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„Mit einer guten Note werde ich gut behandelt“

Wie geht es Grundschüler/innen, wenn sie benotet werden? Die Schulsozialarbeiterin Sonja Weber-Graf ließ Kinder frei erzählen. Daraus ist das Projekt „Gefühlte Noten“ entstanden, das Ende Januar in der Grundschule in Waghäusel vorgestellt wurde.

In einer Klassenratssitzung der Grundschule in Waghäusel hörte die Schulsozialarbeiterin, dass Kinder ihre Noten verschweigen, weil sie von Mitschüler/innen nicht gehänselt werden wollen. Sonja Weber-Graf ließ daraufhin die Kinder über ihre Erfahrungen mit Noten erzählen. Für die Sozialarbeiterin wurde schnell klar, sie will den Grundschüler/innen ein Forum bieten und das Tabu um die Noten brechen. Gemeinsam mit dem Fotografen Leo Kandlin brachte sie das Projekt „Gefühlte Noten“ auf den Weg und dokumentierte die Berichte der Kinder. Die Ergebnisse präsentierte sie Ende Januar im Rahmen der „Fühl-Dich-Woche“ der Schulsozialarbeit der Stadt Waghäusel.

„1 und 2 sind gute Noten, weil ich daheim eine Belohnung kriege. Hatte mal eine 5-6, da war ich richtig traurig. Ich lerne viel zu Hause, damit ich einen guten Job bekomme und nicht auf der Straße lande.“ „Eine 1, da freu ich mich, weil meine Mama sich freut“, berichten Schüler/innen aus dritten und vierten Klassen in einer Multimediapräsentation. Die Präsentation zeigt Bilder der neun- bis zehnjährigen Kinder. Die Zitate sind anonymisiert und können dem einzelnen Kind nicht zugeordnet werden. Dies dient dem Schutz der Kinder und nur so konnten die Eltern das Projekt akzeptieren. „Bei einer 3 wurde ich von meinen Klassenkameraden ausgelacht, da wurde ich ganz traurig.“ „Bei einer 3 oder 4 ist der Tag für mich vermasselt.“ „Bei einer guten Note habe ich ein tolles Leben und werde gut behandelt. Bei einer 5 oder 6 geht´s mir schlecht. Zuhause werde ich bei schlechten Noten bestraft und geschlagen.“ Eltern und Großeltern sind der Einladung zum Projekt „Gefühlte Noten“ sehr zahlreich gefolgt und werden von Minute zu Minute stiller. „Hatte mal eine 5, da habe ich ganz arg Ärger bekommen und wurde ganz heftig angeschrien.“ „Gute Noten schreiben finde ich cool.“ „Meine Eltern sagten, wenn ich ein gutes Leben will, muss ich mehr üben und gute Noten schreiben und ich will Elektriker werden, dafür muss ich ja aufs Gymnasium.“

Nach der Präsentation können sich die Gäste austauschen. Eine Mutter zweier Töchter sagt: „Ich will doch das Beste für meine Kinder und mache sicher auch Druck. Jetzt bin ich ganz irritiert.“ Auch der ehemaligen Realschulrektor, Roland Herberger, ist betroffen. Als Mitglied im Gemeinderat unterstützt er die Schulsozialarbeit und hat, wie alle seine Kolleg/innen im Gemeinderat, das Begleitheft zur Präsentation erhalten. Weber-Graf weiß, dass Schulsozialarbeit auch gute Öffentlichkeitsarbeit ist und politische Entscheidungsträger/innen erreichen sollte.

„Ich wollte keine Diskussion über die Notengebung vom Zaun brechen, denn Noten wird es noch lange geben“, erklärte die Schulsozialarbeiterin. „Aber ich wollte dafür sensibilisieren, welchen Druck die Kinder haben. Vor allem wollte ich mit Falschwissen aufräumen. Es stimmt einfach nicht, dass ein Kind mit dem Berufswunsch Elektriker aufs Gymnasium muss. Mir ist sehr bewusst, dass wir in einer Leistungsgesellschaft leben, aber rechtfertigt das, dass wir Kindern mit schlechten Noten in der Grundschule schon vermitteln, dass sie keine Chance mehr im Leben hätten?“

Wenn Sonja Weber-Graf mit den Kindern über den Film spricht, erlebt sie, wie hilfreich es für die Kinder ist, dass sie hören, sie sind nicht alleine mit ihren Ängsten. Sie will ein Spiel konzipieren, das Noten thematisiert, den Kindern Mut macht und ihre Zuversicht stärkt. Der Appell an die Erwachsenen lautet: Gebt uns Raum, damit wir uns entwickeln dürfen, ganz im Sinne des afrikanischen Sprichworts „Das Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht“.

Sonja Weber-Graf stellt den Film zur Verfügung und freut sich, wenn er verbreitet und als Diskussionsgrundlage genutzt wird.
Telefon: 07256/800822
E-Mail: Schulsozialarbeit-Waghaeusel@web.de

Kontakt
Heike Herrmann
Referentin für Jugendhilfe und Sozialarbeit
Telefon:  0711 21030-23