Online-Befragung der GEW
Mehr Orientierung durch Kompass 4?
Wohin geht die Reise nach der Grundschule? Das Kultusministerium hat sich hierzu eine neue Navigation überlegt: Kompass 4 soll landesweit den Leistungsstand der 4.-Klässler*innen erfassen. Die GEW wollte wissen, was Lehrkräfte dazu sagen.
„Ziel ist es, die Beratung beim Übergang auf die weiterführende Schule zu stärken und dabei sowohl Lehrkräfte bei ihrer Empfehlung als auch die Eltern bei ihrer Entscheidung für die weiterführende Schule ihres Kindes zu unterstützen.“ Ist dies tatsächlich eine gewinnbringende Initiative? Oder ist es nicht vielmehr ein weiteres Instrument, in das Zeit investiert werden muss und das Lehrkräften letztendlich sagt, was sie schon wissen? Können Grundschulkolleg*innen einen Nutzen aus diesem neuen Navigationsinstrument ziehen? Fühlen sich Lehrkräfte und Eltern bei ihrer Entscheidung für die weiterführende Schule der Kinder sinnvoll unterstützt und gestärkt?
Im November 2023 wurde Kompass 4 in vielen vierten Klassen durchgeführt und ausgewertet. Die GEW hat Lehrkräfte der 4. Klassen online befragt, um herauszufinden, wie Kompass 4 von den Lehrkräften bewertet wird. Teilgenommen haben 495 Kolleg*innen, die das neue Messinstrument genutzt haben.
Ergebnisse der Befragung
Bei 84 Prozent der Befragten hat sich die Empfehlungsgrundlage für die weiterführende Schule nicht geändert, bei 90 Prozent der Befragten deckt sich die eigene Einschätzung der Schüler*innen im Wesentlichen (kleinere oder keine relevanten Abweichungen) mit den Ergebnissen von Kompass 4. Eine verpflichtende Einführung von Kompass lehnen 82 Prozent der Kolleg*innen ab.
Bei den freien Antworten steht, dass der Kopier- und Papieraufwand in keinem Verhältnis zu den erzielten Ergebnissen stünden. Auch die Korrektur finden sie zu aufwändig und zeitintensiv. Als Alternative wird in den meisten Antworten das Online-Format der Aufgabenstellungen und der Auswertung genannt.
Grundsätzlich zeigen sich die teilnehmenden Lehrkräfte durchaus aufgeschlossen gegenüber einem standardisierten Test vor den Beratungsgesprächen in Klasse 4. Begrüßt wird mit Blick auf die Bildungsempfehlung auch die Auswertung auf G-, M- und E-Niveau. Hilfreich wäre jedoch, wenn im Ergebnis angezeigt würde, wie viel Prozent ein Kind auf welcher Niveaustufe erreicht hat. Dennoch gibt es sehr viele kritische Stimmen, die auch die Belastung der Schüler*innen in den Blick nehmen: „Die Schülerinnen und Schüler haben durch eine weitere Lernstandserhebung keinen Lernzuwachs, sondern nur eine weitere Prüfungssituation, die Stress und Druck erzeugt. Die Zeit kann mit gutem Unterricht sinnvoller genutzt werden“, meint eine Teilnehmerin.
Die differenzierten Rückmeldungen zu den Aufgaben in Deutsch und Mathematik zeigen, dass Lehrkräfte erfahren und kompetent sind, sich ein genaues Bild vom Leistungsstand ihrer Schüler*innen zu machen. Benötigt wird das Instrument Kompass 4 dafür nicht.
Bildungsreform und Kompass 4
Die Landesregierung hat sich inzwischen auf eine Reform des Bildungssystems geeinigt und veröffentlicht. In einem der fünf geplanten Bausteine heißt es: „Die Grundschulempfehlung wird weiterentwickelt und valider (Modell ‚2 aus 3‘)“. Eines von drei Kriterien für die Bildungsempfehlung soll künftig Kompass 4 sein, neben der Empfehlung der Lehrkraft auf Basis der Schulnoten und dem Elternwunsch.
Wie soll die Bildungsempfehlung „valider“ werden mit einem landesweit einheitlichen Beobachtungsinstrument, von dem das IBBW selbst auf seiner Homepage schreibt: „Anders als ‚Lernstand 2‘ oder ‚VERA 3‘, die diagnostisch-valide und empirisch abgesichert sind, ist Kompass 4 jedoch keine Lernstandserhebung.“?
„Verbindlich“ wird diese Grundschulempfehlung nicht mehr genannt, aber tatsächlich wird den Eltern das Entscheidungsrecht über die künftige Schulart ihres Kindes genommen. Das führt dazu, dass die Beratungsgespräche am Ende der Grundschulzeit nicht mehr auf Augenhöhe geführt werden können. Einige Eltern werden sich nun wieder gezwungen sehen, gegen die Empfehlung der Lehrkraft vorzugehen, um ihren Wunsch durchzusetzen. Dabei haben zum Schuljahr 2022/2023 nur etwa zehn Prozent aller Eltern ihr Kind entgegen der Beratung der Lehrkraft an einer Schulart angemeldet. Ein auf Konsens und Erziehungspartnerschaft ausgerichtetes Beratungssystem, das die elterliche Verantwortung ernst nimmt, wird wieder in alte Bahnen gebracht.
Aus Sicht der GEW muss Kompass 4 noch in sehr vielen Punkten nachgebessert werden, um – auf freiwilliger Basis – überhaupt gewinnbringend eingesetzt werden zu können.