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Lehrkräfte brauchen Qualifizierung, Begleitung und Zeit

Bei den öffentlichen Anhörungen des Bildungsausschusses des Landtags zu den Gesetzentwürfen zur Inklusion sowie zur Weiterentwicklung der Realschule wurden im Juli Pro und Contra vorgetragen. Doro Moritz bekräftigte die GEW-Positionen.

Die Anhörung setzte die in dieser Legislaturperiode von den Oppositionsfraktionen verstärkte Praxis fort, Gesetzentwürfe mit Vertreter/innen gesellschaftlich relevanter Organisationen und Gruppierungen – vor allem mit regierungskritischen – zu diskutieren. Beantragt werden die Anhörungen in der Regel von den Oppositionsfraktionen, die dann auch die Mehrheit der Referent/innen benennen.
Bei beiden Terminen im Juli hatten jeweils 15 Organisationen Gelegenheit, in jeweils fünf Minuten ihre Position darzustellen. Die GEW war dabei durch die Vorsitzende Doro Moritz vertreten.

Anhörung zur Inklusion

Die GEW Baden-Württemberg begrüßte ausdrücklich die Verankerung der Inklusion im Schulgesetz als grundlegenden Schritt zur überfälligen Umsetzung des „Übereinkommens über die Rechte von Menschen mit Behinderungen“ (UN-Behindertenrechtskonvention). Damit endet die unbefriedigende Phase der Modellversuche, die u.a. nicht mit Ressourcen ausgestattet war und in der die Schüler/innen der Sonderschulen an der allgemeinen Schule nicht zum Klassenteiler zählten. Doro Moritz machte deutlich, dass gemeinsames Lernen, egal ob es an der Gemeinschaftsschule oder in inklusiven Settings stattfinde, grundlegende Veränderungen im Denken und im Handeln erfordere. Wenn in jeder Schulart die Verpflichtung zur Umsetzung der Inklusion verankert werde, gebe es keinen Grund, weshalb leistungsschwache und leistungsstarke Schüler/innen, die unterschiedliche Abschlüsse anstreben, nicht gemeinsam unterrichtet werden könnten. Die GEW-Vorsitzende widersprach entschieden der vom Beamtenbund, vertreten durch den VBE, vorgetragenen Position, wonach alle allgemein bildenden Schulen, aber nicht das Gymnasium zieldifferent unterrichten könnten. Die GEW wies entschieden Behauptungen zurück, wonach inklusive Bildungsangebote leistungsschädlich seien. Im Gegenteil: Binnendifferenzierung und zieldifferenter Unterricht in heterogenen Lerngruppen seien eindeutig leistungsfördernd.


Die GEW forderte eine materiell und qualitativ gut ausgestattete Absicherung der notwendigen Schritte und Zwischenlösungen ein, zum Beispiel das im Koalitionsvertrag verankerte 2-Pädagogen-Prinzip. Dazu müssten Schulen mit Fortbildungen, Beratung, Zeit und finanziellen Ressourcen für die Unterrichtsentwicklung und für die Etablierung von Teamstrukturen unterstützt werden. Das sei notwendig, um die Qualität sicherzustellen und Widerstand aus Angst vor Überforderung zu vermeiden.
Zu den eingeforderten untergesetzlichen Regelungen gehört die Doppelzählung der Schüler/innen mit sonderpädagogischem Bildungsangebot für Anrechnungsstunden und Besoldung der Schulleitungen an den allgemeinen Schulen und an den Sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentren (SBBZ), sowie Anrechnungsstunden für die Kolleg/innen der SBBZ und der allgemeinen Schule. Wenn dies nicht der Fall ist, verschlechtern sich für Schulleitungen, die konsequent inklusive Bildungsangebote unterstützen, die Arbeitsbedingungen. Auch auf den Bedarf zusätzlichen Personals der Staatlichen Schulämter für ihre umfangreichen, zeitintensiven zusätzlichen Aufgaben im Rahmen ihrer stärkeren Steuerungsfunktion wies die GEW im Statement hin.
Der Vorschlag der GEW, den Mangel an Sonderschullehrkräften durch ein attraktives Aufbaustudium oder andere qualitativ anspruchsvolle Aufstiegsmöglichkeiten für Hauptschul-, aber auch Grundschullehrer/innen abzubauen, nahm Kultusminister Stoch positiv auf.
Als eindrucksvoll bezeichnete es Doro Moritz, dass das Land die Schulträger mit 102 Millionen unterstützt.


Die Schulen in freier Trägerschaft begrüßten die gesetzliche Verankerung der Inklusion ausdrücklich und forderten spezifische Unterstützung für ihre Einrichtungen ein. Der LAG „Gemeinsam leben – gemeinsam lernen“ geht die gesetzliche Gleichwertigkeit von Sonderschulen und inklusiven Angeboten an allgemeinen Schulen nicht weit genug. Auch der Landesbehindertenbeauftragte lehnte wie die GEW die Forderung nach Schwerpunktschulen ab und forderte Unterstützung für die Lehrkräfte ein.
Der Landtag hat das Gesetz inzwischen verabschiedet.

Weiterentwicklung der Realschule

Neben den kommunalen Landesverbänden und der GEW kamen Industrie und Handwerk, der Landeselternbeirat und die AG der Realschulrektor/innen sowie mehrere entschiedene Gegner/innen der Weiterentwicklung der Realschulen zu Wort. Letztere argumentierten stark aus der Sicht ihrer Schulart und nicht aus dem Interesse und dem Bedarf der Schüler/innen.
Die Gegner/innen und auch die GEW machten deutlich, dass die Realschule seit Jahrzehnten eine leistungsstarke Schule ist. Doro Moritz stellte die Ausgangssituation und die Argumente der GEW dar: Die Realschule war die mittlere Säule des dreigliedrigen Schulsystems. Seit die Werkrealschulen wegbrechen, ist sie es nicht mehr. Im kommenden Schuljahr werden voraussichtlich noch rund sieben Prozent der Schüler/innen nach der Grundschule auf eine Haupt- oder Werkrealschule wechseln. Schwache Schüler/innen gibt es weiterhin zu einem deutlich größeren Prozentsatz. Im Schuljahr 2014/15 wurden 7.500 Schüler/innen mit Hauptschulempfehlung an Realschulen, genauso viele wie an den langsam aussterbenden Haupt- und Werkrealschulen, angemeldet. Gleichzeitig muss die Realschule immer mehr Schüler/innen aufnehmen, die an den allgemein bildenden Gymnasien scheitern.


Die GEW begrüßt, dass den Realschulen in dieser Wahlperiode erstmals Förderressourcen zur Verfügung gestellt werden: Mit 209 Deputaten werden die Anzahl der Poolstunden auf das Niveau der Hauptschule angehoben. Zum Schuljahr 2015/16 gibt es sechs, bis 2018/19 insgesamt zehn Poolstunden.
Die GEW begrüßt den Hauptschulabschluss an der Realschule. Der Versuch, alle Schüler/innen an der Realschule zum mittleren Abschluss zu führen, würde unweigerlich zur Absenkung des Leistungsniveaus an der Realschule führen.
Die von Kritiker/innen immer wieder vorgetragene Forderung nach Hauptschulklassen an den Realschulen (anstelle der Binnendifferenzierung) ist nicht nur aus pädagogischen, sondern auch aus praktischen Gründen angesichts der sinkenden Akzeptanz eines „unteren“ Bildungsgangs nicht umsetzbar. Zudem haben sich zu Zeiten der früheren Landesregierung solche abschlussbezogenen Klassen an den Werkrealschulen – wo sie anfangs ab Klasse 8 möglich waren – nicht bewährt. Sie wurden nach negativen Erfahrungen von den Schulen selbst eingestellt. Insofern wäre es fatal, wenn heute die gleichen Fehler wieder gemacht würden. Die damaligen „Hauptschul-Klassen“ wurden an den Werkrealschulen als Abstieg empfunden, wirkten demotivierend und konnten nicht zu einer besseren Förderung und zu besseren Leistungen beitragen.


Ein Unterschied zur Gemeinschaftsschule wird künftig sein, dass das erweiterte Niveau an Realschulen nicht geprüft wird. Außerdem werden Schülerinnen und Schüler in allen Fächern einer Niveaustufe zugeordnet. Auch die Profilfächer, die es am Gymnasium und ab dem nächsten Schuljahr an der Gemeinschaftsschule gibt, werden konsequenterweise nicht an den Realschulen eingeführt.
Doro Moritz bezeichnete es als bemerkenswert und entlarvend, dass Organisationen, die das neue Realschulkonzept massiv kritisieren und ein „trojanisches Pferd“ nennen, weil es Realschulen heimlich zu Gemeinschaftsschulen umwandle, ausgerechnet dieses Elemente der Gemeinschaftsschule für die Realschule einfordern. Diese Kritik verkenne, dass die Realschule trotz Einführung der Hauptschulabschlussprüfung Realschule bleibe, was ja das ausdrückliche Interesse der Kritiker sei. Im Übrigen werde schon das zusätzliche grundlegende Niveau von den Lehrkräften der Realschulen als Herausforderung betrachtet. Eine Mehrheit der Realschullehrkräfte würde den Unterricht auf drei Niveaustufen als eine nicht leistbare Belastung betrachten.


Die Realschulen werden – wie schon bisher – ihre Schüler/innen erfolgreich auch auf die gymnasialen Bildungsgänge vorbereiten und starke Schüler/innen bestmöglich fördern und fordern.
„Binnendifferenzierter und zieldifferenter Unterricht stellt eine große Herausforderung für die Lehrkräfte dar. Sie für diese Aufgabe zu befähigen ist zentrale Aufgabe der Politik. Qualifizierung, Begleitung und Zeit sind dafür zwingend notwendig. Ein gezielter Einsatz von Hauptschullehrkräften wird eine Erleichterung für die Lehrkräfte an Realschulen sein, die zu Recht zusätzliche Belastungen befürchten“, betonte die GEW-Landesvorsitzende
Das Gesetz zur Weiterentwicklung der Realschule wird erst nach der Sommerpause im Landtag beschlossen