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Lehrkräftemangel – Stimmen aus der Praxis

Wie gut sind Schulen aktuell mit Lehrkräften versorgt? Worauf lässt sich eine gute bzw. schlechte Versorgung zurückführen? Das wollte die GEW im November 2021 von ihren Schulleitungen wissen.

Personelle Ausstattung überwiegend schlecht

Die Schulleitungen konnten die Versorgung ihrer Schule mit Lehrkräften mit gut/sehr gut, mittelmäßig oder schlecht/sehr schlecht bewerten.

Bewertung

BS

GMS

GS

GYM

RS

SBBZ

WRS

Gesamt

gut/sehr gut

59%

6%

43%

37%

21%

7%

22%

32%

mittelmäßig

29%

19%

29%

26%

21%

24%

17%

26%

schlecht/sehr schlecht

12%

74%

28%

37%

57%

69%

61%

42%

Der Anteil der positiven Rückmeldungen mit 59 Prozent aus den beruflichen Schulen ist – im Vergleich zu der Lage in den anderen Schularten - am besten. Sehr schlecht sieht es bei den Gemeinschaftsschulen, den SBBZ, den Realschulen und den Werkrealschulen aus. Grundschulen und Gymnasien rückmelden im Schnitt zu 40 Prozent eine gute Versorgung. Dieser erste Blick zeigt: Eine ausreichende Lehrerversorgung gibt es in keiner Schulart, nicht mal annähernd. Da die Schulen sehr unterschiedlich sind, (Anzahl der Schüler*innen, Größe der Kollegien, Lage oder zuständiges Schulamt) kann diese Wertung jedoch immer nur eine grobe Annäherung sein.

Gründe für eine gute Versorgung

Schulen, die mit ihrer personellen Ausstattung zufrieden sind, berichten von einer „guten Zuweisungspolitik des Schulamts“ oder „einer hervorragenden Unterstützung durch das RP“. Auch sinkende Schülerzahlen an der Schule, das gute Klima im Kollegium, der gute Ruf der Schule, eine attraktive Stadt oder Region, die Aufstockung des Deputats, ein niedriger Krankenstand zum Zeitpunkt der Befragung, selbst Glück oder Zufall werden genannt. Mehrmals weisen die Schulleitungen darauf hin, dass der guten Versorgung eine lange Durststrecke vorausging oder dass nur ja niemand krank werden dürfe, damit die Lage nicht kippe. Vor allem an kleinen Schulen könne ein Ausfall einer Vollzeitkraft kaum kompensiert werden.

Positive Stimmen aus den Schulen:

„Unsere Schule ist ausreichend mit Lehrkräften versorgt. Kein fachfremder Unterricht. Auch AG-Angebote möglich.“ (Gymnasium).

„Fast Vollversorgung, die (kleinen) Lücken können so geschlossen werden. Der einzige dringende Wunsch ist ein funktionierender Schwangerschaftsvertretungspool.“ (Berufliche Schule)

„Unserer Ausfälle in den letzten beiden Schuljahren waren so horrend (9 Schwangerschaften!! mit fast keinem Ausgleich), dass das SSA uns wohlwollend versorgt hat. Außerdem spielen persönliche Kontakte der Schulleitung zu „Nichterfüllern“ eine große Rolle, um TVL-Verträge zu bekommen.“ (Realschule)

„Versorgung mit Pflichtstunden sichergestellt, sofern alle gesund sind“ (Grundschule)

„Wir sind ausnahmsweise mit einer ausreichenden Personaldecke gestartet und konnten sogar mit einem 4-Stunden-Plus starten. Bei mehrtägigen Fortbildungen und Krankheiten wird es dennoch eng und wir haben bei geplanten Ausfällen schon Handschlagslehrkräfte angefragt.“ (Grundschule)

„Bislang niemand krank, es kann sich natürlich jeden Moment verändern, da wir ja keine Krankheitsvertretungen erwarten können.“ (Werkrealschule)

„Nähe Freiburg“ (Werkrealschule)

„Gute Bewerberlage an Gymnasien, Schule liegt im Umfeld der Seminarstandortstadt Heidelberg, beliebte Region.“ (Gymnasium)

Gründe für schlechte Versorgung

So erfreulich Schwangerschaften sind, die sofortige Freistellung der Kolleg*innen vom Präsenzunterricht ist sehr schwer zu stemmen. Nimmt man noch die, auch jahreszeitlich bedingte, Zunahme der Krankheitsfälle hinzu, kommt die Kompensation dieser Ausfälle der Quadratur des Kreises gleich. Denn der Vertretungspool ist oft schon kurz nach Schuljahresbeginn aufgebraucht. Viele Schulen sind schon seit Schuljahresanfang unterversorgt, insbesondere wegen Bewerbermangel. Dieser ist besonders ausgeprägt in als unattraktiv empfundenen Gebieten des Landes (keine PH oder Uni in der Nähe, ländlicher Raum). Und natürlich verschärft auch die Corona-Pandemie die Lehrkräftesituation, z. B. durch Quarantäne-Anordnungen und Corona-Erkrankungen im Kollegium.

Folgen der schlechten Versorgung

Um den Schulbetrieb aufrecht erhalten zu können, werden Klassen zusammen gelegt, Unterricht wird gekürzt oder verschoben, ergänzende oder inklusive Angebote und der Ganztag werden gleich ganz gestrichen. Massive Überstunden, Vertretung von Stunden durch die Schulleitung, der Einsatz von „Nichterfüller*innen“, Student*innen, (zeitweise) Aufstockungen des Deputats der Teilzeitkräften und vieles mehr sind der Alltag an vielen Schulen und zum Teil auch seit vielen Jahren.

Drei Folgen lassen sich aus den vielen Berichten heraus greifen, die besonders gravierend sind: Zuerst die große Arbeitsbelastung der Schulleitungen und der Kolleg*innen, die noch an Bord sind. Zweitens die Schwierigkeit, mit oft wechselnden Personen ein gutes und aufeinander eingespieltes Team zu bleiben bzw. zu werden und drittens die Schul- und Unterrichtsqualität unter diesen Gesamtbedingungen aufrecht zu erhalten, von Weiterentwicklung gar nicht zu reden.

2018/2019 führte die GEW eine umfassende Befragung zu den Arbeitsbedingungen an Schulen durch. Dabei wurde die „Kollegialität“ von fast allen Befragten als großes Plus genannt, wenn der Schulalltag gut bewältigt werden soll. Dies gilt auch für den Umgang mit dem Lehrkräftemangel. Beispielhaft schildert dies die Schulleitung einer Grundschule: „Wir reden offen miteinander über unsere Schwierigkeiten und auch die damit verbundene Belastung für jede von uns. Wir unterstützen uns gegenseitig so gut es geht, jede ist für jede da und bereit, im Rahmen ihrer Möglichkeiten zu helfen. Wir alle haben große Sorge, fast Ängste, was passiert, wenn eine Kollegin von uns und/oder deren Kind/er erkrankt und somit ausfällt.“

Alarmierende Stimmen aus den Schulen:

„Wir ersetzen aktuell zwei Klassenlehrerinnen! Es ist verheeeerend!!“ (Grundschule)

„Die Schulleitung bettelt die Teilzeitkolleginnen an, dass sie hin und wieder mehrere Stunden vertreten bzw. ihr Deputat aufstocken. Kinder mit Migrationshintergrund können wir so gut wie nicht unterstützen, da Sprachförderstunden immer zuerst ausfallen. Das hätte aber eigentlich Priorität. Wir sind ALLE total erschöpft!!!“ (Grundschule)

„Unterversorgt. Alle Förderstunden, sowie zwei Stunden aus dem Ganztag und eine allgemeine Anrechnungsstunde musste gestrichen werden. Winzige Abordnungen unterschiedlicher Lehrkräfte aus anderen Schulen (2 Std., 6 Std. 7 Std., 4 Std.), so dass tragende Säulen im Kollegium fehlen. Schulleitung ist selbst Klassenlehrerin von Klasse 4 (in Kombi mit Schulleitung nicht leistbar!). Extrem hohe Belastung. Fehlende Springer.“ (Grundschule)

„Schwierig - zwei Krankheitsbedingte Ausfälle (40 Deputatstunden); auf KV-Stellenausschreibung keine Bewerbung.“ (Gymnasium)

„Seit Unterrichtsstart 3 Deputatsanpassungen, darunter eine grundlegende Neuverteilung; mindestens genauso viele Stundenplanänderungen, darunter eine völlige Neuplanung. Einstampfung bzw. Reduzierung der mitunter digitalisierungsorientierten Differenzierungsstunden (irgendwoher und irgendwer muss ja Digitalisierung in den Schulen machen), punktueller Ausfall von fachbezogenem Unterricht in mehreren Klassen. - Irgendwie muss der Laden ja laufen.
Klar ist, es geht und es ging wohl auch noch nie wirklich um Bildung oder Bildungsqualität sondern immer nur um Bildungsverwaltung, also die Kunst, vor eine mögliche Ressourcenabschöpfung maximal viele und langwierige Fristen, (Online-)Formulare und ASD-Meldungen, Nachweise, Prognosen oder andere bürokratische Hürden zu schalten, damit ja an keiner einzigen Schule eine mögliche Über- bzw. Vollversorgung stattfindet. Wenn man mit dem Gedanken leben kann, dass es um Bildung nicht geht, sondern (das hat ja auch das Corona-Management gezeigt) vor allem um den Betreuungsaspekt, dann wird vieles erträglicher.“  (Realschule)

„Im Direktbereich sind wir zu knapp 90 % versorgt, wenn man die Fehlstunden aus dem Ergänzungsbereich dazu nimmt, sind es ca. 75 %. Bei uns werden die Schüler*innen nur noch 4 Tage die Woche beschult.“ (SBBZ)

„Die Versorgung ist schlecht. Die Kontingentstundentafel kann gerade aufrechterhalten werden, das ergänzende Angebot leidet sehr. Bei Krankheitsausfällen gibt es kein wirkliches Backup. Die Lebenslagen unserer Schülerschaft sind mehr als schwierig und erfordern eine deutlich bessere personale (und räumliche) Versorgung an einem SBBZ Lernen.“ (SBBZ)

„Es besteht keinerlei Vertretungsreserve, so dass der Unterricht in Hauptstufenklassen, bei einer Vertretungssituation in Klassen 1-4 ausfallen muss. Hintergrund ist die aktuelle Entwicklung der Corona-Inzidenzen. Schüler*innen können bei Ausfall einer Lehrkraft nicht mehr aufgeteilt werden. Das verstärkt die Notlage extrem. Da wir nur drei Klassen in der Hauptstufe haben, muss damit gerechnet werden, dass der Unterricht der nächsten Wochen dort zum großen Teil ausfallen muss.“ (SBBZ)

„Katastrophal - keine Änderungen trotz Hinweisen an das SSA - ein Minus im dreistelligen Bereich …“ (Gemeinschaftsschule)

„Unterversorgung mit ca. 50 Stunden. Es gibt deshalb Einschränkungen im Förder- und Ergänzungsbereich. Viel darf nicht mehr passieren, insbesondere die Freude über anstehende Mutterfreuden fällt weniger leicht.“ (Gemeinschaftsschule)

„Im zweiten Jahr bereits sehr schlecht. Es fehlen aktuell ca. 70 Lehrerwochenstunden. Dies wird sich durch geplanten Weggang von Kolleg/innen noch verschlechtern. Folge: Reduzierung von Pflichtunterricht, Riesengruppen im Ganztag-Bereich, ständige Suche nach Nichterfüller*innen.“ (Gemeinschaftsschule)

Zwischen Pfingsten und Sommer mussten wir den Ganztag streichen, weil eine Kollegin schwanger mit Beschäftigungsverbot ausfiel. Dank unseres Schulträgers konnten die Kinder zwar in der Schule bleiben, aber sie hatten de facto weniger Unterricht. Da es nach den Pfingstferien war, bekamen wir keinen Ersatz...! In einem kleinen Kollegium ist so etwas nicht aufzufangen. Normale Vertretungen mache fast grundsätzlich ich - die Schulleitung. (SBBZ)

Kontakt
Ute Kratzmeier
Referentin für allgemeinbildende Schulen
Telefon:  0711 21030-25