Zum Inhalt springen

Sonderpädagogisches Bildungs- und Beratungszentrum

Mehr Vertrauen in die Basis

„Bildung, mutig, los!” lautet das GEW-Motto für die Personalratswahlen 2024. Das haben wir als Aufhänger genommen und in der Bodelschwinghschule in Nürtingen nachgefragt, was das für sie bedeuten würde.

von links: Désirée Unger (stellvertretende Leiterin), Stefan Track (Schulleiter), Rubel Ell (Personalrat) und Katharina Schaudt (stellvertretende Leiterin)
Bodelschwinghschule in Nürtingen, von links: Désirée Unger (stellvertretende Leiterin), Stefan Track (Schulleiter), Rubel Ell (Personalrat) und Katharina Schaudt (stellvertretende Leiterin)

„Was wünschen Sie sich für Ihre Schule?“ Wir sitzen noch nicht lange am Tisch im Büro des Schulleitungsteams der Bodelschwinghschule in Nürtingen und sprechen über diese Frage, als Stefan Track sagt: „Das Schulsystem muss sich ändern. Das kommt überall an seine Grenzen – strukturell, aber auch durch die veränderte Pädagogik und die veränderten Anforderungen der Schülerschaft.“ Track und sein Team erleben das jeden Tag an ihrem SBBZ mit dem Förderschwerpunkt Geistige Entwicklung und beobachten diese Entwicklung bundesweit. „Schüler*innen, die in anderen Schularten nicht aufgefangen werden können und dort scheitern, landen im SBBZ. Etwa zwei Drittel der 188 Schüler*innen der Bodelschwinghschule sind ohne erkennbare genetische Disposition hinsichtlich einer Behinderung. Sie sind einfach mit dem Lernen überfordert“, erklärt Track, der die Schule seit 2019 leitet.

Um lernen zu können, sind für die Schüler*innen kleine Lerngruppen mit sechs bis acht Schüler*innen und stabile Beziehungen wichtig. Entsprechend hoch ist die personelle Ausstattung: Eine Lehrkraft, gelegentliche Doppelbesetzungen und eine betreuende Kraft oder Schulbegleitung pro Klasse – wenn alles nach Plan läuft, niemand krank oder auf Fortbildung ist. „Wir haben ein extrem motiviertes, multiprofessionelles Kollegium, das jedes einzelne Kind im Blick hat“, betont Katharina Schaudt, stellvertretende Schulleiterin.

Multiprofessionelles Team

Weil sonderpädagogische Lehrkräfte fehlen, setzt die Bodelschwinghschule auch auf Mitarbeiter*innen aus anderen Berufssparten. Im Kollegium sind Physio- und Kunsttherapeut*innen genauso wie Fachlehrkräfte aus den allgemeinen Schulen und eine Bürokauffrau. „Aus der Not ist viel Gutes entstanden und wir sehen diese Multiprofessionalität als Gewinn“, macht Schaudt klar. Eine große Herausforderung fürs Leitungsteam sei, diese Kolleg*innen durch berufsbegleitende Fortbildungen weiter zu professionalisieren. Kein einfaches Unterfangen, da das einen ungeheuren Aufwand fürs Schulleitungsteam bedeutet. Beispielsweise müssen sie für Kommunal- oder Landkreisangestellte die Teilnahme an Tagungen extra beantragen und finanzieren. „Wir sind darauf angewiesen, dass Menschen aus anderen Berufen hier gern arbeiten und unser Ziel ist es, sie entsprechend weiterzubilden. Da brauchen wir nicht so ein Bürokratie-Monstrum, sondern mehr Spielraum“, sagt Track nachdrücklich. Einerseits werde vom Abbau der Bürokratie gesprochen und Maßnahmen entwickelt, Lehrer*innen in den Schulen zu halten, andererseits werde den Schulen in Bezug auf fachfremdes Personal viele Steine in den Weg gelegt. Sei es in puncto Weiterbildung oder bei der Einstellung. „Wir wünschen uns mehr Vertrauen in die Basis! Wir bekommen das schon hin“, unterstreicht Schaudt.

85 Lehrkräfte, fünf FSJler*innen und elf Schulbegleiter*innen arbeiten am SBBZ. Damit ist die Personalsituation im Vergleich zu vielen anderen SBBZ ganz ordentlich. „Trotzdem ist die Belastung insgesamt vor allem für die ausgebildeten Kolleg*innen sehr hoch, weil komplexere Aufgaben, beispielsweise schwierige Elterngespräche und die Erstellung von Gutachten, an ihnen hängenbleiben“, weiß Ruben Ell, Personalrat am Staatlichen Schulamt Nürtingen und Lehrkraft an der Schule. Unterricht nach Stundenplan bliebe in vielen SBBZ auf der Strecke, da Klassen häufig kurzfristig geteilt und die Schüler*innen auf andere Gruppen verteilt werden müssen. „In so einer Situation ist Unterricht nach Plan nicht möglich“, unterstreicht Ell. Viele der Kolleg*innen sähen sich gezwungen, zu betreuen anstatt zu unterrichten.

Wunsch: mehr ausgebildetes Personal und weniger Stunden

Die Lösung, die für einen zuverlässigen Unterricht ideal wäre, sieht Ell in einer 110-prozentigen Stellenbesetzung und mehr ausgebildetem Personal. „So wären immer genug Lehrkräfte da, auch wenn Kolleg*innen krank oder auf Fortbildung sind“, führt Ell aus. Zudem hätten die ausgebildeten Lehrkräfte dann mehr Zeit, ihre fachfremden Kolleg*innen anzuleiten. Ein Wunsch, der ihm von vielen Lehrer*innen immer wieder angetragen wird.

Die Stundentafel zu kürzen, wäre ebenfalls ein mutiger wie sinnvoller Schritt, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken – da sind sich das Schulleitungsteam und Ell einig. „Unsere Schule hat sich immer dafür stark gemacht, dass die Unterrichtszeiten reduziert werden“, berichtet Track. 30 Stunden wären optimal, auch für die Grundschulkinder, die mit 34 Wochenstunden völlig überfordert seien. „Diese hohe Stundenzahl hat seinen Ursprung in den 70er-Jahren. Familien sollten dadurch entlastet werden“, führt Track weiter aus. Er und sein Team wünschen sich mehr Spielraum bei der Verteilung der Schulstunden, um den unterschiedlichen Altersstufen an der Schule gerecht zu werden.

Bodelschwinghschule ist Kulturschule Baden-Württemberg

„Kulturelle Bildung ist uns dabei sehr wichtig, denn sie wirkt sich extrem positiv auf die Entwicklung von den Kindern aus“, betont Désirée Unger, seit 2022 mit im Schulleitungsteam und verantwortlich für die Kulturschule. Kulturelle Bildung gehört zum Schulalltag der Bodelschwinghschule, das heißt dass künstlerische Methoden in den Unterricht einfließen und fächerübergreifende Unterrichtsprojekte angeboten werden, zum Beispiel Deutsch und Kunst, Mathe und Musik. Darüber hinaus organisieren Unger und ihr fünfköpfiges Kulturteam jedes Jahr Kulturwochen für die 5. Klasse. Zwei Wochen können sich Schüler*innen intensiv mit Kunst und Kultur auseinandersetzen. Hierfür lädt die Schule Expert*innen aus Musik, Kunst, Tanz und Theater ein.

Anfangs wurde das Modellprojekt mit 10.000 Euro bezuschusst. Heute erhält die Schule nur noch 2.800 Euro – und das, obwohl große Stiftungen das Landesprogramm unterstützen. „Wir wollen den Künstler*innen ein anständiges Honorar zahlen und müssen jetzt viel Zeit investieren, Fördergelder zu beantragen“, betont Unger. „Da frage ich mich, warum einerseits hervorgehoben wird, wie wichtig kulturelle Bildung in der Schule ist, und andererseits die Mittel dafür so drastisch gekürzt werden.“

Neu saniertes Gebäude

Was Platz und Ausstattung der Bodelschwinghschule angeht, ist das Schulteam wunschlos glücklich. Denn das neu sanierte und Ende 2023 bezogene Gebäude bietet Kunst- und Musikräume, eine große Aula mit Bühne, eine Mensa und eine Sporthalle sowie Werk- und Hauswirtschaftsräume. Auf den Fluren haben die Schüler*innen kleine Inseln mit Stühlen, Tischen und Liegen, in die sie sich zurückziehen können. Etwas abseits vom Schultrubel sind Klassenräume für Schüler*innen mit Autismus-Spektrum eingerichtet. Die Schulverwaltung und das helle Lehrerzimmer mit Blick auf den Neckar liegen nah beieinander. Zurzeit wird noch ein Ruheraum fürs Kollegium eingerichtet. „Wir haben wirklich eine sehr schöne Schule und es ist einfach toll zu erleben, was Räume bewirken und wie sie uns positiv beeinflussen“, betont Track.

Kontakt
Maria Jeggle
Redakteurin b&w
Telefon:  0711 21030-36