verwaltungspraxis, dass nach der Ankunft in den Kommunen und Kreisen noch Wochen vergehen, bis die Kinder einer Schule zugewiesen werden und diese tatsächlich besuchen. Auf Nachfragen lautet die Standardantwort, das sei nicht dringend, da nach dem Schulgesetz Schulpflicht für Asylbewerber und Geduldete erst nach sechs Monaten bestehe. Baden-Württemberg ist übrigens das einzige Bundesland, das noch eine Sechsmonatsfrist hat, in einigen Ländern besteht Schulpflicht bereits in der Erstaufnahmestelle, in anderen spätestens nach drei Monaten.
Die GEW setzt sich für die Verkürzung der Sechsmonatefrist ein, wohl wissend, dass Kinder in den ersten Monaten ihres Aufenthaltes mehrfach den Wohnort wechseln müssen, bis sie in einer Kommune für längere Zeit oder für immer untergebracht sind. Auch wissend, dass manche Kinder sich schwer tun, Schulregeln zu akzeptieren und einzuhalten und dem Unterricht kaum folgen können. Doch wie sieht die Alternative aus? Sechs Monate in Notquartieren ohne Privatsphäre oder in beengten Zimmern in Sammelunterkünften leben - ohne Angebote für altersgemäße und kindgerechte Aktivitäten? Sechs Monate Zeitverlust zum Sprachenlernen in Kauf nehmen? Auf soziale Kontakte zu Kindern und Erwachsenen des Landes, das für viele Heimat werden wird, verzichten?
Natürlich brauchen die Kinder und Jugendlichen angesichts ihrer Erfahrungen mit Bürgerkrieg, Gewalt und Flucht einen „pädagogisch behutsamen Umgang und die Berücksichtigung psychischer und physischer Aspekte“, wie die Integrationsministerin in der Drucksache schreibt. Aber ist das ein Grund, die Kinder von der Schule fernzuhalten? Sollte das nicht eher Anlass sein, die Klassenteiler in Vorbereitungsklassen mindestens zu halbieren, die Lehrkräfte durch Fortbildung und Supervision zu unterstützen und in den Schulen Expert/innen für Traumabehandlung und weitere pädagogische Professionen einzusetzen?
Schulbesuchsrecht für jugendliche Geflüchtete bis zum 25. Lebensjahr
Jugendliche in den Sprachklassen brauchen mindestens ein, oft zwei Jahre, bis sie so gut Deutsch sprechen und verstehen, dass sie vollständig in Regelklassen einer Schule wechseln können. Das Nachsehen haben ältere Jugendliche, für die keine Schulpflicht mehr besteht, denn Schulen, die keine freien Plätze haben, können sie ablehnen. Teilweise suchen Jugendliche lange nach einer Schule, an der sie weiter lernen können. Auch kann die Schulverwaltung den Antrag von Schulen auf die Einrichtung weiterer Klassen ablehnen, weil keine gesetzliche Verpflichtung besteht, die jungen Menschen aufzunehmen. Doch ohne Schulbesuch schaffen sie weder einen Schulabschluss noch erhalten sie eine Ausbildung, die ihnen Teilhabe am Leben in Deutschland sichern kann.
Die GEW fordert daher, das Schulgesetz so zu ändern, dass für Geflüchtete spätestens nach drei Monaten Schulpflicht besteht und eine Schule über die Volljährigkeit hinaus bis zum 25. Lebensjahr besucht werden kann, wenn dadurch ein qualifizierender Abschluss möglich wird. Außerdem muss auf das Schulbesuchsrecht ab dem ersten Tag mit mehrsprachigen Informationsblättern hingewiesen werden, und die Eltern sollten so beraten werden, dass sie ihr Recht auch nutzen.