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Regelbetrieb in Zeiten von Corona

Konsequenzen der Kitaöffnungen deutlich benennen

Das Land hat beschlossen, die Kitas am 29. Juni vollständig zu öffnen. Die Regierung bezeichnet den Schritt zwar als Rückkehr zum Regelbetrieb, verschweigt dabei jedoch die erheblichen Einschränkungen, zu denen es im Kita-Alltag kommen wird.

Die Landesregierung hat die vollständige Öffnung der Kitas zum 29. Juni beschlossen und verantwortet diesen Schritt aufgrund der Ergebnisse der „Heidelberger Kinderstudie“. Laut Studie hätten Kinder im Kita- und Grundschulalter einen geringeren Anteil am Pandemiegeschehen, erkrankten deutlich seltener und wenn, dann mit weniger Symptomen und meist milderen Verläufen. Ein Infektionsrisiko bleibt dennoch, auch laut Landesgesundheitsamt.

Wie es den Beschäftigten damit geht, ist bedauerlicherweise kein Thema in der öffentlichen Diskussion. Die Landesregierung weist zwar darauf hin, dass der Schutz der Gesundheit oberste Priorität habe, leitend für die Entscheidung der Kita-Öffnung scheint der Gedanke nicht gewesen zu sein. Eine würdigende Erwähnung, wie schwierig die Situation der Fachkräfte ist und welche enormen Herausforderungen sie erfüllen, fehlt jedenfalls. Der Druck der Eltern wurde immer größer und vielen Kindern sei es mit der Kitaschließung nicht gut ergangen und so führten, laut Kultusministerin Susanne Eisenmann, politische Abwägungsprozesse zum Entschluss, die Kitas vollständig zu öffnen.

Weil allen Beteiligten nicht ständig neue Corona-Regeln zugemutet werden sollen, wurde vom Kabinett das Konzept „Rückkehr zu einem Regelbetrieb unter Pandemiebedingungen“ gleich für das gesamte nächste Kita-Jahr verabschiedet. Problematisch, denn die Begrifflichkeit „Rückkehr zum Regelbetrieb“ lässt vermuten, die Welt in den Kitas sei damit in Ordnung. Ja, die Kitas öffnen wieder, aber doch unter nennenswert anderen Bedingungen als vor dem Lockdown. Und nach Ansicht der GEW müssen diese schlechteren Rahmenbedingungen und auch die etwaigen Konsequenzen klar benannt werden. „Eltern und Öffentlichkeit müssen realisieren dass die Qualität der pädagogischen Arbeit unter Umständen leidet und die Beschäftigten haben ein Recht darauf, dass das ehrlich benannt wird“, findet Petra Kilian, stellvertretende Vorsitzende und Kita-Expertin der GEW Baden-Württemberg.

Da Abstandsregeln in Kitas nur bedingt möglich sind, werden diese laut Konzept der Landesregierung ersetzt durch stabile und konstante Zusammensetzung von Gruppen, sowohl hinsichtlich der Kinder als auch des Personals. Für Erwachsene untereinander hat das Abstandsgebot Gültigkeit, sodass Kitas vor der Frage stehen, wie sie ihre Teamsitzungen organisieren, die Sprachförderkräfte und Fachberatungen einbinden und die Bring- und Abholsituationen und auch den Umgang mit den Eltern in der Eingewöhnung regeln.

Personalmangel und Pandemie führen zu erheblichen Einschränkungen

Da voraussichtlich nicht vollumfänglich Personal zur Verfügung stehen wird, können die Träger, bevor an eine Reduzierung der Öffnungszeiten gedacht werden muss, den Mindestpersonalschlüssel nun um 20 Prozent unterschreiten und, sofern nicht genügend Fachkräfte zur Verfügung stehen, andere Personen für die Betreuung einsetzen. Genannt werden in diesem Zusammenhang Mitarbeitende im Sozialen Jahr oder auch Fachkräfte aus dem Bundesprogramm Sprach-Kitas. „Es ist zu bezweifeln, ob die vom Bund finanzierten Fachkräfte mit ihrem speziellen Auftrag für den Gruppendienst eingesetzt werden können. Unklar bleibt auch, ob über ein geplantes Direkteinsteigerprogramm tatsächlich genügend Menschen gefunden werden, die kurzfristig und annähernd gut für die Arbeit in der Kita qualifiziert werden können“, sagt Kilian. Dass finanzielle Mittel im Rahmen der Umsetzung des Gute-Kita-Gesetzes für den Direkteinstieg vorgesehen würden, sei ebenfalls kritisch zu sehen, insbesondere wenn dafür die Finanzierung der Leitungszeit eingespart würde.

Gerade in der jetzigen Zeit sind Kitaleitungen wichtiger denn je. Es ist erwiesen, dass sie zur Qualitätssicherung der Kitas maßgeblich beitragen. Vergessen wir nicht, Kitakinder sollen schließlich nicht nur betreut, sondern in ihrer Entwicklung und hinsichtlich ihrer Persönlichkeit gefördert werden.

Kitas haben neben der Betreuung einen ernstzunehmenden Bildungs- und Erziehungsauftrag. Für Erzieher*innen, Kindheitspädagog*innen ist dies Grundlage ihrer beruflichen Identität. Diesem Auftrag unter den veränderten Bedingungen, also gegebenenfalls mit weniger Personal und vor allem nicht ausreichend qualifiziertem Personal gerecht zu werden, scheint vielen Kitamitarbeiter*innen utopisch und bringt sie geradezu in ein Dilemma. Wenn alleine die Unterbringung der Kinder im gleichen zeitlichen Betreuungsrahmen wie vor Corona der Maßstab sein soll, dann muss fairerweise öffentlich gemacht und den Eltern vermittelt werden, dass es abhängig  von den Bedingungen vor Ort zu erheblichen Einschränkungen von liebgewordenen Traditionen, Angeboten und Projekten kommen kann.

GEW: Träger müssen verantwortungsvoll mit der Situation umgehen

Schon vor der Corona-Krise war der Fachkräftemangel spürbar und viele Beschäftigt beklagten die angespannte Situation. „Es ist fatal und ärgerlich, wenn die einzigen Ideen zur Problemlösung die Verschlechterung von Standards und die Dequalifizierung sind. Eine Fachkräfteoffensive zur Einstellung von Kindheitspädagogen*innen, mit finanziellen Anreizen für Träger mehr Stellen zu schaffen, um die Praxis gezielt mit Fachkompetenz zu unterstützen, wäre aus Sicht der GEW ein sinnvollerer Weg“, so Kilian.

Die Vielfalt der Kitaträger wird sehr unterschiedlich mit dem gesetzten Rahmen umgehen. Das Konzept der Landesregierung ermöglicht Gestaltungsfreiheit, was Sinn macht, weil die tatsächlichen Bedingungen in den Kitas sehr verschieden sind. Somit kann vor Ort möglichst wirkungsvoll im Sinne der Kinder, Eltern und unter Berücksichtigung der Beschäftigtensituation gestaltet werden. Kitaträger können ihre Entscheidungen aber auch so ausrichten, dass die Mitarbeitenden und die Qualität weniger Berücksichtigung finden.

Die GEW wird den Prozess begleiten und erwartet, dass Träger verantwortungsvoll mit der Option umgehen werden, den Mindestpersonalschlüssel senken zu können. Das Gleiche gilt für die Möglichkeiten, die Gruppen vergrößern und vermehrt nicht ausgebildetes Personal einstellen zu können. Bei allen Schritten darf die Qualität der pädagogischen Arbeit, das Wohl der Kinder und das Wohl der Beschäftigten nicht außer Acht gelassen werden.

Kontakt
Heike Herrmann
Referentin für Jugendhilfe und Sozialarbeit
Telefon:  0711 21030-23
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